(1852) Die makabre Geschichte der Familie Kraus: Großmutter redete immer noch in ihrem Grab

Johann Müller berichtete, dass die nächtlichen Stimmen vom Kraus’schen Hof nicht aufgehört, sondern zugenommen hatten. Jetzt waren sie fast jede Nacht zu hören, manchmal bis in die frühen Morgenstunden hinein. Was die Berichte besonders beunruhigend machte, war die zunehmende Detailgenauigkeit. Müller behauptete, nicht nur Marthas Stimme, sondern auch die Antworten der anderen Familienmitglieder hören zu können.

„Es klingt, als würden sie sich über alltägliche Dinge unterhalten“, berichtete er Weber, „ganz normale Familiengespräche, nur dass eine der Stimmen von einer Toten stammt.“

Heinrich Kraus zeigte sich bei weiteren Befragungen zunehmend mürrisch. Er bestand darauf, dass seine Familie ein Recht auf Privatsphäre habe und dass die nächtlichen Gespräche niemanden etwas angingen.

„Meine Familie ist gesund“, erklärte er barsch. „Was wir in unserem eigenen Haus tun, geht niemanden etwas an. Wenn die Nachbarn Probleme mit Geräuschen haben, sollen sie ihre Fenster schließen.“

Margarete Kraus wurde in diesen Wochen nur selten außerhalb des Hofes gesehen. Jetzt übernahm Heinrich alle Besorgungen, während seine Frau praktisch unsichtbar blieb. Die wenigen Male, wenn Nachbarn sie zu Gesicht bekamen, beschrieben sie sie als verändert, dünner, blasser, mit einem Ausdruck, als würde sie ständig auf etwas lauschen.

Die Kinder der Familie zeigten ebenfalls auffällige Veränderungen. Wilhelm, der älteste Sohn, blieb nun ausschließlich auf dem Hof. Anna, das einzige Mädchen, das zuvor Kontakt zu den anderen jungen Frauen des Dorfes gehalten hatte, wurde nicht mehr gesehen. Besonders beunruhigend war das Verhalten des jüngsten Sohnes Friedrich. Er kam seit Wochen nicht mehr zur Schule.

Das Kraus’sche Anwesen selbst begann, Zeichen der Vernachlässigung zu zeigen. Der Hof wirkte ungepflegt, Werkzeuge blieben liegen. Besonders auffällig war, dass alle Fenster im Obergeschoss nun durchgängig mit dunklen Tüchern verhängt waren. Selbst tagsüber drang kein Licht aus Marthas ehemaliger Kammer oder den anderen Räumen im oberen Stockwerk. Das Haus wirkte, als hätte es seine Augen geschlossen.

Weber führte in diesen Wochen regelmäßige nächtliche Beobachtungen durch. Die Stimmen folgten einem Rhythmus. Sie begannen meist gegen Mitternacht, wurden gegen zwei Uhr morgens am lautesten und verstummten kurz vor Sonnenaufgang. An einem besonders klaren Novemberabend notierte Weber: Die Stimme der Verstorbenen ist heute besonders deutlich zu vernehmen. Sie scheint Anweisungen zu geben. Die anderen Stimmen antworten mit ,Ja, Mutter‘ oder ähnlichen Bestätigungen. Es ist, als würde ein normales Familiengespräch geführt, nur dass eine der Teilnehmerinnen seit neun Monaten tot ist.

Gegen zwei Uhr morgens wurde die Unterhaltung so laut, dass Weber einzelne Worte verstehen konnte. Er hörte Martha sagen: „Ihr vergesst eure Pflichten!“, gefolgt von gemurmelten Entschuldigungen. Dann wieder Marthas Stimme: „Friedrich muss lernen. Wilhelm muss verstehen. Anna darf nicht schwach werden.“

Doch Weber ahnte, dass seine rationale Erklärung nicht ausreichte, um das zu erfassen, was auf dem Kraus’schen Hof vor sich ging.

Friedrich Kraus, der jüngste Sohn der Familie, entwickelte in den Wochen nach seiner letzten Teilnahme am Schulunterricht eine Routine, die seine Geschwister und Eltern mit wachsender Unruhe beobachteten. Jeden Abend, wenn die Familie nach dem kargen Abendessen in der Küche versammelt war, starrte der zwölfjährige Junge zur Decke und lauschte Geräuschen, die nur er zu hören schien.

Was später aus verschiedenen Quellen rekonstruiert werden konnte, war ein Bild von Friedrichs Leben in den Monaten nach Marthas Tod, dass die offizielle Familienversion der Ereignisse in einem anderen Licht erscheinen ließ. Der Junge hatte eine besonders enge Beziehung zu seiner Großmutter gehabt. Nach Marthas Tod hatte Friedrich zunächst normal reagiert. Die Veränderung begann Mitte September. Friedrich begann, seiner Mutter Fragen über Großmutters Kammer zu stellen. Er wollte wissen, warum die Tür verschlossen war und was mit Großmutters Sachen geschehen sei.

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