Abundius fand ein altes Brecheisen, stemmte dagegen. Das Schloss gab nach. Der Gestank wurde schlimmer. Ein enger Raum ohne Fenster, darin ein rostiges Eisenbett. Die Wände zerkratzt von Fingernägeln bis in den Leine, Blutspuren, dunkle Schlieren, als hätte jemand wochenlang in völliger Dunkelheit geschrien, gekratzt, gebettelt und Zeichnung, primitive Gestalten mit Kohle oder Blut aufgemalt.
Kleine Menschen umringt von dunklen verzerrten Wesen. Markus wirkte. Was ist hier passiert? Doch Abundius schwieg, die Kehle wie zugeschnürt. Vier weitere Zimmer fanden sie. Jedes davon wie diese Zelle. Jede verriegelt, jede mit Spuren eines Leidens, das kein Mensch ertragen sollte.
Zerrissene Frauenkleider, zerbrochene Puppen, alte Ketten. In der Küche stießen sie auf das, was ihr Leben für immer verändern würde. In der verloschenen Feuerstelle stand ein großer eiserner Topf. Abundius hob mit zitternden Händen den Deckel. Darin lagen Knochen. Kleine Knochen, unverwechselbar, menschlich. Markus fiel auf die Knie und übergab sich, sein Körper krampfend, während der Vater zurücktaumelte. Das Gesicht.
Aschfahl. Wir müssen weg, brachte Abundius hervor. Wir müssen Hilfe holen. Doch gerade, als sie das Haus verließen, erklang ein Laut, ein Stöhnen, ein dünnes, erbärmliches Wimmern aus Richtung des Stalls. Sie blickten sich an. Angst stand in beiden Gesichtern, aber sie konnten es nicht ignorieren. Der Stall war alt, manch, halb eingestürzt.
Im dämrigen Licht sahen sie eine Gestalt in einer Ecke kauern, eine Frau oder das, was von ihr übrig war. Fahl, ausgezehrt, die Wangen eingefallen, die Augen riesig in dem knochigen Gesicht, das Haar verfilzt, der Körper übersätt mit Narben. Sie war mit einer Eisenkette am Knöchel festgebunden. Ihr Flüstern war kaum hörbar.
Hilfe, bitte. Abundius kniete sich vorsichtig neben sie. Wie heißen Sie? Es dauerte, bis sie antwortete und ihre Stimme war kaum mehr als Luft. Anna, ich bin Anna Steinbrecher, die älteste, die 11 gewesen war, als sie in die Heide kam. Jetzt sah sie aus, als hätte sie Jahrzehnte in einem Kerker zugebracht.
Abundius schlug die Kette mit dem Brecheisen auf und Anna brach in seinen Armen zusammen, weinend, aber ohne Tränen, als seien ihre Tränendrüsen längst versiegt. Markus reichte ihr Wasser, dass sie gierig trank. “Wo sind deine Schwestern und dein Vater?” Annas Blick leer, schwarz wie ein erloschener Ofen. “Sie sind tot”, flüsterte sie. “Alle tot, außer mir.” Ihre Stimme brach.
Er ist vor zwei Wochen fortgegangen. Er wollte neue holen. Abundius und Markus erstarrten. Neue was? Sie wagten nicht zu fragen. Mit einem alten Karren brachten sie Anna nach Eichenmor zurück. Als sie den Dorfplatz erreichten, war tiefe Nacht, doch Abundius weckte das ganze Dorf. Innerhalb einer Stunde verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer.
Am nächsten Morgen brach eine größere Gruppe zum Hof auf. Dieses Mal kam der Dorfarzt Fahrer Emil und fas das ganze Dorf mit. Und was sie dort fanden, bestätigte die schlimmsten Befürchtungen. Doch das war erst der Anfang. Als die Dorfbewohner begleitet vom Arzt Dr. Ernst Quirin, von Pfar Emil und mehreren bewaffneten Männern am nächsten Morgen erneut den Steinbrecherhof erreichten, hing ein unheilvolles Schweigen über der Heide. Nur das ferne Rauschen des Windes fuhr durch die Wacholderbüsche.
Die Sonne war kaum aufgegangen, doch das Gelände sah bereits aus, als wäre es von einem Jahrhundert des Verfalls eingeholt worden. Die Suchtruppe durchkämte das Gelände mit einer Gründlichkeit, zu der am Vortag Mut und Zeit gefehlt hatten. Hinter dem Wohnhaus fanden sie einen alten mit Holzbohlen abgedeckten Brunnen.
Der Geruch, der ihnen entgegenströmte, als sie die Planken anhoben, ließ mehrere Männer würgen. Als sie mit langen Stangen und Haken die ersten Reste hinaufzogen, schrie eine der Frauen auf. Es waren Körper, vier junge Frauen in verschiedenen Stadien der Verwesung. Dr. Quirin kniete nieder, untersuchte, soweit es möglich war.
“Alle im Kindbett gestorben”, murmelte er mit blassem Gesicht. oder kurz danach. Zwischen den Leichen fand man Knochen, kleine winzige Knochen, sicherlich von mehreren Neugeborenen. Der Arzt war geübt im Umgang mit Tod, doch hier versagte ihm beinahe die Stimme. Mindestens neun Säuglinge, wahrscheinlich mehr.