Beide Männer fielen auf die Knie, keuchend, zitternd, halblind. Der Regen löschte die letzten Flammen. Der Rauch stieg wie ein grauer Schleier auf. Niemand sprach. Erst als die ersten Dämmerungsstreifen am Horizont erschienen, hörten sie Stimmen. Viele, durcheinander, laut. Laternen tauchten auf. Männer in Uniform, Dorfbewohner neugierig, verängstigt.
Jemand rief Thomas Namen. Ein Offizier. Herr Abenrad, sind Sie das? Er nickte, unfähig zu antworten. Im Dorf sagten sie, sie seien tot. Wir kamen, weil Rauch gesehen wurde. Was ist hier geschehen? Thomas sah auf die Asche, auf die Reste der Ketten, die noch im Boden glühten. Die Wahrheit, sagte er heiser.
Die Wahrheit ist endlich verbrannt. Der Morgen nach dem Brand war still. Kein Wind, kein Vogel, nur der schwache Geruch von Rauch, der über der Asche hing. Die Männer vom Gendarmerie Kommando durchkämten den Hof. Ihre Stimmen waren gedämpft, fast ehrfürchtig. Zwischen den verkohlten Balken fanden sie Reste von Eisenringen, verbrannte Kleidung, Knochen.
Einer der Beamten übergab Thomas eine Decke, doch ihm war nicht kalt. Er sah auf das, was von der Scheune geblieben war, und fühlte nichts. Keine Erleichterung, keinen Triumph, nur eine schwere Lehre, die sich wie Blei in seiner Brust ausbreitete. Samuel saß auf einem umgestürzten Karren, das Gesicht in den Händen, unfähig zu sprechen.
Als die Sonne stieg, kamen die Journalisten aus Freiburg, aus Karlsruhe, sogar aus Berlin. Sie stellten Fragen, drängten sich, wollten Details, Schlagzeilen. Wie lange haben Sie dort gelebt? Stimmt es, dass es über 30 Opfer waren? Was war das Motiv? Thomas antwortete kaum. Er schrieb später in seinem Bericht nur einen Satz: “Die Hölle braucht keinen Teufel, nur Schweigen.
” Die Ermittlung dauerten Wochen. Die Beamten fanden in Marthas Zimmer Bücher, keine Bibeln, sondern Aufzeichnungen. Darin stand alles. Listen von Männern, Beschreibungen der Rituale, Zeichnungen, die keiner deuten konnte. Am Rand einer Seite hatte sie geschrieben: “Der Leib ist das Gefäß. Der Wille, das Feuer. Wir reinigen, um neu zu sehen.
Die Schwestern Schäfer wurden postum zu Symbolen für Wahnsinn und Verderben erklärt. Man sprach vom Fall Schwarzwald, als sei es ein Sturm, kein Verbrechen. Thomas musste mehrmals aussagen. In einem kleinen Gerichtssaal in Freiburg saß er zwischen Aktenstapeln, die nach Schimmel und Tinte rochen und sprach über das, was er gesehen hatte, über die Männer, die Ketten, das Summen. Der Richter nickte, schrieb, fragte kaum.
In der Presse erschien bald der Artikel Die schweigende Ernte von St. Georgen. Thomas Bericht gedruckt auf der Titelseite. Er wurde über Nacht berühmt. In Berlin las man ihn beim Frühstück. In München diskutierten Professoren über den moralischen Verfall der Provinz. Doch für Thomas war es kein Sieg. Er blieb noch einige Wochen in Trieber.
Jeden Morgen ging er zum Hügel über dem verbrannten Hof. Das Land dort war schwarz, tot. Kein Gras wuchs, keine Kräuter, keine Geräusche. Und manchmal, wenn der Wind von Osten kam, glaubte er, eine leise Melodie zu hören, ein Summen, das von weit her kam, wie aus dem Boden selbst. Dann drehte er sich um und ging schneller, ohne zurückzublicken.
Samuel kehrte nach Hause zurück nach Rheinland Pfalz. Seine Schwester hatte ihn längst für Tod gehalten. Man sagte, er lebte fort an zurückgezogen, sprach nie wieder über die Schäfer Schwestern. Manche meinten, er sei an einem kalten Frühlingstag in den Wald gegangen und nie wiedergekehrt. Niemand suchte ihn lange. Thomas fuhr im Frühjahr nach Freiburg zurück.
Sein Redakteur umarmte ihn, klopfte ihm auf die Schulter, nannte ihn einen Helden des freien Wortes. Doch in Thomas Augen lag etwas, das kein Applaus berühren konnte. In seinem Zimmer über dem Schreibtisch hängte er ein Foto. Die verbrannte Scheune, aufgenommen am Morgen nach dem Feuer. Die geborstenen Balken ragten in den Himmel wie Finger eines ertrunkenen Tieres.
Daneben im Dreck sah man noch Reste von Ketten. Darunter schrieb er mit schwarzer Tinte: “Wahrheit ist nie frei. Jemand zahlt immer.” Die Monate vergingen, doch der Schwarzwald blieb in Thomas Gedanken wie ein Schatten, der sich nicht abwaschen ließ. Er schrieb weitere Artikel, Reportagen über soziale Missstände, über Armut, über Glauben und Macht.