Als er das Ohr anlegte, hörte er Schritte, ein Klirren von Metall, dann ein Laut, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein Stöhn, menschlich, dumpf, verzweifelt. Er wich zurück, das Herz raste. Ein Teil von ihm wollte davon laufen, doch der andere, der Journalist, der Wahrheitssucher, drängte ihn zu bleiben.
Der Gedanke an die Holzfigur, an Jakob Möing ließ ihm keine Ruhe. Die Tür des Wohnhauses öffnete sich plötzlich. Thomas erstarrte, eine Lampe leuchtete auf und eine Gestalt trat hinaus. Elisabeth Schäfer. Sie trug einen dicken Mantel, in der Hand eine Petroleumlampe. Das Licht schnitt durch die Dunkelheit und glitt über den Hof, über die Scheune, über den Schnee.
Thomas duckte sich hinter einen Stapel Brennholz. Die Frau blieb stehen, drehte sich langsam um, als spüre sie etwas. Dann ging sie weiter zur Scheune, schloss die Tür auf, trat ein. Einen Moment lang sah Thomas in das Innere. Schatten, Bewegung, etwas, das sich wandt. Dann fiel die Tür zu, das Summen verstummte.
Eine Ewigkeit lang rührte er sich nicht. Dann, als die Lampe im Haus wieder erlosch, wagte er es, sich zu bewegen. Er wußte jetzt, daß er zurückkehren mußte, mit Werkzeug, mit Mut, mit allem, was er hatte, nicht um einen Artikel zu schreiben, sondern um die Wahrheit ans Licht zu bringen, die dort drinnen gefangen war. Er ahnte noch nicht, dass die Wahrheit ihn verschlingen würde.
Am nächsten Abend, als das Dorf im Schlaf lag, kehrte Thomas zurück. Er trug diesmal eine kleine Brechstange, die er im Schuppen von Frau Kaltenbach gefunden hatte und einen Hammer, den er in Zeitungspapier gewickelt hatte, um das Geräusch zu dämpfen. Der Himmel war tief schwarz und dichter Nebel zog zwischen den Bäumen auf.
Es roch nach Erde und kaltem Metall. Die Scheune ragte vor ihm auf wie ein dunkler Tempel. Kein Licht, kein Laut, nur das ferne Bällen eines Hundes irgendwo im Tal. Thomas hielt inne, lauschte, dann setzte er das Eisen an das Schloss. Das Metall ächzte, das Holz stöhnte. Der Lärm schien ihm unerträglich laut, doch niemand kam.
Schließlich gab das Schloss nach. Er schob die Tür langsam auf. Der Geruch traf ihn wie ein Schlag. Verwesung, Schweiß, alte Feulnis, vermischt mit einem süßlichen Hauch von Kräutern. Sein Atem stockte. Die Luft war dick und warm, obwohl draußen Frost herrschte. Die Laterne flackerte, warf Schatten über die Wände und da sah er sie.
Reihen von Männern, angekettet an die Balken, bleich, abgemagert, mit leeren Augen. Manche bewegten sich, manche nicht. Einige murmelten etwas, eine Art Gebet oder Lied, das keinen Sinn ergab. Das Sum. Es kam von ihnen. Thomas trat näher, Schritt für Schritt. Einer der Männer hob den Kopf. Sein Gesicht war eingefallen, aber die Augen, die Augen lebten. “Sie sind nicht einer von ihnen”, flüsterte er mit heiserer Stimme. “Bitte helfen Sie uns.
” Thomas kniete sich neben ihn. “Wie lange sind Sie hier?” Der Mann schluckte schwer. Drei Monate, vielleicht vier. Ich war auf dem Weg nach Westen, wollte Arbeit suchen in den Minen bei Sabrücken. Sie gaben mir Tee. Danach nichts mehr. Er zeigte auf die anderen. Manche sind seit Jahren hier. Sie lassen uns arbeiten am Tag auf dem Feld. Nachts er stockte.
Nachts kommen sie mit Tränken, mit Gesängen. Sie sagen, sie schaffen ein reines Blut. eine neue Schöpfung. Wir sind nur Werkzeug. Thomas spürte, wie ihm die Hände zitterten. Er blickte in die Gesichter um sich. Menschen, keine Mythen, keine Geister. Männer, gebrochen, vergessen. Ich hole Hilfe, flüsterte er.
Ich bringe Sie hier raus. Wenn Sie einen von uns mitnehmen, sagte der Mann, Samuel, so nannte er sich, werden Sie es wissen. Dann töten Sie die anderen, gehen Sie, holen Sie die Gendarmerie, kommen Sie mit vielen Männern. Doch da öffnete sich plötzlich die Tür. Kaltes Mondlicht fiel in die Scheune.
In der Öffnung stand Elisabeth Schäfer, eine Silhouette aus Dunkelheit und Stahl. In der Hand hielt sie einen Holzknüppel, ihr Gesicht, reglos. Was haben wir denn hier?”, sagte sie leise. “Noch ein Freiwilliger für Gottes Werk.” Thomas richtete sich auf, die Brechstange in der Hand, das Herz im Hals. Worte, Pläne, Mut, alles wich einem dumpfen Instinkt überleben. Er hob die Stange. Elisabeth trat näher.