Im Schein der Öllampe berichtete Friedemann, was er in seinen Notizen nie hatte aussprechen wollen. Ich war zweimal in jenem Haus, Herr Kommissar. Das erste Mal wegen Frau Dahlmann, das zweite Mal im Mai des vorigen Jahres wegen des Sohnes Thomas. Er hatte angeblich den Arm bei einem Sturz vom Pferd gebrochen, doch die Fraktur war keine typische Sturzverletzung. Es war, als hätte jemand mit berechneter Kraft den Knochen gedreht, bis er brach.
Friedemann beugte sich vor, die Stimme zitterte. Ich sah auch die Tochter Margareta, wunderschön, aber leer. Ihre Augen reagierten nicht, wenn man sprach, nur, wenn der Vater eine Geste machte. Dann veränderte sich ihre Haltung, ihr Gesichtsausdruck wie bei einer Marionette.
Ich schwöre, Herr Kommissar, sie sind nicht nur Opfer, sie sind Geschöpfe seiner Hand. Picker fragte, ob es möglich sei, dass Dalmann seine Frau und Kinder durch Drogen oder Hypnose kontrollierte. Friedemann antwortete zögernd. Er war ein Mann, der an die völlige Formbarkeit des menschlichen Geistes glaubte. Er sprach einst davon, daß der Wille eine Krankheit sei, die man heilen könne. Ich hielt es damals für philosophisches Gerede.
Nun fürchte ich, es war ein Programm. Kurz darauf erreichte Picker eine anonyme Nachricht, handgeschrieben auf grobem Papier, ohne Absender. Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, gehen Sie in der Neumondnacht zum Nordstadel. Sie glauben, niemand sieht sie, aber Gott sieht sie. und ich habe es auch gesehen. Die Schrift war unruhig. An den Rändern fanden sich dunkle Flecken. Dr.
Friedemann stellte später fest, dass es sich um Blut handelte, menschliches Blut. Picker beschloss, der Spur zu folgen. In der Nacht des 21. Dezember, eine Neumondnacht begaben sich er und zwei seiner vertrautesten Gendarmen, Johann Brenner und Karl Eckert in die Nähe des Gutes. Sie positionierten sich auf einer Anhöhe mit Blick auf den Nordstadel, einen abgelegenen lang gestreckten Schuppen hinter den Feldern. Gegen Mitternacht sahen sie Lichter.
Sieben Gestalten mit Laternen gingen vom Herrenhaus zum Stadel. Nach einer halben Stunde kam eine Kutsche ohne Kennzeichen den Hügel herauf und fuhr direkt dorthin. Picker und seine Männer näherten sich lautlos, krochen durch den gefrorenen Boden bis an eine Seitenwand des Gebäudes.
Durch einen Spalt in den Brettern sahen sie hinein und was sie sahen, überschritt jedes Vorstellungsvermögen. Im Inneren des Stadel standen Bartholomeus Dalmann, seine beiden Söhne und zwei fremde Männer in dunklen Mänteln. In der Mitte des Raumes befanden sich zwei Frauen. Eine davon zweifellos Margareta Dahmann.
Beide waren entkleidet, ihre Körper mit feinen Metallbändern versehen, die an Dräten befestigt waren, die wiederum zu einem Tisch mit Apparaturen führten. Neben dem Tisch standen Instrumente, Röhren, ein gläserner Behälter, in dem eine rötliche Flüssigkeit zirkulierte. Dalmann sprach mit kalter Präzision, während einer der fremden Notizen machte.
Er gab Anweisungen, als handle es sich um ein wissenschaftliches Experiment. Die Frauen bewegten sich, reagierten auf Gesten und Picker schrieb später in seinem Bericht: “Sie taten es nicht wie Menschen, sondern wie Geschöpfe, denen der eigene Wille genommen wurde. Ihre Gesichter blieben ausdruckslos, selbst als ihre Körper sich bewegten.
Nach etwa zwei Stunden endete das, was Dalmann die Sitzung nannte. Die Frauen wurden in Mäntel gehüllt und fortgeführt, während einer der fremden Dalmann ein versiegeltes Kouvert überreichte. Picker und seine Männer zogen sich zurück, unfähig, das Gesehene einzuordnen. Sie schworen, am nächsten Tag mit Verstärkung und richterlicher Anordnung zurückzukehren.
Doch am Morgen, als sie nach Murnau zurückkehrten, erwartete sie bereits eine Nachricht. Ein Zwischenfall in Garmisch, ein bewaffneter Aufstand auf einem Hof, erforderte alle verfügbaren Kräfte. Die Aktion gegen Dalmann wurde verschoben. Drei Tage später kehrten Picker, Friedemann und sechs Gendarmen zum Gut zurück. Es war leer.
Keine Menschen, keine Tiere, kein Rauch in den Schornstein. Die Türen standen offen, die Räume verwüstet, Dokumente verbrannt. Im Nordstadel fanden sie unter einem lose verlegten Dielenbrett eine Falltür, darunter ein Kellerraum, der nach Äter roch, ein Tisch aus Metall, Schränke mit Gläsern, einige mit trüben Flüssigkeiten, an den Wänden Schriften in deutscher, lateinischer und französischer Sprache.