In der Metzgerei dauerte es länger, bis man ihn bediente. Und eines Abends, als er aus dem Stall kam, sah er, wie zwei Jungen vom Zaun sprangen und lachten, als sie den Namen Sündiger Lukas riefen. Etwas in ihm erstarrte. Am nächsten Tag arbeitete er schweigend auf dem Feld. Sophie brachte ihm das Mittagessen, doch er sah sie kaum an.
Vater fragte sie leise. Hast du etwas gehört? Man hört immer etwas, antwortete er rau. Aber was man glaubt, ist etwas anderes. Dann hob er den Kopf, sah sie lange an. Ich will, dass du mir in die Augen schaust, Sophie, und mir sagst, ob da was dran ist. Ihr Herz raste.
Woran? An dem, was die Leute sagen, über dich und Lukas. Sophie schwieg. Die Sonne brannte auf ihre Haut, aber sie fühlte nur Kälte. “Ich weiß nicht, was Sie sagen”, flüsterte sie schließlich. Johann trat näher. “Ich bin nicht dumm, Mädchen. Ich habe euch gesehen. Eure Blicke, euer Schweigen. Der Herr im Himmel mag vieles verzeihen, aber nicht alles. Also sag’s mir, bevor ich es selbst herausfinde.
” Sie wandte sich ab. Tränen brannten ihr in den Augen. “Ich kann nicht”, hauchte sie. “Das war Antwort genug.” In dieser Nacht schlief Johann nicht. Er saß am Tisch mit einer Kerze und trank Schnaps, die Hände zitternd. Über ihm hing das Kreuz seiner verstorbenen Frau und er flüsterte: “Katharina, was ist aus unseren Kindern geworden?” Als er Schritte hörte, stand er auf. Lukas ging durch den Flur, barfuß.
Die Tür zu Sophies Zimmer stand halb offen. Johann folgte ihm lautlos. Er wußte, was er sehen würde. Und doch hoffte er, sich zu täuschen. Er trat näher und durch den Spalt sah er seine Kinder, die Tochter in Tränen, den Sohn, der sie umarmte und den Schmerz in beider Gesichtern, der jede Lüge überflüssig machte.
Sein Schrei zerriss die Nacht. Ihr Verfluchten donnerte seine Stimme durch das Haus. Sophie fuhr zurück. Lukas stellte sich schützend vor sie. Vater, bitte, es ist nicht wie du denkst. Nicht wie ich denke. Johann trat näher, die Augen rot vor Zorn. Ihr habt das Haus eurer Mutter beschmutzt. Ihr habt Gott ins Gesicht gespuckt. Sophie sank auf die Knie.
Ich wollte das nicht, Vater. Ich schwöre, ich habe gekämpft, gebetet. Schweig, brüllte er. Du bist keine Tochter mehr von mir. Lukas packte den Vater am Arm. Sprich nicht so mit ihr. Laß mich los oder ich vergesse, daß du mein Sohn bist. Einen Moment standen sie sich gegenüber, der alte Mann, bebend vor Wut und der Junge, getrieben von verzweifelter Liebe.
Dann schlug Johann ihm ins Gesicht mit der Wucht von Jahrzehnten harter Arbeit und Enttäuschung. Lukas taumelte, richtete sich auf, aber tat nichts. “Raus aus meinem Haus!” schrie der Vater, “noch heute? Ich will dich hier nie wiedersehen.” Sophie weinte, klammerte sich an Lukas Arm. “Bitte geh nicht, bitte.” Doch Lukas blickte nur in die Augen seines Vaters, kalt und glühend zugleich.
“Ich gehe”, sagte er leise, “aber nicht allein.” Johann packte Sophie und zog sie zurück. Sie bleibt und wenn du sie wirklich liebst, dann lässt du sie retten von Gott, nicht von dir. In der Stille danach hörte man nur das Ticken der Uhr und das Schluchzen aus Sophies Kehle. Lukas ging hinaus in die Nacht, den Regen im Gesicht, den Schmerz im Herzen.
Sophie blieb am Boden, während ihr Vater auf die Knie fiel und den Rosenkranz zerdrückte, den er in den Händen hielt. Herr, vergib uns”, flüsterte er, “denn wir sind verloren.” Am nächsten Morgen lag das Dorf still, doch das Schweigen war trügerisch. Die Nachricht hatte sich wie Feuer über trockenes Gras verbreitet.
Johann Münzer hatte seinen Sohn mitten in der Nacht aus dem Haus gejagt. Niemand wusste genau warum, aber jeder glaubte es zu wissen. In der Bäckerei wurde getuschelt. Auf dem Kirchplatz flüsterten die Frauen und beim Wirzhaus wurde Lukas Name nur noch hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen.
“Man sagt, er hat seine Schwester entehrt”, murmelte jemand. “Gott bewahre”, flüsterte eine andere. “Das Blut der Münzers war immer stark, aber das das ist Teufelswerk.” Sopie trat kaum noch aus dem Haus. Sie miet alle Blicke, alle Straßen. Nur zum Brunnen ging sie am frühen Morgen, wenn noch Nebel über den Feldern lag.