Sein Haus war unberührt, nur sein Schreibtisch geöffnet. Auf der Innenseite der Schublade war das Symbol eingeritzt, ein Kreis durchzogen von einer Linie und darunter die Worte in Silentio, Fortitudo. In der Stille liegt die Kraft. Etwa zurelben Zeit hielt in Wien ein anonymer Redner Vorträge in privaten Salons über psychische Disziplin und Erneuerung.
Die Zuhörer beschrieben ihn als hochgewachsenen Mann mit hellem Haar, vielleicht vierzig Jahre alt, der sich Herr von Dalen nannte. Sein Gesicht sei auffallend ausdruckslos gewesen, seine Bewegungen kontrolliert, präzise, fast unnatürlich. Eine Zuhörerin schrieb später in ihr Tagebuch.
Er sprach von seinem Vater, der den Schmerz besiegt habe, und von seiner Mutter, die den Willen erlöst habe. Er sagte, der Mensch müsse den eigenen Geist töten, um ihn zu retten. Und als er diese Worte sprach, blickte er mich an und ich konnte mich nicht bewegen. Mehrere Zuhörer berichteten von ähnlichen Empfindungen: Lähmung, Schweigen, Kälte.
Einer sagte, er habe nach der Rede tagelang das Gefühl gehabt, jemand anderes denke für ihn. Der Name von Dalen verschwand bald wieder aus den Wiener Zeitungen, doch im Herbst tauchte er in Berlin auf. Dort eröffnete eine neue Praxis mit dem Namen Institut für mentale Hygiene. Ihr Leiter Dr. Bernhard von Dalen. Die Methoden des Instituts waren geheim, doch Patienten berichteten von Behandlung, die die Stimme im Kopf zum Schweigen bringen sollten.
Viele fühlten sich danach befreit, doch einige verschwanden spurlos. Ein Brief eines dieser Patienten, Otto Halm, wurde später im Archiv gefunden. Ich dachte, ich würde gesund, aber jetzt höre ich sie nachts, wenn alles still ist. Eine Stimme, die nicht meine ist, sagt: “Ich soll gehorchen. Ich weiß nicht wem. Ich weiß nur, dass es süß ist zu gehorchen.
Kurz darauf nahm Heelm sich das Leben. Der Psychiater Dr. Georg Neufeld, der das Institut untersuchte, stellte fest, dass alle Angestellten dasselbe Medaillon trugen, einen Kreis mit einer Linie. Als er den Direktor darauf ansprach, lächelte dieser und sagte: “Das ist das Siegel der Reinheit. Es erinnert uns daran, dass wir nicht wir selbst sind.
Neufelsbericht endete mit den Worten: “Ich glaube, diese Menschen sind nicht hypnotisiert. Sie sind überzeugt. Sie sind die Erben einer alten Lehre, der Lehre, das Freiheit eine Krankheit sei.” Er starb noch imselben Jahr bei einem Autounfall auf der Landstraße zwischen Potzdam und Berlin. Sein Wagen fing Feuer und die Polizei fand keine Bremsspuren. Im Winter des Jahres 1933, kurz nach dem Regierungswechsel in Deutschland begann das Institut plötzlich eng mit staatlichen Behörden zusammenzuarbeiten.
Man sprach von mentaler Schulung, Disziplinierung der Wahrnehmung und Steigerung der geistigen Effizienz. Die Ideale der neuen Zeit, Gehorsam, Reinheit, Ordnung klang beunruhigend ähnlich den Formeln, die einst aus dem Mund von Bartolomeus Dalmann gekommen waren. Ein interner Bericht eines hohen Beamten, der Jahrzehnte später in einem Privatarchiv entdeckt wurde, trug den Vermerk: “Die Methoden des Instituts von Dalen sind von großem Nutzen für die Ausbildung der Führungskräfte. Ihre Theorien über Willensübertragung verdienen staatliche Unterstützung.
Darunter eine handschriftliche Notiz: Der alte Traum lebt wieder, der Vater schläft nicht. Im Jahr 1935 wurde das Institut offiziell geschlossen, angeblich wegen organisatorischer Umstrukturierung. Doch die leitenden Ärzte verschwanden nicht.
Sie erhielten neue Posten in Forschungsabteilungen, in Kliniken, in militärischen Laboren. Unter ihnen war auch Dr. Margareta von Dalen, offiziell Spezialistin für psychologische Konditionierung. “Ein Zeuge, ein ehemaliger Pfleger”, beschrieb sie. “Sie sprach nie laut, aber wenn sie einem in die Augen sah, konnte man sich nicht rühren. Sie nannte die Menschen nicht Patienten, sondern Subjekte und sie schrieb alles auf.
jede Reaktion, jeden Blick. Ich glaube, sie suchte etwas, das jenseits des Todes lag. Nach Kriegsbeginn verschwanden alle Aufzeichnungen. Doch im Jahr 1946 fand man in einem halb zerstörten Keller in Leipzig eine Metallkiste. Darin befanden sich verbrannte Papiere, Glasröhren und ein Notizbuch, auf dessen Deckel in lateinischer Schrift stand.