Sie sagen, sie singen die Männer zu sich und wer ihrem Lied folgt, kommt nie mehr herunter. Ihre Worte hingen in der Luft wie kalter Rauch. Doch Thomas war kein Mann, der Warnungen beachtete. Er war gekommen, um die Wahrheit zu finden. Und am nächsten Morgen unter einem Himmel, der schwer von Schnee war, nahm er den alten Pfad, der hinauf zum Hof der Schäferschwestern führte.
Der Pfad war schmal und überwuchert, kaum mehr als ein Wildwechsel, der sich durch den dichten Wald wand. Der Boden war matschig vom letzten Regen und der Geruch von feuchtem Laub und Tannennadeln hing schwer in der Luft. Thomas Atem bildete kleine Wolken, die sich sofort im Nebel auflösten. Je höher erstieg, desto stiller wurde es. Kein Vogel, kein Wind, nur das leise Tropfen von Schmelzwasser von den Zweigen.
Nach fast einer Stunde erreichte er eine Lichtung. Dort stand der Hof der Schäferschwestern. Das Haus war aus dunklem, vom Wetter gegärbtem Holz, das Dach mit schwerem Moos überzogen. Aber die Scheune, die Scheune sah anders aus. Sie war aus neueren Balken errichtet, mit massiven Eisenbeschlägen und die Fenster waren von innen vernagelt.
Ein merkwürdiger Geruch hing in der Luft, eine Mischung aus Rauch, Harz und etwas Süßlichem, das Thomas nicht zuordnen konnte. Er blieb stehen, das Herz hämmernd, als er ein Geräusch hörte. Ein Summ. Leise, fast melodisch, kam es aus der Scheune. Es war kein Lied, das er kannte. Und doch hatte es etwas Beschwörendes, ein gleichmäßiger Rhythmus wie von mehreren Stimmen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Sein Verstand sagte ihm, er solle umkehren. Aber der Journalist in ihm, der an Wahrheiten glaubte, die man beweisen konnte, trieb ihn weiter. Er ging auf das Haus zu. Bevor er klopfen konnte, öffnete sich die Tür. In der Öffnung stand eine Frau, groß, hager, mit einem Gesicht, das wie aus Stein gemeißelt schien.
Ihre Augen waren hell, fast farblos und blickten ihn an, als könne sie in seinem Kopf lesen. “Was wollen Sie hier?”, fragte sie. “Ihre Stimme war ruhig, aber ohne jede Wärme. Fräulein Schäfer, Thomas nahm den Hut ab. Mein Name ist Thomas Abrad, Freiburger Zeitung. Ich schreibe über das Leben hier oben, über die Menschen, die in der Abgeschiedenheit leben.
Vielleicht könnten sie mir ein paar Fragen beantworten. Sie sah ihn noch einen Moment an, dann sagte sie knapp: “Wiren nicht mit Zeitungsleuten.” Schon wollte sie die Tür schließen, da erklang aus dem Innern ein Lachen. Eine zweite Frau trat hervor. Kleiner, mit dselben scharfen Gesichtszügen, aber einem Ausdruck, der fast kindlich wirkte. Ihr Lächeln war zu breit. zu star.
“Ach, Elisabeth”, sagte sie singend, “Vielleicht will der Herr hören, wie wir dem Herrn dienen. Das ist doch nichts Böses, nicht wahr?” Sie wandte sich an Thomas und ihr Blick ließ ihn frösteln. “Wir sind gottesfürchtige Frauen, Herr Abenrat. Seit unser Vater zu Gott gegangen ist, leben wir allein und arbeiten in seinem Namen.
Elisabeth, die Ältere, wicht zur Seite als Zeichen, dass er eintreten durfte. Der Duft von getrockneten Kräutern, Weihauch und etwas Bitterem schlug ihm entgegen. Das Innere des Hauses war schlicht, aber markellos sauber. Überall lagen Bibeln, Gebetsbücher, getrocknete Bündel aus Salbei und Lavendel hing von den Deckenbalken.
Martha sprach ununterbrochen mit dieser singenden Stimme, während Elisabeth schweigen Tee einschenkte. Sie erzählten von ihrem Glauben, von harter Arbeit, von Einsamkeit. Es war alles zu glatt, zu einstudiert. Thomas lächelte, stellte höfliche Fragen, doch innerlich nagte das Misstrauen. Es war eine Aufführung. Er spürte es.
Als er sich zum Gehen erhob, fiel sein Blick auf etwas auf einem kleinen Tisch neben der Tür. Eine Holzfigur, ein Vogel, so fein geschnitzt, dass er zu atmen schien. Thomas erstarrte. Er kannte diese Arbeit. Er hatte sie auf einem vermißen Plakat gesehen. Jakob Möring, ein junger Holzschnitzer, der vor 5 Jahren verschwunden war.
Der Vogel war exakt wie auf dem Foto beschrieben, bis zu den winzigen Kerben an den Federn. Kein Zweifel. Thomas lächelte noch einmal, dankte den Schwestern und verließ das Haus. Aber seine Hände zitterten, und als er den Hof hinter sich ließ, hörte er das Summen aus der Scheune wieder, lauter jetzt, fast wie ein Chor. Noch in derselben Nacht saß Thomas an dem kleinen Schreibtisch in seinem Zimmer bei Frau Kaltenbach.