(1876, Spessart) Die Familie Donnelly: Deutschlands verstörendstes genetisches Geheimnis

“Sie wollen, daß ich die Stimmen meiner Väter verrate.” “Nein”, erwiderte Brenner ruhig. “Ich will, dass Sie endlich die Stimmen ihrer Kinder hören.” Patrick schwieg, doch in seinen Augen lag ein Ring, das ihn sichtbar verzehrte. Es war der Kampf zwischen einem Erbe, das ihm wie ein Gesetz erschien und einer Gegenwart, die ihn mit ihrer nackten Wahrheit schlug.

Am Nachmittag kam Jakob Hartmann die Anhöhe herauf. Sein Gesicht war ernst, sein Schritt zögernd. Er hatte den weiten Weg aus dem Dorf auf sich genommen, weil Brenner ihn gebeten hatte als Zeuge zu erscheinen. Hartmann sah die Hütte, die Familie und schließlich das Kind. Er verharte lange, dann bekreuzigte er sich. “Es lebt”, sagte er schlicht.

“Es lebt”, wiederholte Brenner. und es wird weiterleben, wenn wir es schützen. Hartmann nickte, doch sein Blick glitt zu den Kreuzen hinter der Hütte. Und die anderen? Werden sie jemals Gerechtigkeit bekommen? Brenner antwortete nicht sofort. Stattdessen stand er auf, ging zu den Gräbern und legte die Hand auf eines der Holzkreuze. Das Holz war feucht, rissig, von Moos überwachsen.

“Diese Kinder können wir nicht zurückholen”, sagte er schließlich. Aber wir können verhindern, das weitere Folgen. Noch am selben Abend diktierte Brenner Hartmann eine Liste. Darauf standen die Namen der Kinder, soweit sie aus den Journalen zu entnehmen waren, die Jahreszahlen der Geburten und die vermuteten Todesursachen.

Hartmann schrieb mit krakelig Hand, doch jede Zeile war wie ein stilles Urteil. Coline, die bisher schweigend im Hintergrund gestanden hatte, trat näher, als sie die Männer bei der Arbeit sah. Ihre Stimme war kaum hörbar, als sie fragte: “Wird man uns alle bestrafen?” Brenner blickte auf das Mädchen, das trotz seines jungen Alters die Züge einer gealterten Frau trug.

Dich nicht, Colle, dich und deine Geschwister will man retten. Es sind eure Eltern und Großeltern, die euch in dieses Netz gezwungen haben. Colin senkte den Kopf, doch ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ich habe geholfen, die Tücher zu halten. Ich habe gesehen, wie sie die Kleinen fortgetragen haben.

“Du bist ein Kind”, sagte Brenner sanft. Ein Kind trägt nicht die Schuld der Erwachsenen. Die Nacht brach herein. Brenner und Hartmann saßen bei flackerndem Kerzenlicht über den Journalen. Sie beschlossen, am nächsten Tag nach Loor am Main zu reiten, um dort den Pfarrer und die Gendarmerie einzuschalten. Brenner wusste, dass dies gefährlich war, nicht wegen der Behörden, sondern wegen der Donnel selbst.

Er konnte nicht abschätzen, ob Patrick in seiner Zerrissenheit eher zusammenbrach oder zum letzten verzweifelten Widerstand griff. In dieser Nacht schlief Brenner kaum. Er hörte das Atmen Kindes, das Rascheln der Decken, die Schritte der Kinder im Nebenraum. Einmal glaubte er Stimmen zu hören, ein Murmeln in der irischen Sprache, halb Gebet, halb Beschwörung.

Er erhob sich, trat hinaus in die kalte Luft und sah Patrick vor den Gräbern knien. Der Mann bewegte die Lippen, doch Brenner verstand die Worte nicht. Es klang wie ein Zwiegespräch mit den Toten. Am Morgen spannte Hartmann sein Pferd an. Brenner legte die Tasche mit den Aufzeichnungen auf den Wagen.

Patrick stand am Rand des Hofes, die Arme verschränkt, das Gesicht hart. “Wenn ihr geht”, sagte er, “kiommt ihr nicht zurück, dann ist es vorbei.” “Genau das ist nötig”, entgegnete Brenner. Es mußin. Sie verließen das Tal, während Nebel und Wind den Weg verhüllten.

Hinter ihnen lag die Hütte, die Gräber, die Stimmen der Vergangenheit. Vor ihnen lag die Entscheidung, ob jemand in Würzburg oder Lor den Mut haben würde, die Wahrheit anzuerkennen. Brenner ahnte nicht, dass er bald vor einer noch viel größeren Dunkelheit stehen würde. Nicht nur der Ignoranz der Behörden, sondern auch dem Widerstand einer Familie, die bereit war, für ihren Warn bis zum Äußersten zu gehen.

Der Weg nach Loor am Main zog sich wie ein blasser Faden durch das feuchte Herbstlicht. Nebel hing über den Wiesen und das Klacken der Hufe klang gedämpft, als trüge die Landschaft selbst eine Last, die sie nicht ablegen konnte. Dr. Theodor Brenner saß auf dem Wagen neben Jakob Hartmann und hielt die Ledertasche mit den Journalen fest umklammert.

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