Noch weiter ging der BĂŒrgermeister in seinem Appell an die beiden groĂen Fraktionen CDU und SPD. Man mĂŒsse âdiese schlimme Sacheâ â gemeint ist die demokratische Wahl einer AfD-Politikerin â nun nutzen, âum uns zusammenzuschlieĂen und der Bevölkerung Badsalz Uflins zu zeigen, dass wir zusammen in der Lage sind zu gestalten, ohne KrĂ€fte drumherum.â Diese Formulierung âohne KrĂ€fte drumherumâ ist nichts anderes als die offene Aufforderung zur Ausgrenzung einer demokratisch gewĂ€hlten Partei, die in Bad Salzuflen bei der Bundestagswahl 2022 im Wahlkreis Lippe I bereits ein erschreckend starkes Ergebnis von 21,8 Prozent einfuhr und der CDU und SPD dicht auf den Fersen war.
Die GrĂŒnen, die bei der Wahl ihren Kandidaten verloren, stimmten in den Chor der Entsetzten ein. Robin Wagener, ein GrĂŒnen-Politiker aus Bad Salzuflen, wollte die Wahl nicht als ânormalâ hinnehmen. âEs ist ein Vorgang, der weit ĂŒber kommunale Einzelheiten hinausreichtâ, warnte er. âWenn demokratische KrĂ€fte nicht zusammenstehen, dann profitieren diejenigen, die unserer Demokratie von innen heraus aushĂŒllen wollen.â Die AfD, so Wagener im klassischen Duktus, wolle ânicht gestalten, sondern spaltenâ und lebe âvon Angst und Ressentimentâ.
Diese Argumentation kehrt die RealitĂ€t auf den Kopf. Ist es nicht vielmehr ein Aushöhlen der Demokratie, wenn man geheime Wahlen durch Vorabsprachen ad absurdum fĂŒhren will? Ist es nicht ein Akt der Spaltung, wenn man gewĂ€hlte Vertreter als âKrĂ€fte drumherumâ diffamiert, die man âzusammenâ bekĂ€mpfen muss?
Die Panik ist nicht unbegrĂŒndet, denn Bad Salzuflen ist kein Einzelfall. Erst diese Woche wurde im nordrhein-westfĂ€lischen Bochum-Watte erstmals ein AfD-Politiker, Cedrick Sonowski, zum zweiten stellvertretenden BezirksbĂŒrgermeister gewĂ€hlt. Auch hier das gleiche Muster: Sonowski erhielt eine Stimme mehr, als seine Partei Mandate in der Bezirksvertretung hat. Auch hier die gleiche Reaktion: âIch bin wĂŒtend, traurig und besorgtâ, klagte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Jan BĂŒlbecker. Man sei âentsetztâ, dass âdie demokratischen Parteien es nicht geschafft haben, das zu verhindern.â
Diese Reaktionen zeigen eine gefĂ€hrliche Verengung des Demokratiebegriffs. Demokratie ist fĂŒr viele in den etablierten Parteien offenbar nur noch dann gut, wenn das Ergebnis den eigenen WĂŒnschen entspricht. Eine Wahl, bei der ein AfD-Kandidat gewinnt â selbst wenn es sich um einen reprĂ€sentativen Posten ohne wirkliche MachtfĂŒlle handelt â wird als Betriebsunfall, als Verrat, ja als âschlimme Sacheâ gebrandmarkt.
Ein ehemaliger Journalist, Arne Heger, brachte die Verwirrung auf den Punkt, indem er in einer Mail an die Ratsmitglieder âklare Haltungâ einforderte. Das Amt sei ein âöffentlich sichtbares Signal dafĂŒr, wofĂŒr diese Stadt stehen möchte.â Die Ironie ist: Die Stadt, vertreten durch ihre gewĂ€hlten Ratsmitglieder, hat ein Signal gesendet. Nur ist es nicht das Signal, das Herr Heger, Herr Tolkemitt oder Herr Wagener hören wollten. Das Signal lautet: Die Brandmauer, die man medial und politisch mĂŒhsam hochgezogen hat, ist in der RealitĂ€t der kommunalen Parlamente, in der AnonymitĂ€t der Wahlkabine, lĂ€ngst durchlĂ€ssig geworden.

Die WĂ€hler, die 21,8 Prozent fĂŒr die AfD gestimmt haben, sehen nun, dass ihre Stimme im Parlament angekommen ist. Und die Abgeordneten, die anonym fĂŒr Rinknecht stimmten, haben vielleicht einfach nur ihrem Gewissen oder ihrer pragmatischen EinschĂ€tzung einer Kollegin im Rat den Vorzug gegeben â und nicht einer von oben verordneten ideologischen Marschroute. Das als âundemokratischâ oder âAushöhlungâ zu bezeichnen, ist eine Dreistigkeit, die an LĂ€cherlichkeit grenzt. Es ist das genaue Gegenteil: Es ist der Sieg der geheimen Wahl ĂŒber den Fraktionszwang. Es ist ein Akt, der zeigt, dass Demokratie eben doch kein Kindergarten ist, in dem vorher abgesprochen wird, wer gewinnen darf und wer nicht.