” Diese Worte, gepaart mit den seltsamen Eigenheiten der Kinder, ließen in ihm eine wachsende Beklommenheit entstehen. Als im Frühjahr 1875 die Schneeschmelze den Zugang zum Tal wieder öffnete, war es Hartmann, der als erster bemerkte, dass sich in der Familie etwas grauenvolles ereignet haben musste. Neue Holzbretter verdeckten Löcher in der Hüttenwand.

Der Boden rings um war frisch aufgewühlt und aus dem Haus drang ein süßlich fauliger Geruch, den er nur von toten Tieren oder Menschen kannte. Bridget trat ihm an jenem Tag entgegen, ausgezehrt, ergraut, mit zitternden Händen. Ihre Stimme war kaum hörbar. Der Winter war schwer. Wir haben verloren. Es gab Komplikationen. Hartmann glaubte zunächst, sie spreche von Krankheiten.
Doch schon bald sollte er begreifen, dass die Wahrheit weit schrecklicher war. Jakob Hartmann trat vorsichtig über die Schwelle, um die Familie mit amtlichen Briefen zu versorgen. Doch sofort fiel ihm auf, dass die Atmosphäre im Haus bedrückender war als je zuvor.
Die Luft war stickig, durchzogen von dem beißenden Geruch von Blut, Schweiß und etwas anderem, schwer zu beschreiben, einem süßlichen, fauligen Hauch, der das Herz schneller schlagen ließ. Im hinteren Raum lag Bridget Donnelly, offensichtlich noch geschwächt von einer Geburt. Neben ihr stand diejährige Tochter Mer, die mit geübten Handgriffen Wasser brachte, Laken ordnete und Anweisungen ihres Vaters befolgte.
Hartmann verstand sofort, hier hatte ein Kind das Licht der Welt erblickt, doch nicht irgendeines. Das Neugeborene, das er erblickte, trug deutliche Missbildungen. Die Wirbelsäule war unnatürlich gekrümmt. Die linke Hand endete in einem klumpenartigen Ansatz mit nur drei Fingern und der Kopf war grotesk vergrößert. Das kleine Wesen rang nach Atem, stieß ein klägliches Wimmern aus, das wie ein halbes Meckern klang.
Doch was Hartmann mehr erschütterte als der Anblick des Kindes, war die Reaktion der Familie. Kein Schock, keine Verzweiflung, keine Tränen. Stattdessen lag in den Gesichtern von Patrick und Bridget eine nüchterne, fast klinische Abgeklärtheit. Patrick sprach mit kühler Stimme, als ob er ein Urteil fällte.
Dieses Kind wird die Woche nicht überleben. Es ist Gottes Wille. Besser, wir lassen es gehen, als es in Leiden großzuziehen. Hartmann, tief beunruhigt, bot sofort an, nach Lor zu reiten, um einen Arzt zu holen. Doch Patrick legte ihm die Hand auf die Schulter, seine blassblauen Augen kalt wie Eis. Wir regeln unsere Angelegenheiten selbst.
Ein Arzt würde nur Sünde begehen, indem er in Gottes Entscheidung eingreift. Die anderen Kinder, Shames mit Jahren, Colin 15 und der erst zwölfjährige Decklin traten in den Raum. Keiner zeigte Überraschung. Kein erschrockenes Aufbäumen angesichts des deformierten Geschwisters. Stattdessen ein Ausdruck resignier Vertrautheit. Hartmann ahnte, dies war nicht das erste Mal.
Als er zwei Wochen später zurückkehrte, war das Kind verschwunden. Bridget, mit roten, aber trockenen Augen, murmelte leise. “Das Kleine ist drei Tage nach deinem Besuch gegangen. Wir haben es draußen beerdigt, neben den anderen.” “Neben den anderen.” Diese Worte ließen Hartmanns Blut in den Adern gefrieren.
Er trat hinaus und sah hinter der Hütte eine Reihe kleiner Holzkreuze, vier Gräber, frisch aufgeschüttet. alle zu klein für Erwachsene. Die Kreuze waren gleich groß, als wären sie im voraus vorbereitet worden. Der Boden wirkte hastig aufgeworfen, lieblos. Keine Anzeichen von Trauer, sondern von Planung. Hart man wusste.
Hier geschah etwas, das jede Grenze des Menschlichen überschritt. In den folgenden Monaten begann er, die Familie genauer zu beobachten, wann immer er Post brachte. Was er sah, verstärkte seinen Verdacht. Die Kinder bewegten sich wie Marionetten, kontrolliert und stets wachsam, als fürchteten sie die kleinste Abweichung.
Shames stotterte schwer, besonders in Gegenwart seines Vaters und wich blicken aus. Coline und M arbeiteten mit übertriebener Sorgfalt, ihre Augen voller einer Müdigkeit, die nicht zu ihrem Alter passte. Nur Decklin zeigte ab und zu Anflüge von Normalität, bis Hartmann ihn einmal dabei erwischte, wie er lange auf die kleinen Gräber starrte. Mit zitternder Stimme flüsterte der Junge: “Manchmal sagt Vater, Gott will nicht, dass die Schwachen leben.