Der Satz bricht ab.
Die bittere Wahrheit im Staub
Die Ermittler der Spurensicherung machten eine weitere, grauenhafte Entdeckung. Im Schutt des Hohlraums, neben der Kiste, fanden sie Knochenfragmente.
Dr. Lena Wandel, die hinzugezogene Rechtsmedizinerin, bestätigt: “Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um menschliche Überreste von mindestens drei Individuen. Die Todesursache ist unklar, aber die Lage der Überreste legt nahe, dass sie in diesem Raum starben.”
Die Theorie, die nun wie ein Leichentuch über Rothenberg liegt, ist fast zu monströs, um sie auszusprechen:
Hat der “Engel” Albrecht Gessner die Familie Levin nicht vor den Nazis gerettet, sondern sie in seinem Keller eingesperrt? Hat er sie dort – um an das wertvolle Gemälde zu kommen, das die Familie als letzte Sicherheit bei sich trug – elendig verhungern und verdursten lassen?
War der “Held” der Stadt ein Mörder aus Habgier?
Die Stadt im Schockzustand
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Wir trafen den Enkel von Albrecht Gessner, den angesehenen Notar Dr. Florian Gessner (68), vor seinem Anwesen. Er schrie uns an: “Lügen! Das sind alles Lügen! Eine Verschwörung! Mein Großvater war ein Held!”
Doch die Beweise in der Kiste sind erdrückend.
Im Rathaus herrscht Krisenstimmung. Bürgermeister Hannes Kroll (SPD) trat sichtlich erschüttert vor die Presse: “Sollten sich diese… diese unvorstellbaren Vorwürfe bewahrheiten, müssen wir unsere Geschichte neu schreiben. Wir sind es den Opfern schuldig.”
Die erste Konsequenz: Das Porträt von Albrecht Gessner wurde heute Morgen aus dem Ratssaal entfernt. Die Debatte um die Umbenennung der “Gessner-Straße” hat bereits begonnen.
In der lokalen Bäckerei tuscheln die Menschen. “Ich hab’s immer gewusst”, sagt eine ältere Dame, die anonym bleiben will. “Die Gessners hatten immer was Kaltes an sich. Reichtum, der auf Leichen gebaut ist.”
Ein unbezahlbares Bild und eine unbezahlbare Schuld
Das Gemälde – der mutmaßliche Kandinsky – wird nun im Landeskriminalamt auf Echtheit geprüft. Sein Wert wird auf 15 bis 20 Millionen Euro geschätzt. Es ist das teuerste Motiv eines Verbrechens, das Rothenberg je gesehen hat.
Aber der wahre Preis dieses Fundes ist nicht in Euro zu messen.
Der Fund aus der Villa Gessner ist mehr als ein Kunst-Krimi. Es ist die Geschichte einer Lüge, die eine Stadt 80 Jahre lang vergiftet hat. Es ist die Geschichte von Gier, die monströser war als jede Ideologie.
Der Staub des Abrisses hat sich gelegt. Doch der Staub der Vergangenheit, den Baggerfahrer Mike S. aufgewirbelt hat, legt sich nun schwer auf die Seele von Rothenberg. Die vergessenen Schreie aus dem Keller sind endlich erhört worden.