Dienstmädchen, das beim Bankett das Fleisch der Kinder ihrer Herrschaft servierte

Nur Sophie, die im Türrahmen stand, still wie eine Statue, spürte, wie die Zeit sich langsam zu dehnen begann, als wäre jeder Augenblick ein Tropfen, der in einen tiefen, dunklen Brunnen fiel. Die Gäste sprachen weiter über die außergewöhnliche Zartheit des Fleisches.

Einige meinten, sie hätten so etwas noch nie gekostet. Andere fragten sich neugierig, welches Wild die Wälder Hessens hervorgebracht hätten, das solch einen Geschmack bot. Friedrich nahm ihren Lobgesang entgegen, wie ein Herrscher, der kostbare Ehrungen empfing. “Es ist das Geheimnis unserer Küche”, sagte er mit leiser Arroganz. Und Sophie dachte, ohne dass ihr Gesicht sich veränderte, Geheimnisse.

Ja, als der Abend fortschritt, wurde der Lärm lauter, die Gläser häufiger gefüllt, die Stimmen schärfer, die Bewegung unkoordinierter. Die Kerzenflammen warfen lange flackernde Schatten an die Wände. Schatten, die tanzten und wankten wie Gestalten aus einem Albtraum. Doch inmitten dieses Chaos blieb Sopie ruhig.

Sie beobachtete, sie wartete nicht aus Ungeduld, sondern aus dem Gefühl heraus, dass die Welt gerade nach ihrem Atem strich. Und dann geschah etwas, das niemand außer ihr bemerkte. Ein Moment völliger Stille. Eine Stille, die nicht von außen kam, sondern in ihr selbst entstand.

Ein unerschütterlicher, tiefsitzender Frieden. Der Frieden eines Menschen, der einen Entschluß nicht nur gefaßt, sondern erfüllt hat. Die Gäste aßen weiter, die Familie lachte weiter, aber der Abend war nicht mehr derselbe. Es war, als hätte sich mit jedem Bissen, den sie zu sich nahm, ein unsichtbarer Faden gestrafft, als würde der ganze Saal unmerklich, aber stetig auf einen Punkt zusteuern, den keiner von ihnen kommen sah, und den niemand von ihnen hätte verhindern können.

Sophie blieb stehen, unbewegt und sah ihnen zu. wie ein stiller Zeuge, der weiß, daß das Ende bereits begonnen hatte. Als die Nacht sich weiter über das Gutshaus von Hohen Bruck legte und die Kerzen im großen Saal immer tiefer herunterbrannten, schien das Gelächter der Gäste eine Grenze zu überschreiten.

Es wurde schriller, schwerer, beinahe gehetzt. Die Gespräche drehten sich im Kreis, Stimmen überschnitten sich und manche Gäste begannen sich unruhig über die Stirn zu wischen, als läge dort ein kaum fassbarer Druck. Doch niemand brachte das Unbehagen in Verbindung mit dem Essen.

Sie tranken mehr, lachten lauter, um etwas zu übertönen, dass sie nicht benennen konnten. Währenddessen stand Sophie im Schatten eines der Seitengänge, fast unsichtbar, so wie sie es ihr Leben lang gewesen war. Ihr Rücken war gerade, ihre Hände ruhend vor sich gefaltet und ihre Augen beobachteten jede Regung im Saal mit der Wachsamkeit eines Waldtiers, das gelernt hat, Schmerz vorauszuarahnen.

Herr Friedrich, inzwischen tief in Gespräche mit zwei wohlhabenden Landbesitzern vertieft, bemerkte nicht, dass sein Gesicht langsam rötlicher wurde. Seine Bewegungen wurden schwerfälliger und seine Stimme überschlug sich an Stellen, an denen er sonst kontrolliert blieb.

Frau Elisabeth hielt sich mit einer Hand am Tisch fest, als sie aufstand. Ihr Fächer zitterte in der anderen Hand und sie lächelte gequält, während sie einem Gast versicherte, alles sei in bester Ordnung. Doch in ihren Augen blitzte etwas wie Verwirrung. Johann, der älteste Sohn, hatte aufgehört wie ein Wilder durch den Saal zu rennen.

Er saß nun reglos auf seinem Stuhl, den Blick starr auf seine Hände gerichtet, als würde er die Bewegung seiner eigenen Finger nicht mehr verstehen. Klara rieb sich unablässig die Augen, als wäre Staub hineingeraten, doch ihre Lieder flatterten unruhig und Lukas, der Jüngste, lachte nicht mehr. Er starrte auf seinen Teller, als verschiebe sich das Fleisch darauf von selbst.

Die Gäste, angeregt vom Wein und ihrer eigenen Selbstgefälligkeit, bemerkten diese Veränderungen erst spät. Einige sprachen mit schwerer Zunge, andere lehnten sich immer wieder zurück, als müssten sie sich vom Stehen bleiben der Welt überzeugen. Ein paar Gäste sahen sich um, als hätten sie plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden.

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