(1876, Spessart) Die Familie Donnelly: Deutschlands verstörendstes genetisches Geheimnis

” Aber manchmal glaube ich, es ist nicht Gott, der entscheidet. Noch während er sprach, hielt er erschrocken die Hand vor den Mund, als habe er ein strenges Tabu gebrochen. Danach schwieg er den Rest des Besuchs. Hartmann hörte auch Gespräche, wenn er sich dem Haus unbemerkt näherte, Worte in irischer Sprache, aber auch deutsche Sätze, die von Reinheit des Blutes sprachen, von Opfern, die notwendig sind und davon, wie die Schwachen ausgeschieden werden müssen.

Es klang nicht nach zufälligen Äußerung, sondern nach Überzeugung, die tief in der Familie verankert waren. Im Herbst 1875 kam erneut der lange erbarmungslose Winter. Schnee und Eis schnitten das Tal vollständig von der Außenwelt ab. Niemand konnte hinein, niemand hinaus.

Hartmann bankte, was in dieser Isolation geschehen mochte, doch er hatte keine Möglichkeit einzugreifen. Es war zu dieser Zeit, dass ein neuer Arzt in Würzburg bekannt wurde, Dr. Theodor Brenner, jener Mann, der später das Grauen dieser Familie in seinen privaten Aufzeichnungen verewigen sollte. Er war erst kurz zuvor aus Wien zurückgekehrt, wo er bei führenden Medizinern seiner Zeit gelernt hatte.

Anders als die meisten Landärzte, die sich mit Wundversorgung und einfachen Kräuterheilmitteln begnügten, brachte er Bücher und Wissen über die neuesten Erkenntnisse der Vererbungslehre mit. Er hatte Vorträge über die Theorien von Francis Gaon gehört, über die Möglichkeiten, Eigenschaften durch Generationen hinweg zu verstehen. Dort Brenner suchte auf dem Land Ruhe vor einem Skandal, den er in München hinter sich gelassen hatte.

Dort hatte er zu offen über seine Ansichten gesprochen, daß man durch gezielte Auslese bessere Menschen schaffen könne. Seine Kollegen hatten dies als gefährliche Schwärmerei abgetan. Nun wollte er fernab der Universitäten forschen, ohne Aufsicht, ohne Kritik. Er konnte nicht ahnen, dass nur wenige Kilometer entfernt eine Familie ihre eigene grausame Form von Zuchtwahl betrieb, die jedes seiner Bücher wie harmlose Theorie erscheinen ließ.

Der Winter von 1875 auf 76 war besonders hart. Schneemassen türmten sich in den Wäldern des Spess und die Wege zu den entlegenen Höfen waren monatelang unpassierbar. Nur das Knirschen von Ästen unter der Last des Eises und das Heulen des Windes durch die Schluchten unterbrachen die Stille.

In dieser abgeschlossenen Welt bemerkte Jakob Hartmann immer mehr Merkwürdigkeiten rund um das Gehöft der Donnel. Er berichtete später, dass in den Nächten seltsame Lichter aus der Hütte drangen. Flammen, die zu Zeiten loderten, in denen Brennholz normalerweise gespart wurde. Er hörte Gesänge, die nicht klangen wie Kirchenlieder, sondern wie fremdartige verstimmte Melodien. Sie erinnerten an Beschwörungen, nicht an Gebete.

Und manchmal, so schwor er, habe er draußen Gestalten gesehen, die sich bei Sturm und Schneetreiben bewegten, als sei ihnen die Kälte nichts. Ihre Schritte waren unnatürlich, ihre Körper zu groß oder zu schmal, um menschlich zu wirken. Hartmann suchte Rat bei Dr. Brenner, der gerade erst seine Praxis in Würzburg eröffnet hatte. Der Arzt hörte aufmerksam zu.

Als Hartmann von den Reihen kleiner Gräber sprach, von den deformierten Kindern und dem merkwürdigen Verhalten der Familie, zog Brenner die Stirn in Falten. Das klingt nicht nach Zufällen, murmelte er, sondern nach einem Muster. Doch er konnte im Winter nicht ins Tal. Die Schneedecke war meter hoch, die Wege verschüttet. Brenner begann stattdessen Nachforschungen in Archiven.

Er durchstöberte Einwanderungsregister in Frankfurt und Würzburg, verglich Namen in alten Kirchenbüchern und stieß dabei auf Ungereimtheiten. Die Donnelies hatten behauptet, aus Irland geflohen zu sein. Sie gaben an, drei Jahre in Hamburg gewohnt zu haben, bevor sie ins Innere des Landes zogen. Doch die angeblichen Papiere, die sie vorgelegt hatten, wirkten gefälscht. In den Kirchenbüchern von Kork, wo ihre Herkunft liegen sollte, fand Brenner keine Einträge zu den genannten Kindern.

Stattdessen tauchten in anderen Orten immer wieder familiengleichen Namens auf, stets auffällig durch hohe Kindersterblichkeit. In Hessen, in der Pfalz, in Bayern selbst. Überall hatten Behörden einmal Notiz genommen. Doch die Familien verschwanden stets bevor man Untersuchungen beenden konnte. Das Bild, das sich abzeichnete, war düster. Dies war kein isoliertes Schicksal, sondern Teil einer Kette.

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