Es war Beweis, Anklage und Hoffnung zugleich. Der Wachtmeister legte Brenner die Hand auf die Schulter. Morgen früh brechen wir nach Würzburg auf. Mit dem Kind. mit den Büchern, mit allem. Heute Nacht halten wir Wache. Patrick wandte sich ab, seine Gestalt ein Schatten gegen das matte Licht der Lampe. Brenner hörte ihn murmeln.
Wenn Sie uns nehmen, nehmen Sie auch die Linie. Die Linie, sagte Brenner müde, ist längst gebrochen, aber vielleicht kann aus dem Bruch etwas Neues wachsen. Die Nacht verging ohne weiteren Angriff, doch jeder Atemzug war von Anspannung durchzogen. Draußen raschelten Blätter, ein Ast knackte, irgendwo schrie ein Kauz.
Drin saßen Männer mit gezogenen Waffen, ein Pfarrer mit gefalteten Händen, ein Arzt mit einem Kind im Arm und eine Familie, die am Rand des Abgrunds stand, den sie selbst gegraben hatte. Als der Morgen graute, war allen klar. Der Kampf war nicht vorbei. Er hatte erst begonnen. Der Morgen nach der belagerten Nacht krochleigrau über die Hänge des Spesss.
Feuchte Kälte hing in der Luft und der Atem der Pferde stand wie dünner Rauch vor den Nüstern. Der Wachtmeister gab knappe Anweisungen. Der Wagen mit Jakob Hartmann auf dem Bock, Dr. Theodor Brenner neben der Liege, auf der Meer mit dem Säugling ruute, die Gendarmen zu beiden Seiten, der Pfarrer am Schluss der kleinen Kolonne. Patrick stand reglos neben dem Brunnen, als müsse er sich an den kalten Steinen festhalten, um nicht in eine Tiefe zu stürzen, die nur er sah.
Bridget hielt die Gebetsschnur so fest, dass die Knöchel weiß wurden. Sie brachen auf, als der Nebel sich in dünne Fäden zog. Der Wagen ächzte über Wurzeln, schlingerte durch feuchte Senken und jedesmal hielt Brenner den Atem an, wenn ein Rad kurz in einer Rinne hängen blieb. Das Kind, das man in der Nacht Eilis genannt hatte, schlief eingewickelt in Wolle. Sein Atem kaum mehr als ein Hauch, doch stetig.
Der Pfarrer murmelte Psalm nicht laut, nicht herausfordernd, sondern wie ein ruhiger Strom unter dem lauten Wasser. Der Wald ließ sie nur widerwillig ziehen. Schon nach kurzer Zeit hörten sie ein Rascheln, das nicht zu ihren eigenen Schritten gehörte. Ein kurzes Pfeifen, dann wieder Stille.
Der Wachtmeister hob die Hand, ließ anhalten, und die Männer stellten sich breit um den Wagen. Im Namen des Gesetzes rief er, zeigt euch. Der Spessard antwortete mit dem Hämmern eines Spechtes, wie das ferne Klopfen an eine unsichtbare Tür. Dann flog ein Stein aus dem Unterholz, prallte gegen die Bordwand und blieb zwischen nassem Laub liegen.
Kein Angriff, nur ein Zeichen. Wir sehen euch. Weiter, sagte der Pharaise, Stillstand lädt die Schatten ein. Sie fuhren an und der Wald trat einen Schritt zurück. Gegen Mittag riss der Himmel auf, ein blasses Licht fiel auf die Hänge.
Und als die ersten Dächer von Loor am Main auftauchten, spürte Brenner, wie sich etwas in seiner Brust lockerte. Die Stadt mit Marktplatz, Ofenwärme und Papier, das Worte festhält, wirkte wie eine Insel der Vernunft. Im Pahrf richtete man ein Zimmer her, frische Laken, heißes Wasser, ein Ofen, der gleichmäßig summte. Brenner legte Eilis an die Brust der Mutter, prüfte Reflexe, Atmung, Temperatur. “Sie ist klein”, sagte er, aber vollständig. Milch, Ruhe, Wärme und keine Urteile.
Colin setzte sich an die Bettkante, nahm Meres Hand und in ihren Augen glomm etwas, das vorsichtig sein musste, um nicht gleich zu zerbrechen. Hoffnung. Noch am selben Tag stellte man den Untersuchungsrichter vor. Ein Mann mit wachen Augen, die mehr sahen, als er sagte. Auf seinem Tisch roch es nach Tinte und Leder.
Hinter ihm stand ein Ofen, der langsam Wärme in die Bretter schmiegte. Der Wachtmeister legte die ledernen Hefte vor. Brenner berichtete in ruhigem Ton von Geburten, Mßbildungen, Verwandtenhen, von elf kleinen Kreuzen hinter der Hütte, vom nächtlichen Angriff, von dem Wort, das in den Büchern immer wieder wie ein kaltes Siegel auftauchte, freigegeben.
Der Richter stellte wenige Fragen, dafür die richtigen. Dann sagte er: “Die Kinder stehen unter kirchlichem Schutz. Die Mutter bleibt beim Säugling. Die Eltern unter Aufsicht. Weitere Öffnungen der Gräber nur im Beisein eines Amtsarztes und schriftlich lückenlos als Protokoll. Keine große Geste, kein Pathos.