(1852) Die makabre Geschichte der Familie Kraus: Großmutter redete immer noch in ihrem Grab

Mitte Dezember 1852 erreichte Pastor Hartmann ein Brief von Dr. Ernst Bollmann, einem Arzt aus Goslar. Heinrich Kraus hatte ihn aufgesucht und um Medikamente gebeten, die „die Stimmen leiser machen könnten.“ Dr. Bollmann hatte eine Untersuchung verlangt, die Heinrich abgelehnt hatte.

Am 18. Dezember 1852 trafen Dr. Bollmann, Pastor Hartmann und Weber am Kraus’schen Hof ein. Heinrich empfing sie mit schlecht verholener Feindseligkeit.

„Wir haben um keinen Besuch gebeten“, erklärte er barsch.

Dr. Bollmann bestand darauf, wenigstens die Kinder kurz zu sehen. Was sie sahen, schockierte selbst den erfahrenen Arzt. Margarete Kraus war kaum wiederzuerkennen, abgemagert, ihre Haut gelblich, ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Sie bewegte sich wie eine Schlafwandlerin. Die Kinder zeigten ähnliche Anzeichen von Erschöpfung. Am erschreckendsten war der Zustand Friedrichs.

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Pastor Hartmann versuchte ein anderes Herangehen.

„Heinrich, ich kenne deine Familie seit Jahren. Was hier vor sich geht, ist nicht normal. Deine Kinder brauchen Hilfe.“

Er bot an, sie vorübergehend bei anderen Familien im Dorf unterzubringen. Die Reaktion war explosiv.

„Niemand nimmt meine Familie auseinander!“, schrie Heinrich die Besucher an. „Wir gehören zusammen, hier in diesem Haus. Mutter hat es so gewollt und so wird es bleiben.“

Das Wort „Mutter“ schien eine sofortige Wirkung auf die anderen Familienmitglieder zu haben. Alle blickten gleichzeitig zur Decke, als hätten sie ein Geräusch gehört.

Dr. Bollmann nutzte diesen Moment, um Friedrich direkt anzusprechen.

„Junge, kannst du mir sagen, wie du dich fühlst?“

Friedrich blickte zwischen seinem Vater und dem Arzt hin und her, und sagte dann nur:

„Großmutter ist immer noch hier.“

Die drei Besucher tauschten bedeutsame Blicke aus. Es war offensichtlich, dass die Familie in einer Art psychologischem Zustand gefangen war, der professionelle Hilfe erforderte.

Dr. Bollmann kehrte am nächsten Morgen allein zum Kraus’schen Hof zurück. Er fand Margarete in der Küche, wo sie mechanisch Kartoffeln schälte.

„Mutter Martha ist noch bei uns“, sagte sie mit tonloser Stimme. „Sie passt auf uns auf. Sie sorgt dafür, dass wir zusammen bleiben.“

„Aber ihre Schwiegermutter ist tot, Frau Kraus. Sie ist begraben.“

Margarete schüttelte langsam den Kopf und zum ersten Mal zeigte sich ein Ausdruck in ihren Augen: eine Art fanatische Gewissheit.

„Der Körper ist begraben, aber Mutter Martha ist hier.“ Sie blickte zur Decke. „Sie ist immer hier.“

Margarete führte Dr. Bollmann in die Stube, wo die drei Geschwister auf der Bank saßen.

Friedrich war der einzige, der bereit schien zu sprechen.

„Großmutter kommt jede Nacht zu uns“, begann der Junge mit piepsender Stimme zu erzählen. „Sie sagt, wir dürfen das Haus nicht verlassen, weil draußen schlechte Menschen sind, die Familien auseinanderreißen wollen.“

„Und ihr alle könnt eure Großmutter hören?“

Wilhelm und Anna nickten stumm.

„Sie ist in ihrer Kammer. Mutter bringt ihr jeden Tag Essen und Wasser. Großmutter ist sehr müde vom Sterben, aber sie wird wieder stark.“

„Friedrich“, unterbrach Wilhelm plötzlich mit heiserer Stimme, „Du redest zu viel.“

„Großmutter sagt, wir sollen ehrlich sein“, antwortete Friedrich trotzig.

„Großmutter sagt auch, dass wir vorsichtig sein sollen“, konterte Wilhelm und warf einen ängstlichen Blick zur Decke.

„Friedrich, kannst du mir zeigen, wo eure Großmutter ist?“

Der Junge blickte ängstlich zu seiner Mutter, die wie erstarrt da stand. Nach einem Moment nickte Margarete langsam.

„Mutter Martha möchte, dass er es sieht“, sagte sie. „Sie sagt, wenn er versteht, wird er uns in Ruhe lassen.“

Friedrich stand auf und führte Dr. Bollmann zur Treppe.

Was Dr. Bollmann in den nächsten Minuten erlebte, sollte ihn für den Rest seines Lebens verfolgen. Friedrich führte ihn zu einer Tür am Ende des Flurs, der Tür zu Marthas Kammer. Sie war nicht verschlossen, sondern nur angelehnt.

„Großmutter schläft noch“, flüsterte Friedrich, bevor er die Tür öffnete. „Aber sie weiß, dass wir da sind.“

Dr. Bollmann öffnete die Tür und trat ein. Der süßliche, schwere Geruch, den er sofort bemerkte, war ihm als Arzt vertraut. Es war der Geruch von Verwesung, aber alt und irgendwie konserviert. Über dem Verwesungsgeruch lag ein anderer Duft: getrocknete Kräuter und Blumen.

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