Friedrich Steinbrecher — Schwängerte seine 5 Töchter und zwang sie die toten Babys zu essen (1927)

Als Rapael schließlich ging, versprach er wiederzukommen, nicht als Forscher, sondern als Freund. Wochen später fand in Eichenmor eine kleine Gedenkveranstaltung statt. Dingemann hatte sie initiiert. Es war Sommerabend, warm und windstill. Die Bewohner versammelten sich auf dem Dorfplatz, einige mit Kerzen, andere mit Blumen in den Händen.

Pfarrer Bertholdt hielt eine kurze Rede über Verletzbarkeit, über Einsamkeit und darüber, wie gefährlich Schweigen sein kann. Wir tragen Verantwortung füreinander”, sagte er, “Nicht nur für das Gute, sondern auch für das, was wir fürchten.” Die Schwestern Steinbrecher waren allein. Niemand hörte sie. Dies darf nie wieder geschehen. Anna stand am Rand der Menge, begleitet von Schwester Magdalena.

Die Dorfbewohner drehten sich mehrmals zu ihr um, manche mit Rührung, manche mit Reue. Anna spürte diese Blicke, aber zum ersten Mal fühlte sie sich davon nicht erdrückt. Im Gegenteil, sie fühlte sich gesehen, nicht als Opfer, sondern als Mensch. Nach der Zeremonie trat Abundius Meier zu ihr.

Der alte Ladenbesitzer hatte Tränen in den Augen, wenn ich früher verstanden hätte. Vielleicht. Anna legte ihm sanft die Hand auf den Arm. Es ist vorbei, Herr Meier, sagte sie leise. Sie haben mich gerettet. Abundius schloos die Augen und die Last vieler Jahre schien von ihm abzufallen. Als der Abend ausklang und die Dorfbewohner in kleinen Gruppen fortging, blieb Anna noch lange stehen.

Sie betrachtete die Kerzen, die im Wind flackerten und spürte etwas, dass sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gefühlt hatte. Zugehörigkeit. In dieser Nacht schlief Anna ohne Albträume, zum ersten Mal seit vielen Jahren. Der Herbst näherte sich leise der Lüneburger Heide und mit ihm kam eine neue Farbe in Annas Leben.

Die Hitze des Sommers wich den kühleren, klareren Tagen, an denen der Wind durch die Kiefern strich und ein Duft aus feuchter Erde, Pilzen und altem Harz in der Luft lag. Die Heideblüten begannen zu verblassen, doch das Licht wurde weicher, goldener, beinahe sanft. In dieser Atmosphäre, die zugleich melancholisch und beruhigend war, begann Anna sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen, die ihr Staatsanwalt Dingemann in seinem Bericht zurückgelassen hatte.

Eines Morgens nahm sie den schweren Umschlag, den sie wochenlang ignoriert hatte, setzte sich an ihren kleinen Tisch und öffnete ihn. Die ersten Seiten waren trocken, voller Daten, medizinischer Protokolle, Aussagen der Dorfbewohner. Doch je weiter sie las, desto mehr sah sie zwischen den Zeilen ihr eigenes Leben.

Die unzähligen Momente der Angst, das Flüstern ihrer Schwestern, die Dunkelheit des Hofes. Sie las nur wenige Seiten am Tag. Manchmal legte sie das Heft weg und ging in den Garten, um ihre Hände in die Erde zu drücken. Schwester Magdalena ließ sie gewähren, beobachtete sie jedoch aus der Ferne, denn die Oberin wusste, dass diese Lektüre ein weiterer Schritt war.

Ein Schritt, der Anna entweder stärken oder erneut verletzen konnte. Gleichzeitig wuchs die Verbindung zwischen Anna und Rafael. Er besuchte das Kloster nun häufiger, manchmal für Forschungszwecke, manchmal einfach, um zu helfen. Er reparierte einen alten Brunnenstein, trug Säcke mit Kartoffeln in den Keller oder las den Nonnen vor, wenn seine Stimme gebraucht wurde. Anna brachte ihm manchmal Tee oder setzte sich zu ihm in den Garten.

Die Gespräche waren einfach, ruhig. Manchmal erzählte er von Berlin, von Bibliotheken, Straßencafes, den Menschen auf den Plätzen. Anna hörte aufmerksam zu, als lausche sie einer Welt, die sie nie kennengelernt hatte. “Gehst du irgendwann zurück?”, fragte sie eines Tages. Rafael lächelte leicht. Berlin läuft nicht weg. Und ich, nun, ich fühle mich hier gebraucht.

Anna spürte etwas in sich, das hier fremd war. ein warmes leises Aufblühen. Es machte ihr Angst, aber es tat auch gut. Im Dorf Eichenmoor hatte sich ebenfalls einiges verändert. Die Dorfbewohner kamen nun häufiger zum Kloster. Nicht alle sprachen mit Anna, aber viele brachten Kräuter, Brot, Milch oder kleine Geschenke für die Nonnen.

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