(1898, Unterfranken) Die makabre Geschichte der Erbinnen Blum: Schwestern als Geliebte ihres Vaters

Der Hof Blum lag in der welligen Landschaft Unter Frankens, fernab der neuen Bahnlinie, die das Land mit einem Pfeifen durchschnitt wie ein Messer durch Reifen Apfel. Der Hof war ein weitläufiges Gefiert aus Fachwerk, Sandstein und dunklen Ziegeldächern, Speicher, Kältehaus, Gesindekammern und der Wohntrakt mit einem Flur, der im Winter nach Bienenwachs, Kohle und Heidelberkompott roch.

Hinter dem Haus standen alte Apfelbäume, die sich bei Wind aneinander lehnten und eine Kapelle aus hellem Muschelkalk. Friedrich Blum, Herr des Gutes, war ein Mann, der Räume füllte, noch ehe er die Schwelle überschritten hatte. Seine Stimme warm und schwer, seine Schritte lautlos, als hätten die Dialen aus Respekt gelernt, nicht zu knarren.

In Markt und Pfahrgemeinde galt er als Vorbild. Seine Felder trugen Gerste, Roggen, Rüben. Sein Steinbruch lieferte Platten für neue Bürgerhäuser. Sein Wort hatte Gewicht wie ein Malstein. Wenn er abends den Staub der Wege von seinen Stiefeln schlug, wichen Knechte zur Seite und Margarete Blum, seine Ehefrau, hielt das Haus zusammen wie eine unsichtbare Naht.

Sie kannte jedes knarrende Brett, jede Macke im Porzellanservice, jeden Schatten, der im Dämmer die Treppen hinabglitt. Ihr Tag war ein Perlenband aus Pflichten. Vorratskammer zählen, Kräuter trocknen, Rechnungen prüfen, Almosen richten. Am stärksten aber hütete sie den Ruf der Familie, dieses zarte Glas, das schon vom Hauch der Nachrede springen konnte.

Die Töchter, Klara und Agnes schienen der Sommer selbst. Kara, die ältere, mit einem Blick, der schmeichelte und prüfte zugleich: “Agnes, die Jüngere, hell wie ein Sonnenstreifen in der Scheune, der im Staub tanzt.” Klara sprach gern, wählte ihre Worte wie Bände auf einem Hut und band damit Aufmerksamkeit an sich.

Agnes schwieg öfter, doch wenn sie lachte, roch die Luft nach frisch geschnittener Birke. Wer den Hof betrat, sah Ordnung. Was er nicht sah, war die Spannung unter dem Lack. Sie begann als kaum merkliches Knistern. Ein zu langer Blick im Flur, eine Hand, die im Vorübergehen zu knapp an einer Schulter ruhte, eine Frage, die keine Antwort brauchte, nur Nähe.

A YouTube thumbnail with standard quality

Der Hof, der so viele Winkel kannte, bots Schatten, in denen Gefühle wachsen konnten, wie Pilze, feucht, heimlich und mit einem Geruch, den man nicht benennen wollte. Wenn Friedrich abends vom Steinbruch kam, klebte ihm der Kalk an den Wimpern. Klara stellte den Krug mit Most an seinen Platz, so präzise, als hänge das Wetter davon ab.

Agnes öffnete das Fenster nur einen Spalt, damit der Geruch von Hefe und kalter Erde hereinkroch. Dann setzten sie sich und der Ofen knisterte und der Hund schlief und die Uhr im Flur schlug ihre gleichmütigen Schläge. In solchen Stunden war das Haus wie eine Schale, in der etwas Unsichtbares rührte. Die Gemeinde lebte nach Glocke und Kalender.

Im Frühjahr das Sähen, im Sommer das Heuen, im Herbst das Schlachten, im Winter die Spinnabende. Kirmis, Erntedank, Kirchgang. Die Jahreszeiten hatten ihre Bräuche und jeder brauch sein Gewicht. Margarete achtete darauf, daß die Mädchen die richtigen Kleider trugen. Die Schleifen nicht zu breit, die Hälse nicht zu frei, die Blicke nicht zu offen.

Man lobte die Anmut der Schwestern und Margarete lächelte dünn, als sei Lob ein Messer, dass man besser nur am ucher. Doch zwischen den Tagen lag etwas, dass die Bräuche nicht fassten. Es war eine Wärme, die im Ofen nicht brannte, ein Raunen, das nicht von den Bäumen kam.

Manchmal, wenn die Abendglocke von der Kapelle durch den Nebel lief, schien der Hof den Atem anzuhalten. Ein Löffel fiel zu laut, ein Lachen brach zu früh ab. Jemand setzte an, etwas zu sagen und schwieg. Klara liebte den Glanz, der auf dem Leben des Vaters lag. Sie liebte seine Sicherheit, sein Ja und sein Nein, sein So ist es und seine seltenen, fast unsichtbaren Zweifel. Agnes liebte das Schweigen zwischen seinen Sätzen, das tiefe Wasser daran.

Beide auf ihre Weise kreisten um ihn wie zwei Planeten, die dieselbe Sonne wollten und doch einander nicht berühren durften. Aus Rücksicht, aus Anstand, aus Gründen, die jede Mutter ihren Töchtern beibringt, lange bevor sie sie versteht. Das Böse hat hier keinen Namen, dachte niemand. Denn das Böse kommt selten mit Namen.

Es kommt mit Kleinigkeiten, mit dem Duft von Harz an einer Jacke, mit dem Abdruck einer Hand auf Mehlstaub, mit dem Gefühl, dass die Welt enger wird, je weiter man die Fenster öffnet. Und so ging der Sommer in den Herbst und die Birnen fielen und die Krähen saßen wie schwarze Knoten auf den Karlen Ästen. Und die Geschichte, die man später als Warnung erzählen würde, tat das, was Geschichten immer tun, bevor sie losbrir.

An einem dieser Abende, als Nebel vom Fluss her kroch und den Hof in feuchte Watte hüllte, legte Friedrich die Lederhandschuhe auf die Ofenbank und sein Blick blieb einen Herzschlag zu lange an Klarer hängen. “Es war nichts”, sagte die Vernunft. “Es war alles”, antwortete das Zittern unter der Haut. Margarete schenkte Most nach und zählte unhörbar. Eins, für jedes Glas eine Grenze, für jede Grenze eine Furcht.

Klara fing an ihre Kleider anders zu tragen. Nichts Offenes, nichts, was die Sitte verletzt hätte. Aber die Stoffe wurden weicher, die Farben reifer. Sie band ihr Haar so, daß der Nacken sichtbar wurde, dieser kleine wehrlose Ort, an dem Pulsschläge wohnen. Agnes dagegen suchte das Gespräch über Bücher, über Heiligen Legenden, über die Frage, ob man Sünde riechen könne.

Friedrich hörte zu und antwortete ruhig, doch in seiner Ruhe stand etwas, das nicht saß. Der Hof hatte Orte, die Geschichten bewahrten, die Kammertreppe mit dem dunklen Fleck im dritten Tritt, die Scheune, wo ein Kind zur Welt gekommen war, die Kapelle, in deren Wand eine Reliquie steckte, deren Herkunft keiner mehr genau wusste. In diesen Räumen klang jedes Flüstern nach.

Dort ließ man Worte fallen wie Brotkrumen, denen später jemand folgen würde. Die Rivalität der Schwestern war leise, höflich, von einer Art, die niemand tadelte, weil sie aussah wie Fürsorge. Klara brachte dem Vater die Handsäge, ehe er darum bat. Agnes legte ihm den Schal um, ehe er hinausging.

Klara merkte sich seine Termine, Agnes seine Müdigkeiten. Zwischen ihnen lag ein Tisch aus Eichenholz, auf dem die Jahre Grenze gezogen hatten. Sie berührten ihn beide und der Tisch wusste mehr als jeder Mensch. Manchmal, wenn die Glocke der Kapelle die achte Stunde schlug, ging ein Hauch durch den Flur, als käme jemand herein, der längst da war.

Der Hund hob den Kopf. legte ihn wieder ab. Im Spiegel gegenüber der Gardrobe sah man das Haus hinter sich doppelt. Eine Welt in der Welt, in der die Dinge einen halben Schritt neben ihren Plätzen standen. In dieser Welt, der Spiegelwelt, sagte die Höflichkeit nichts mehr. Was geschah, geschah nicht plötzlich. Es kam wie ein Wetterumschlag, den man früh sieht und doch nicht abwehrt.

Ein Wort zu nah am Ohr, eine Hand zu schwer auf dem Rücken, ein Atem, der einen Namen formt und ihn verschluckt. Klara glaubte, sie habe es gewählt. Agnes glaubte, es sei Schicksal. Friedrich glaubte, der Wille sei eine Flugschar. Man legt ihn an und die Erde gibt nach. Die Sitte des Dorfes war klar.

Man wußte, was sich schickte und wovor man die Augen schloß. Man wußte auch, wie man schweigt. Die Menschen schweigen aus Güte, aus Angst, aus Müdigkeit. Sie schweigen, weil Worte wie Funken sind. Sie schweigen, bis das Schweigen brennt. Margarete ahnte zuerst das falsche Licht.

Sie merkte, wie die Zimmer Luft verloren, wie die Nächte länger wurden, obwohl die Uhr gleich blieb. Sie spürte, wie ihre Hände beim Strümpfenstopfen steifer wurden, als hielten sie nicht Wolle, sondern Draht. Einmal hörte sie spät im Flur ein Lachen, gedämpft, zu weich. Sie stand auf, ging zur Tür, fasste die Klinke und ließ sie los, als hätte sie glüht. Am nächsten Morgen roch die Küche anders.

nicht nach Brot, nicht nach Kaffee, sondern nach etwas Süßem, fremdem, das nicht sein durfte. Margarete begann die Teller umzustellen, als würde die Ordnung des Porzellans die Welt zurückbauen. Doch die Welt ließ sich nicht zurückbauen. Sie tat, was Welten tun, wenn man an ihnen zieht. Sie rutschte weiter.

So wuchs ein Geheimnis im Haus, genährt von Höflichkeit und Kalendern, von Psalmen und Flugfurchen. Es wuchs, weil Menschen Wärme suchen, auch wenn sie sich die Finger daran verbrennen. Es wuchs, bis es einen eigenen Puls bekam, den man nachts im Putzklopfen hörte. Dann kam die Nacht, die später alle erzählten würden, mit Stimmen, die am Ende leiser wurden und doch nicht endeten. Sie fiel in einen Regen, der vom Dach wie Ketten hing.

Margarete lag wach, hörte Tropfen zählen und dachte: “Jeder Tropfen ein Schritt.” Sie nahm die Kerze, hielt die Flamme mit der Hand gegen Zugluft und der Gang vor ihr war ein Seil, an dem die Dunkelheit hing. Vom Zimmer der Töchter her kam ein Rascheln. Kein Angstgeräusch, ein vertrautes. Ihre Finger wurden kalt. Sie ging an der Tür blieb sie stehen.

Ein Spaltlicht, der roch wie Wachs und wie Haut, ein Schatten, dann noch einer, dann ein Atemzug, der nicht allein war. Margarete sah nicht viel, aber genug für einen Riss. Es waren keine Bilder, die man vorzeigen kann. Es waren Gewissheiten, die man nicht mehr ablegt. Die Kerze knisterte, als ob sie fröhre, und Margarete wandte sich ab, und das Haus begann langsam und ganz in eine andere Zeit zu rutschen, die Zeit, nach der es kein davor mehr gibt.

Am Morgen band sie ihr Haar straffer, als sei der Schmerz, ein Band, das Held. Sie sprach kein Wort. Sie lächelte beim Tischgebet. Sie schnitt das Brot. Sie reichte die Schüssel. Nur die Hände verrieten sie, denn sie bewegten sich, als hielten sie ein unsichtbares Ball fest. In ihrem Innern setzte ein Mühlstein an, und jedes Korn, das hineinfiel, wurde zu Mehl aus Zorn.

Der Herbst trck das Laub wie verbrannte Briefe über den Hof. Der Wind riss Äste von den Birnbäumen und die Krähen frasen die letzten Früchte, als wollten sie Zeugen tilgen. Margarete Blum ging durch die Räume wie eine Fremde. Sie legte Tücher über Spiegel, ohne zu wissen, warum. Sie entzündete mehr Kerzen als nötig. Sie hörte das Haus atmen.

Friedrich bemerkte ihr Schweigen. Er sprach zu ihr von Erträgen, von Wetter, von Politik im Landtag. Sie nickte, doch ihre Augen waren wie Fenster, die verriegelt blieben. Klara spürte die Spannung, aber sie hielt sie für Eifersucht. Agnes spürte sie auch, doch für sie war es wie ein Gewitter in weiter Ferne. Sie dachte, es werde vorbeiziehen, doch es zog nicht vorbei.

Das Schweigen von Margarete war kein Wetter, sondern eine Saat. Jede Stunde, in der sie die Lippen presste, grub eine Furche tiefer in ihr Herz. Jede Nacht, die sie aufrecht im Bett saß, webte Fäden in ein unsichtbares Netz. Die Schwestern, so verschieden, waren doch nun Verbündete in einem Geheimnis, dass sie nicht aussprachen.

Klara suchte Nähe mit Gesten, Agnes mit Worten und beide banden sich an denselben Mittelpunkt, den Vater. Es war ein Tanz ohne Musik, aber die Schritte wiederholten sich und das Haus lernte den Rhythmus. Die Dorfgemeinde sah nichts oder wollte nicht sehen. Man sprach von den schönen Töchtern des Hofes, von der Würde der Mutter, vom Ansehen des Vaters.

Man sprach von Erträgen und von der neuen Straße nach Würzburg. Niemand fragte, warum die Glocke des Hofes nachts klang, obwohl niemand sie zog. Niemand fragte, warum die Mädchen bleicher wurden und warum Margarete sonntags im Kirchgang die Augen geschlossen hielt, selbst während der Predigt. Einmal im November kam Phara.

Er brachte Gebetszettel und sprach über Advent. Margarete reichte Tee und sah ihn nicht an. Klara lächelte zu viel. Agnes stellte eine Frage über den Propheten Hosea. Friedrich hörte zu und in seinem Blick lag eine Zufriedenheit. die nicht ins Zimmer paßte. Der Pfarrer segnete, ging und draußen im Hof bellte der Hund dreimal wie ein Echo.

In dieser Nacht schlief Margarete nicht. Sie hörte die Schritte im Flur, hörte das Knistern von Holz, hörte das Flüstern. Ihr Herz schlug gegen die Rippen, als wollte es entkommen. Sie nahm das Rosenkranzkreuz, drückte es fest in die Hand, bis Blutstropfen in die Linien der Handfläche rann. Sie verstand.

Gott schwieg, das Haus sprach. Von da an war ihr Entschluss kein Gedanke mehr, sondern ein Körper in ihr. Er wuchs wie ein Kind, unaufhaltsam, mit jeder Mahlzeit, jedem Gebet, jeder Nacht. Ihr Blick wurde schärfer, ihre Bewegung langsamer, ihre Stimme leiser. Man hätte sagen können, sie altere schneller.

Doch in Wahrheit sammelte sie nur Kraft. Die Schwestern ahnten nichts. Sie lachten beim Brot backen, sie summten beim Nähen, sie stritten um Kleinigkeiten. Nur manchmal, wenn das Licht schräg ins Zimmer fiel, huschte ein Schatten zwischen ihnen, ein Schatten mit dem Gesicht der Mutter. So kam der Winter. Schnee legte sich auf die Dächer und die Stille wurde schwerer. Unter der Stille aber wuchs ein Wille.

Ein Wille, der kein Erbarmen kannte. Und in einer Nacht, als die Glocke zwölf mal schlug und der Frost an den Fenstern wie Spinnennetze glitzerte, trat Margarete ans Fenster, sah in die Finsternis und flüsterte. Es muß enden. Das Haus atmete weiter. Der Winter legte sich auf Unterfranken wie ein schweres weißes Tuch.

Und was darunter schlummerte, regte sich nicht oder tat so, als wäre es Schlaf. Im Hof Blum knarrten die Tore seltener. Die Wagenräder standen abgestellt, mit Stroh umwickelt, damit die Speichen nicht sprangen. In der Kammer über der Küche hing Räucherfleisch an Haken und im Herd glom die Glut. auch wenn niemand daneben saß. Die Tage waren kurz, die Wege hart, die Worte knapp.

Margarete verteilte die Arbeit, als wären es Gebote. Heute Wäsche, morgen Einwecken, am Samstag den Boden im Flur schuern. Ihre Stimme war freundlich, aber ohne Spielraum. Kara nickte, Agnes nickte, Friedrich nickte. Der Hund legte den Kopf zwischen die Pfoten und tat, als verstünde er die Ordnung.

Nur nachts, wenn der Ofen knackte, wenn im Wald die Eule rief, wenn die Uhr im Flur die Stunden aus Glas baute, hörte Margarete noch etwas anderes. Ein leises Klicken in sich, wie von einer Uhr, die sie nicht aufgezogen hatte. Die Adventssonntage kamen mit Tannenduft und Wachs. In der Stube stand ein Kranz aus Fichtengrün, vier rote Kerzen, jede mit einer Schleife, als wäre sie verheiratet mit ihrem Licht.

Der Pfarrer predigte über Erwartung und die Leute sahen sich an, als sei Erwartung ein Wort, das man in der Manteltasche tragen könne. Am dritten Advent Agnes im Kirchenchor einen Satz von Johann Sebastian Bach. So hell, dass Margaretes Nacken kalt wurde. Klara trug an diesem Tag ein dunkelblaues Kleid ohne Schmuck. Man lobte ihren Geschmack. Friedrich sprach nach dem Gottesdienst mit dem Bürgermeister über den Frost in der Flur und über die neue Mühle am Bach.

die im Frühjahr angeschlagen werden sollte. Alles schien an seinem Platz, so ordentlich wie die Hauben der Küferinnen auf dem Markt. Doch Ordnung ist nur ein Bildrahmen. Das Bild darin kann brennen. An einem Abend, als der Schnee im Mondlicht wie Salz glitzerte, stand Margarete allein in der Speisekammer. Die Luft roch nach Apfelringen, Lorbär und kaltem Stein.

Sie zog die Schublade mit den Messern auf, schob sie wieder zu. Sie öffnete das Fach mit den Kräutern, Thymian, Salbei, Wermut und schloss es ebenso leise. Ihre Hände wollten etwas wählen. Ihr Kopf sagte noch nicht. Sie nahm stattdessen das Buch mit den Hausmitteln, dass sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Rezepte gegen Fieber, gegen Zahnschmerzen, gegen den bösen Blick.

Zwischen den Seiten lagen getrocknete Ringelblumen wie kleine Sonnen, die ihren Glanz aufgegeben hatten. Für Reinheit stand in einer altmodischen Schrift, die sich selbst nicht mehr glaubte. Sie schlug das Buch zu. Reinheit ist ein großes Wort. Es ist schwerer als eine Pfanne, dachte sie, und es fällt tiefer, wenn man es loslässt. Die Tage zwischen Weihnachten und drei König, jene Raunächte, in denen man in franken Türen mit Kreidezeichen segnet und die Wäsche nicht über Nacht hängt, brachte der Hof eine starre Höflichkeit hervor.

Klara legte Karten mit den Mägten und lachte kurz, als mußte sie das Lachen zählen. Agnes schnitzte aus einem Stück Birnbaumholz eine kleine Kapelle, deren Dach nie fertig wurde. Friedrich trank abends ein glas dunkles Kellerbier aus der Steinkrüge, hielt es an den warmen Ofen und blickte in die Flamme, als lese er eine Nachricht.

Manchmal legte er die Hand auf Kas Schulter, manchmal auf Agnes Haar, immer so, dass es wie ein Segen aussah. Und vielleicht glaubten sie alle für einen Atemzug daran. An Neuer schrieb der Pfarrer mit gesegnetem Kreide an die Tür. C + M + B, Christus Mansion im Benedikat, Christus segne, dieses Haus. Die Buchstaben leuchteten am Morgen, als die Sonne kurz erschien und dann wieder verschwand, als hätte sie etwas gesehen, das ihr nicht gefiel. Margarete begann zu planen, ohne es einen Plan zu nennen.

In der Kammer lag ein frisch gestärktes Tafeltuch aus feinem Damast, ein Hochzeitsgeschenk, das man selten hervorholte. Sie prüfte es gegen das Fenster. Keine Flecken, kein Schatten. In der Kredenz stand die gute Gläser, die nur bei Besuch aus der Stadt auf den Tisch kam. Sie wusch sie, auch wenn sie sauber waren, trocknete sie, auch wenn kein Tropfen daran hing.

Im Keller, wo der Boden immer ein wenig feucht war, standen Flaschen vom letzten Herbst, Riesling von der Meinleite, ein Boxbeutel, so bauchig wie eine gute Lüge. Sie redete sich ein, sie bereite den Dreikönigsabend vor. Dreikönig ist ein Fest, an dem man zusammen ist, an dem man Bohnenkuchen backt und die Bohne im Kuchen einem für einen Tag die Krone gibt.

Diesmal dachte sie, gebe ich die Krone, aber nicht im Kuchen. Der Hof hielt den Atem, ohne es zu merken. Das Vieß ruhig. Der Hund bellte in den Hof als ein Fuchs durch den Schneestrich. Die Mägte tratschten beim Wasserholen über die Hochzeit der Müllers Tochter im Nachbardorf. Der Schmied brachte neue Beschläge für das Stalltor.

All die Dinge, die ein Leben machen, standen in Reih und Glied. Und dahinter, in der zweiten Reihe stand Margaretes Entschluss. Der wuchs wie eine Erle im Bruch. langsam, ungerührt, zäh. In einer Nacht, die kälter war als die Nächte zuvor, saß sie am Tisch und nähte. Kein Kleid, keinen Vorhang, sondern eine Stille.

Die Nadel ging auf und ab und sie hörte, wie etwas in ihr zu einem Ende kam, ohne dass es je einen Anfang gehabt hätte. Es war die Idee, dass man mit Worten zurückgehen kann, dass man mit Tränen die Tinte aus der Welt wäscht. Man kann nicht. Was getan ist, bleibt getan. Was gesehen ist, bleibt gesehen.

Was geschehen wird, ist ein Schatten, der sich auf den Boden legt, lange bevor der Körper die Ecke erreicht. Am Morgen danach stellte Margarete die Schüsseln auf den Tisch. Grünkernsuppe, gebratene Ganz, Rotkohl mit Apfel und Nelke, Kartoffeln, so weich, dass die Gabel darin stand. Heute essen wir beieinander”, sagte sie. Ihre Stimme war glatt wie Eis.

Friedrich nickte, als sei das der natürliche Lauf der Dinge. Klara setzte sich links, Agnes rechts, wie immer und doch wie niemals. Die Kerzen sahen zu, wie der Dampf aufstieg. Sie sahen die Hände, die das Brot brachen. Sie sahen, wie in Margaretes Pupillen etwas flackerte, das nicht vom Kerzenlicht kam. Sie sahen, wie der Wein in den Bechern ruhig stand.

Margarete trank nicht. Sie wusch sich die Finger in einer Schale mit warm Wasser und Rosmarin. Eine alte Sitte, die niemand mehr brauchte und die doch so viel bedeutete wie ein Gebet. Reinige deine Hände, ehe du tust, was du nicht ungeschehen machen kannst. Nach dem Essen räumte sie langsam ab, so langsam, dass die Zeit zu knirschen begann. bleibt noch, sagte sie. Ich habe etwas.

Klara lächelte. Agnes neigte den Kopf. Friedrich rückte den Stuhl ein wenig vom Tisch ab, weil sein Rücken müde war. Das Messer lag auf dem Brett, das Gute mit der glatten Klinge und daneben lag das Tafeltuch zusammengefaltet mit einem Faden fixiert, damit es nicht auseinander fällt.

In Margaretes Brust war keine Glut mehr. Da war nur noch das klare kalte Licht, dass man sieht, wenn ein Eisblock bricht und sein inneres zum ersten Mal Luft bekommt. Sie hob den Blick und im Spiegel des Anrichtebüffets standen sie alle doppelt da. Vater, Töchter, Mutter und hinter ihnen die Konsequenzen. “Es muß enden,” sagte sie, “heute.

” Niemand verstand den Satz in diesem Moment so, wie er gemeint war, aber alle hörten ihn so, dass ihnen der Atem versetzte. Der Hund hob wieder den Kopf. Der Wind fuhr an die Fensterläden, als wolle er zuhören. Und im Ofen brach ein Stück Kohle auseinander mit einem Laut, der wie ein fernes Jahr klang. Die Kerzen sahen weiter zu.

Die Nacht nach dem Festmal hing schwer über dem Hof Blumen. Der Schnee draußen lag still, als sei er taub geworden. Und der Himmel war so dunkel, dass selbst die Sterne schwieg. Im Haus flackerten die Kerzen noch, als hätte niemand den Mut, sie auszublasen.

Friedrich Blum lehnte im Stuhl schwer vom Wein, den Kopf zurück, das Kinn auf die Brust gesunken. Klara saß neben ihm, die Hände ineinander verschränkt, als halte sie ein unsichtbares Gebet. Agnes spielte mit einem Tropfen Wachs, der ihr vom Kerzenhalter auf den Finger gefallen war. Nur Margarete stand unbewegt, die Hände am Tischtuch, als müß sie prüfen, ob der Stoff die Schwere der Stunde aushielt. “Ihr seid still”, sagte Friedrich schließlich.

Seine Stimme brummte tief, doch ohne Kraft. Warum so still? Er lachte kurz, ein Lachen wie eine leere Truhe. Klara sah ihn an und in ihrem Blick lag kein Lächeln, nur etwas wie Besitz. Agnes hingegen wandte die Augen ab, als schäme sie sich etwas zu fühlen. “Sill ist gut”, sagte Margarete. Still kann hören.

Es war kein Vorwurf, kein Befehl, nur ein Satz, der wie ein Messer die Stille durchschnitt. Der Hund in der Ecke knurrte leise, legte sich dann wieder hin, als hätte er beschlossen, das Ende abzuwarten. Margarete brachte noch einmal Wein, doch diesmal rührte sie die Gläser nicht an. Friedrich nahm einen Schluck. seufzte, streckte die Beine. Kara tat es ihm gleich.

Agnes zögerte, doch schließlich hob auch sie den Becher. Margaretes Augen ruhten auf ihren Gesichtern nacheinander, langsam, als wollte sie jedes einprägen. Später in dieser Nacht, als die Kerzen heruntergebrannt waren und der Rauch wie graue Finger an den Balken hing, schlich Margarete durch den Flur. Sie trug keine Kerze. Sie ging, als sähe sie im Dunkeln, besser als im Licht.

Ihre Hand strich über die Wand, über das Holz der Türen, über die eisernen Griffe. Am Ende des Flurs blieb sie stehen. Hinter dieser Tür, wusste sie, schlummerte ein Geheimnis, dass kein Gebet je mehr tilgen würde. Sie öffnete nicht, noch nicht. Stattdessen ging sie zurück in ihre Kammer, setzte sich ans Bett und nahm den Rosenkranz.

Sie murmelte Worte, die längst keine Bitte mehr waren, sondern Beschwörungen. Zwischen den Perlen glitten ihre Finger wie über Steine eines Flusses, der nicht ans Meer führte, sondern in die Tiefe. Am nächsten Morgen tat sie, als wäre nichts geschehen.

Sie knetete Teig, schickte die Mägte in den Stall, gab Anweisungen über das Holzschlagen. Doch wer sie ansah, konnte spüren. Ihre Augen waren här geworden, wie Glas, das im Frost gesprungen ist und doch weiter funkelt. Klara aber blühte auf. Sie trug ein rotes Kleid, dass sie bisher nur für Kirchfeste genutzt hatte, und sie lachte mehr, als ob sie heimlich einen Triumph errungen hätte. Agnes hingegen wirkte stiller, als sei ihr das Herz schwer.

Sie setzte sich oft ans Fenster, sah hinaus in die weiße Landschaft, wo Krähen schwarze Zeichen in den Schnee schrieben. Friedrich bemerkte wenig. Er hielt sich im Steinbruch, kam heim, legte die Hände auf die Schultern seiner Töchter, sprach von Arbeit und Wetter. Seine Stimme klang, als gehöre sie noch immer einem Herrscher.

Doch in den Pausen, wenn er dachte, keiner höre es, war da ein Husten, tief, heiser, wie aus einem Keller. Margarete hörte es, sie hörte alles. Und in ihr wuchs nicht Mitleid, sondern etwas anderes, klar und kalt. Der Gedanke, dass es ein Zeichen sei. In den Raunächten, wenn die Leute im Dorf Wasser segneten und Feuer räucherten, weil man sagte, die Geister gingen um, blieb Margarete wach.

Sie lauschte auf das Haus, das knarrte und seufzte, als stünde etwas Unsichtbares in jedem Raum. Sie dachte: “Nein, es sind keine Geister von draußen. Es ist unser eigener Geist, unser eigener Fluch.” Und dann am Dreikönigstag, als der Pfarrer erneut Kreide an die Türen schrieb, hielt Margarete die Schüssel mit Weihwasser, einen Atemzug zu lange in den Händen.

Das Wasser schwappte, benetzte ihre Finger und sie dachte: “Reinigen oder richten.” Der Hofblum wirkte nach außen wie immer. Ein Ort von Wohlstand, von Arbeit, von Gebeten. Aber innen war er schon kein Hof mehr, sondern ein Ofen. Und die Glut, die darin lag, wartete nur auf den einen Atemzug, der sie zur Flamme machen würde.

Die Tage nach drei König zogen wie schwerer Rauch durch die Zimmer. Man hätte meinen können, der Winter halte das Dorf in der Hand und drücke langsam zu. Auf dem Feld standen die Stoppeln unter Schnee. An den Hecken klirten die Eiszapfen wie dünnes Glas.

Und vom Kirchturm kam zu jeder Stunde derselbe Ton, der die Zeit nicht verkündete, sondern zermürbte. Im Hofblum tat jeder, was er immer tat. Und doch war alles anders, weil Margarete nun nicht mehr fragte, was zu tun sei, sondern nur noch wann. Sie begann die Räume zu ordnen, als wollte sie durch ein unsichtbares Nadelöhr ziehen.

In der Speisekammer standen die Gläser im Lot, im Flur hingen die Mäntel nach der Farbe. Im Schlafzimmer lag der Kamm genau mittig auf dem Tuch. Ein Mensch, der sehr genau ordnet, ruft das Ungeheuer herbei, das in den Fugen wohnt. So sagt man den Unterfranken, wenn man überhaupt etwas sagt. Margarete ordnete weiter, die Mägte schwiegen. Kara lebte in einem Glanz, den nur sie sah. Sie trat leichter auf.

Sie sprach mit einem warmen Ton, der Dinge verhüllt, statt sie zu benennen. Und wenn sie lachte, lachte sie halb laut, als teile sie das Lachen mit einem, der nicht im Raum stand. Agnes hingegen war seltsam durchsichtig geworden. Ihr Blick ging durch Menschen hindurch, als suche er etwas hinter ihnen.

Manchmal strich sie über die Tischkante, als lausche sie einem Takt, der im Holz steckte. Zwischen den Schwestern pendelte Luft wie eine dünne Seite, die bei der kleinsten Berührung schwingt. Friedrich blieb der Mittelpunkt, in dem alles drehte. Er kam vom Steinbruch mit Schultern aus Staub, mit Augen, die dunkel waren und von sich überzeugt.

Wenn er die Tür öffnete, ging ein kaum merklicher Stoß durch das Haus, wie wenn ein großer Schrank gerückt wird. Er setzte sich, trank sein Bier oder den süßen Most, legte manchmal die Hand auf einen Rücken, manchmal an eine Wange, immer wie zufällig. Wer ihn sah, sah einen Mann, der sich selbst genügte, wie es Herren oft tun. Wer ihn lange sah, spürte, dass seine Ruhe nur eine Frage war, die niemand zu beantworten wagte.

Die Raunächte waren vorüber. Geblieben war die Gewissheit, dass man nachts die Wäsche nicht draußen ließ. dass man Brot mit Kümmel backte gegen das Ungeziefer und in den Übergängen von Tür zu Tür, von Stunde zu Stunde etwas stand, dass man respektieren musste. Margarete respektierte es nicht mehr. Sie hatte etwas gesehen, das keinen anderen Namen trug als Verrat an allem, was Tisch, Bett, Altar zusammenhalten soll. Es war an einem Abend ohne Wind.

Der Schnee lag weich, die Bäume standen wie erstarrte Gebete und aus der Ferne kam das Schlagen der Schmiede, stumpf und beruhigend. Margarete hätte schlafen können. Stattdessen stand sie auf, schob die Füße in Filzpanten, nahm keine Kerze und ging in den Flur, der vom schwachen Schimmer der Banklampe gerade so viel Licht bekam, dass die Dielen wie ein bleicher Bach glänzten.

Aus dem Zimmer der Töchter wehte ein warmer Ton, ein Atemzug, der nicht allein war, ein Kichern, das nicht nach Kind klang, ein Flüstern, das nicht nach Schwestern klang. Sie legte die Hand an die Klinke und ließ sie wieder los. Der Messingriff war kalt und doch brannte er. Margarete trat einen halben Schritt zurück, als mußte sie einem Pferd ausweichen, und sie sah nicht Bilder, die man einem Pfarrer schildert, sondern Umrisse, die niemand aus dem Kopf bekommt.

Schatten, die zu nah beieinander standen, Schultern, die sich in einer Nähe bewegten, für die es im Haus der Eltern keinen Ort gibt. Eine Stimme, die leise sagte und dennoch alles überschrie, was gesetzt ist. Kein Schrei, keine Beschimpfung, kein Stoß, nur ein leiser Laut aus Margaretes Kehle, wie wenn eine Seite reißt.

Sie ging nicht hinein, sie machte die Tür nicht auf, sie schlug nichts zu, sie rief niemanden. Sie wandte sich um und ging durch den Flur zurück, wie jemand, der eine Treppe hinabsteigt, die es nicht gibt. In ihrer Kammer kniete sie nicht. Sie saß aufrecht, als wäre der Stuhl ein Richterstuhl und legte den Rosenkranz vor sich hin. Die Perlen sahen aus wie rollende Augen.

Margarete faltete die Hände nicht zum Gebet. Sie faltete sie, um sie ruhiger zu bekommen. In dieser Stunde starb etwas, dass man nicht beerdigen kann und etwas wurde geboren, das kein Pate segnet. Ein Entschluss, der kalt ist und doch brennt. Am Morgen war sie stiller als sonst. und weil sie stiller war als sonst, war sie furchtbarer.

Die Mägte bewegten sich vorsichtig, als trügen sie Schalen voller Wasser. Klara summte eine Melodie aus dem Kirchengesang, die von Hoffnung handelte. Agnes schnitt Brot und die Krumen fielen wie kleine Winter. Friedrich erzählte vom Steinbruch, von einem Sprengloch, das schlecht gesetzt worden war, und lachte, als sei nichts zu schwer für seine Zunge. Margarete reichte Salz.

Ist”, sagte sie, und ihre Stimme war so glatt, daß das Wort vom Brot hätte abrutschen können. In den Tagen darauf begann sie Dinge zu sammeln. Nicht viel, nicht auffällig. In der Schublade lagen drei neue Kerzen, so weiß wie Kreide. Im Schrank das Damastuch, frisch gelegt, in der Kredenz, die guten Gläser, poliert, dass der Winter darin glänzte.

Sie ließ im Hof den großen Kessel schrubben, weil es sich schickt”, sagte sie, das neue Jahr sauber zu halten. Sie ging zum Kräutergarten hinter der Kapelle, dort, wo die Sonne auch im Winter kurz hinfindet und schnitt Rosmarin, Salbei ein wenig Wehrmut. “Für die Verdauung”, sagte sie, als Agnes fragte.

A YouTube thumbnail with standard quality

Agnes roch an den Zweigen und ihr Gesicht schattete sich für einen Atemzug. Es riecht nach Bitter, sagte sie leise. Bitter ist gut, sagte Margarete. Bitter macht wach. Im Dorf liefen Gerüchte, wie sie immer laufen, weil Menschen laufen müssen. Die Müllers Tochter habe sich mit dem Knecht vom Sägewerk verlobt. Beim Fahrer sei ein Brief aus Bamberg angekommen. In der Schenke habe jemand laut über die Steuer geschimpft.

Niemand sprach vom Hof Blumen, niemand wagte es. Und doch trug das Dorf ein Lauschen in sich, als hielte es die Hand an eine Wand und hörte den Nachbarn atmen. Eines Abends kam der Pfarrer wieder mit gesegnet Kreide. Er schrieb die Buchstaben über die Tür, Gottes bitte um Segen in schnörkelloser Hand. Und Margarete stand einen Schritt daneben und dachte: “Segne, wer da will, ich habe meine eigenen Zeichen.

” Als der Geistliche gegangen war, löschte sie die Lampe im Flur und blieb stehen, bis die Dunkelheit alles nahm. Dann zählte sie langsam an den Fingern ab. Nicht Tage, sondern Handlungen. Den Tisch decken, den Wein wählen, das Messer zur Seite legen, friedlich wie ein Werkzeug. Die Zahlen waren Worte 1 Ehre, 2 Schuld, 3 Ende. In jener Nacht setzte Tau auf das Fenster, der morgens zu Eis wurde. Auf der Scheibe zeichnete sich eine Blüte, die keine war.

Margarete sah sie an und dachte, wie seltsam es sei, daß die Kälte Blumen male. Dann trat sie zurück an den Tisch und nahm das Messer, das Gute, mit der schmalen Klinge und zog es an einem Lederriemen sanft hin und her. “Nicht um zu schärfen”, sagte sie sich, nur um zu beruhigen.

Doch die Schneide sang ein dünnes Lied, das nur sie hörte. Friedrich bemerkte die Vorbereitung und lobte sie, als ging es um Gastlichkeit. Du bist gründlich, Grete”, sagte er und legte die Hand auf ihre Schulter, die reglos blieb. “Gründlich hält Häuser”, sagte Margarete und wandte sich dem Tuch zu. Klara strich mit der flachen Hand über den Damast, als streiche sie über einen See.

Agnes stand an der Türschwelle, als dürfe sie in diesen See nicht eintreten. Der Abend, den Margarete wählte, war ein gewöhnlicher Abend. Das Schlimmste an einem Gewitter ist, daß der Himmel zuvor so unschuldig aussieht. Der Hund rollte sich neben dem Ofen zusammen. Draußen im Stall schnaubte das Pferd und aus dem Dorf kam der späteste Schritt.

Vielleicht der Nachtwächter, vielleicht nur einer, der sein Herz sortieren musste. In der Stube brannten die Kerzen still. Margarete stellte die Schalen hin. Suppe vom Grünkern, eine Schüssel Rotkohl, Brot, das am selben Morgen noch warm war. In den Gläsern stand ein heller Wein, der aus der Flasche roch wie reifer Apfel. “Heute sitzen wir lang”, sagte sie.

Die Worte fielen weich auf den Tisch. Friedrich nickte und erzählte etwas Lustiges vom Steinbruch und Kara lachte dort, wo der Satz ein Lachen anbot. Agnes lachte nicht. Sie legte die Hand an den Hals, als sei dort eine Kette, die nicht drückt und doch da ist. Margarete hörte zu. Ihr Blick ging dabei nicht einem Klang nach, sondern Maß.

Wie tief atmet er, wie sicher greift sie, wie still ist die andere. Es war kein Lauschen, es war vermessen. Und als die Schüsseln leer, die Teller beiseite, die Gläser halb getrunken waren, geschah nichts spektakuläres. Kein Donner, kein Schrei. Nur die Art, wie Margarete aufstand, langsam, würdig wie eine Frau im Gottesdienst.

die Art, wie sie das Tuch ergriff, das Damast glitt, und die Art, wie sie das Messer neben die Kerzen legte, als wäre es ein Löffel. “Ich will ein Wort sagen”, sprach sie. Kein Vorwurf stand in ihrer Stimme, nur die Wahrheit, die niemand hören will. Was hier gewachsen ist, wächst nicht weiter. Da hob Friedrich noch mit Müdigkeit in den Liedern, den Kopf und etwas wie Ärger huschte über sein Gesicht.

Nicht, weil er schuldig war, sondern weil er widersprochen sah, was er für Natur gegeben hielt. Klara setzte an, etwas zu sagen, das wie Trost klang und doch Besitz war. Agnes atmete ein, zu schnell, und Margarete merkte, dass es keinen anderen Weg gab als den, den sie in kalter Stunde in sich gebaut hatte, den schmalen Steg zwischen Sühne und Sünde, der immer reißt.

“Heute”, sagte sie, und das Wort war ein Beil, das auf Holz fällt. Draußen begann es zu schneien, so lautlos, dass die Welt das Geräusch vergaß, mit dem sie sich dreht. Drinnen erlosch eine Kerze ohne Zug aus sich heraus, als hätte sie genug gesehen. In diesem Moment war die Zukunft nicht fern und nicht nah. Sie stand hinter ihnen wie ein Spiegel.

Wer hineinsah, sah nicht sich. Er sah, was kommen musste. Der Schnee fiel weiter in dicken Flocken und der Hof Blumen lag darunter wie unter einem Leichentuch. In der Stube brannen nur noch drei Kerzen. Ihr Licht warf lange Schatten über das Tischtuch. Der Wein glänzte schwarz in den Bechern und niemand rührte ihn an.

Margarete stand am Kopfende, den Rücken gerade, die Hände auf das Damast gelegt. Ihre Augen waren ruhig wie Wasser, das nicht spiegelt. Klara spielte mit der Gabel, drehte sie zwischen den Fingern, als sei sie ein Talismann. Agnes hielt die Hände im Schoß gefaltet. Aber ihre Finger bewegten sich unruhig, als webten sie unsichtbare Muster. Friedrich schob den Stuhl zurück.

Das Holz kratzte über die Dielen. Ein Laut, der wie eine Drohung klang. “Genug”, sagte er, und seine Stimme war schwer wie ein Hammer der Feld. “Genug von diesem Gerede.” Margarete neigte den Kopf, als hätte sie Zustimmung gehört. “Genug.” Ja, antwortete sie darum heute.

Er schlug mit der Hand auf den Tisch und die Gläser erzitterten. Klara zuckte zusammen. Agnes sog scharf die Luft ein. Der Hund in der Ecke hob den Kopf und knurrte. Ein Laut, der im Raum hängen blieb. “Ich bin Herr in diesem Haus”, sagte Friedrich. “Und niemand richtet mich außer Gott.” Margarete trat einen Schritt vor. Das Messer lag noch immer neben den Kerzen und die Klinge fing das Licht wie ein Auge.

“Gott hat gesehen”, sprach sie, “nd ich auch.” Die Stille danach war wie ein Abgrund. Man hörte nur das Tropfen von Wachs, das den Leuchter hinablief. Klara sprang auf. Mutter, rief sie, und in ihrer Stimme lag nicht Furcht, sondern Schutz, als wolle sie einen Schild zwischen ihn und die Welt stellen.

Agnes aber erhob sich langsam, als folgte sie einer unsichtbaren Stimme. Ihre Augen lagen auf der Mutter, groß, dunkel, feucht und doch ohne Bitte. Es darf nicht weitergehen”, flüsterte Margarete. “Merh zu sich selbst als zu den anderen.” Friedrich trat um den Tisch herum, schwer, jeder schritt wie ein Urteil.

“Du wagst”, begann er, aber er kam nicht zu Ende, denn Margarete hatte das Messer bereits in der Hand, nicht erhoben, nicht geschwungen, sondern ruhig, mit beiden Fingern an der Klinge, wie eine Hostie, die sie gleich teilen würde. “Es reicht”, sagte sie. Und in diesem Moment war das Haus stiller als je zuvor. Kein Knacken im Gebelk, kein Windstoß an den Läden, nur Herzschläge, die so laut waren, dass man sie im Holz spüren konnte. Dann geschah, was niemand mehr trennen konnte.

Ein Ruck, ein Laut, ein Schrei. Klarer griff nach der Hand des Vaters, Agnes nach der Mutter, und zwischen ihnen lag die Klinge kalt und hell. Niemand im Dorf hörte den Schrei. Draußen fiel weiter Schnee, so weich, daß er jedes Geräusch erstickte.

Nur die Kränen auf den kahen Bäumen flatterten auf, als hätten sie etwas gesehen, das für Menschenaugen zu viel war. Später, wenn man im Dorf von jener Nacht sprach, sagte man, man habe ein Glöckchen gehört, obwohl niemand es geläutet hatte. Andere schworen, sie hätten den Hund heulen hören, lang und klagend, wie an einem Grab. Doch im Hof selbst blieb alles verschlossen.

Nur die Kerzen brannten nieder und das Damastuch sog Fleck auf, der sich nicht mehr auswaschen ließ. Der Morgen danach kam mit grauem Licht. Der Schnee auf den Dächern war schwer und der Weg ins Dorf versperrt. Kein Knecht wagte, die Stube zu betreten. Das Haus atmete anders, kürzer, gepresster wie ein Brustkorb nach einem Hieb.

Margarete saß am Tisch, die Hände im Schoß, das Messer neben sich, stumpf vom Dunkel. Klara stand am Fenster bleich und starrte hinaus, als würde sie dort Antworten finden. Agnes kniete vor der Bank und flüsterte Worte, die kein Gebet waren, sondern ein Murmeln, das nur sie verstand. Der Hund winselte leise und legte den Kopf auf die Pfoten.

Und draußen im Schnee sah man Spuren, die vom Hof fortführten. Groß, schwer, tiefer getreten als jede Spur zuvor. Spuren, die nicht zurückkehrten. Am zweiten Morgen war das Licht blass wie Wasser im Zinnbecher. Der Schnee lag hoch gegen die Türen gedrückt und der Atem der Pferde dampfte im Stall, als wollten sie das Haus wärmen, dem die Wärme aus dem Herzen gefallen war.

Die Mägte flüsterten am Brunnen, der zugefroren war und dessen Eisfläche wie ein blindes Auge glänzte. Niemand wagte, die Stube zuerst zu betreten. Es hieß, der Hund habe nachts gewinselt und dann so still dargelegen, als hätte ihn jemand zu beten gezwungen. Als die jüngste Magt schließlich die Klinke drückte, schob sich der Geruch von Wachs und kaltem Eisen in den Flur.

Die Kerzen waren zu Stummeln geworden. Das Damastuch lag schwer wie ein nasser Lappen. Auf dem Holz schimmerte eine Spur, die mehr sagte als jedes Wort. Friedrichblum war nicht am Tisch. Die Stühle standen schief, als hätten sie einen Streit nicht ausgehalten. Margarete saß aufrecht, die Hände im Schoß, die Lieder trocken.

Klara stand am Fenster, bleich und starr, als könnte sie den Schnee hypnotisieren, bis er die Wahrheit zudeckte. Agnes kniete, den Kopf gesenkt, ihre Lippen bewegten sich unaufhörlich. Doch das, was sie murmelte, hatte keine Enden und keine Anfänge, nur Kreise. Die Markt setzte an zu schreien, aber der Laut blieb im Hals stecken. Margarete wandte den Kopf langsam wie eine Uhr, die eine letzte Minute sucht.

“Holt den Pfarrer”, sagte sie und den Nachtwächter. Ihre Stimme war ruhig, beinahe freundlich, und gerade darin lag der Frost. Phara, die Sutane unter dem Mantel, den Hut noch voller Schnee. Er blieb an der Schwelle stehen, als sei da eine unsichtbare Schwelle mehr. Dann trat er ein, schlug das Kreuz, murmelte lateinische Worte, die in der kalten Luft spröde wurden und blickte Margarete an, die den Blick nicht senkte.

Zwischen ihnen verstrich ein Atemzug, der wie ein Urteil war und doch keins. Kind Gottes sagte er, was ist geschehen? Was nicht weitergehen durfte, antwortete Margarete. Der Nachtwächter folgte, ein Mann mit roten Ohren und einer Laterne, deren Glas beschlug, sobald er atmete. Er sah die Spuren im Flur, die Eintiefungen im Teppich, die feinen Linien, die ein Messer hinterlässt, wenn es über Holz rutscht. Seine Augen nahmen die Ordnung der Dinge auf und die Unordnung darunter.

Man muß den Amtsmann holen”, sagte er leise, als wolle er die Worte nicht wecken. Im Dorf verteilte sich die Nachricht wie Rauch, der unter Türen hindurchkrie Frauen, die Wasser holten, ließen Eimer sinken. Männer vor der Schenke schoben die Mützen tiefer. Man sprach leiser, als könnten die Wände zuhören. Der Hofblum war immer ein leiser Ort der Macht gewesen.

Nun wurde er ein lauter Ort der Gerüchte. Es hieß, in der Nacht habe jemand ein Glöckchen hören wollen, obwohl niemand es geläutet habe, und die Kränen auf der Pfahrwiese seien aufgestoben, als hauten unsichtbare Hände in die Luft. Der Amtsmann kam gegen Mittag, begleitet von einem Schreiber, dessen Finger blau waren vor Kälte.

Er stellte Fragen, ordnete Wege, ließ messen, nahm Blickrichtungen auf, wie ein Jäger fährten. Er sprach mit Margarete, die knapp antwortete, mit Worten, die so trocken waren, dass sie Staub hätten sein können. Er sprach mit Kara, die flackerte wie eine Kerze im Zug eines Fensters. Er sprach mit Agnes, deren Stimme zart war wie eine zerbrochene Schale, und er blickte auf das Messer, das am Rand der Anrichte lag, als Ruhe es aus. Der Herr des Hauses? Fragte der Amtsmann.

Eine Mag zeigte stumm mit der Hand. Hinter dem Haus, dorthin, wo der Schnee sich zu einer Wange wölbte, führte eine Spur, tief und schwer, und am Ende lag, was niemand beim Namen sagen wollte. Die Männer standen einen Moment still. Einer zog den Hut und hielt ihn in den Händen wie einen Teller, dem die Suppe fehlt. Phara murmelte einen Psalm.

Der Amtsmann senkte das Kinn. “Man muss die Wahrheit aufnehmen”, sagte er schließlich, “ها auch wenn sie das Brot hart macht.” Margarete widersprach nicht, bat nicht, weinte nicht. Sie stand da, als habe sie zwei Leben hinter sich und wolle keines davon behalten. Man legte ihr Hände an Handgelenke, die weder flohen noch kämpften.

Klara machte einen Schritt nach vorn, doch ihr Fuß rutschte auf dem Dielenrand und sie blieb stehen, als hätte der Boden sie ermahnt. Agnes erhob sich, wischte mit der Hand über die Augen, nicht um Tränen zu vertreiben, sondern um die Welt klarer zu sehen, die durch sie hindurchging, wie durch dünnes Glas. Warum?”, fragte der Schreiber mehr zu sich als zu ihr.

Margarete antwortete: “Weil ein Haus kein Altar für Unrecht ist. Weil Reinheit nicht betet, sondern handelt, wenn niemand betet.” Der Pfarrer fuhr zusammen, als hätte ihn jemand bei der Kehle gepackt. Das Wort Reinheit klang in der Stube, als sei es ein Messer, das noch einmal glänzen wollte. Man führte Margarete hinaus.

Der Schnee nahm den Abdruck ihrer Schritte wie eine Pflicht an. Die Nachbarn standen unter Bäumen und taten so, als wären es sie, die den Schatten werfen. Ein Kind fragte, was geschehen sei, und die Mutter legte ihm die Hand auf den Mund. Sanft, aber bestimmt. In Unterfranken lernt man früh, daß manche Fragen das Licht nicht vertragen.

Klara und Agnes blieben im Haus zurück, als hätte man ihnen je eine Entscheidung gelassen. Der Hund folgte auf halber Strecke, blieb dann die Pfoten gespreizt und jaulte einmal lang, als rissse ihm jemand den Mond aus dem Maul. In der Küche saßen die Mägte nebeneinander, die Schürzen über den Knien. und hielten sich an den Rändern der Stühle fest, als wären Stühle Bote.

Der Amtsmann ordnete ein, was sich ordnen ließ. Ein Siegel an der Speisekammer, eine Liste der Dinge, die der Wahrheit in die Hände spielten. “Eine Wache für die Nacht. Morgen kommen die Herren aus der Stadt”, sagte er, mit Fragen, die sie in Büchern gelernt haben. Er klopfte dem Hund gegen den Hals, vorsichtig und verließ den Raum, als trüge er ein Glas bis zum Rand gefüllt.

Am Abend saßen Klara und Agnes in der Stube, die jetzt zu groß war. Das Damasuch war fort, der Tisch nackt, das Holz roh. Die Kerzen flackerten, als wollten sie davon laufen. Klara sprach zuerst flüsternd: “Es war!” Sie brach ab. Worte wie diese ließen sich nicht über den Tisch schieben, ohne zu zerbrechen.

Agnes legte die Hand auf ihre eigene Kehle, als spüre sie dort den Faden, an dem die Nacht sie geführt hatte. Was wir sagten war nie ein Gebet”, murmelte sie. “Was wir taten, war nie Liebe.” Klarer fuhr herum, als hätte sie einen Schlag bekommen. Und doch nickte sie, klein, kaum sichtbar. Manchmal ist Zustimmung der erste Stein, den man aus der Mauer zieht.

Im Dorf machte man Feuer mit Wacholder und sprach von den Raunächten, die vorüber seien und doch Spuren hinterlassen hätten. Alte Frauen erzählten, man dürfe in solchen Zeiten keine Spindeln laufen lassen, sonst verhäderten sich die Fäden mit den Atemzügen der Toten. Junge Männer taten groß und sagten, sie würden am nächsten Tag zum Hof gehen und sehen, ob der Hund noch heult. Keiner ging.

In der Nacht, als der Wind sich legte, hörte man vom Hof her einen Ton, der nicht einzuordnen war. Kein Heulen, kein Singen, eher ein Seufzen, das durch Holz wanderte. Die Balken knarrten, als redeten sie miteinander. Die Treppe antwortete leise.

Wer wach lag, drehte sich um, legte die Hand auf die Brust und wartete, ob das Herz ruhiger wurde. Es wurde es nicht. Am nächsten Morgen kam ein Schlitten aus der Stadt. Männer in dunklen Mänteln stiegen ab, trugen Bücher, Siegel, Kisten mit Schlüsseln und Fragen. Sie wiesen Räume zu, begutachteten, schrieben, stellten ihr Warum, anders als der Schreiber es getan hatte.

Kühler, eifriger, hungriger. Klara antwortete, als gelte es, eine Rolle zu bestehen. Agnes antwortete, als bete sie endlich. Und das Haus, das so viel gesehen hatte, hielt inne und ließ kein Flüstern durch, das nicht schon lange in seinen Fugen wohnte. Margarete wurde im Amtszimmer gefragt, ob sie Reue kenne.

Sie sah aus dem Fenster, wo der Schnee die Welt in eine einzige Farbe getaucht hatte. “Ich kenne Notwendigkeit”, sagte sie, “Dschied zwischen schweigen, das schützt und schweigen, das tötet.” Der Schreiber stutzte. Der Amtsmann verzog die Lippen. Der Pfarrer senkte den Blick. Worte können schärfer sein als Stahl, aber Stahl hat Geduld und Worte nicht. So begann, was später Protokoll genannt werden würde, eine Reihe von Sätzen, die die Wärme aus dem Geschehen zogen, wie Salz aus Fleisch. Das Dorf baute seine Tage darum.

Brot backen, Wasser tragen, Köpfe zusammenstecken. Die Kinder lernten nicht hinzusehen, wenn sie am Hof vorbeigingen. Die Alten sagten Sprüche, die nichts halfen. Die Zeit stand nicht still, sie ging weiter, aber Schritt für Schritt, als trüge sie einen Sack voller Steine.

Und in den Nächten, die darauf folgten, träumten viele von einem Tisch mit Damast, von Kerzen, die sich selbst ausbließen und von einer Hand, die ein Messer hielt. nicht wie eine Waffe, sondern wie eine Wahrheit. Manche wachten mit dem Geschmack von Eisen im Mund auf, manche beteten, die meisten nicht. Und der Hofblum stand da, still und hochmütig und sah aus, als habe er nie gelächelt.

Der Schlitten aus der Stadt blieb mehrere Tage am Hofblum, und die Männer in den dunklen Mänteln füllten das Haus mit kratzenden Federn, geflüsterten Urteilen und dem Rascheln von Papier. Sie stellten Fragen, die sich nicht stellten lassen, ohne die Seele zu verletzen. Jede Antwort wurde aufgeschrieben, als wäre sie ein Stein, den man auf ein Grab legt.

Margarete saß im Amtszimmer, der Blick fest, die Hände im Schoß und sprach, als ging es nicht um sie, sondern um eine Geschichte, die längst geschrieben war. “Ich habe getan, was getan werden mußte”, wiederholte sie. Ein Haus ist kein Altar für Schande. Ihre Stimme schwankte nie, nicht einmal, als der Schreiber sie fragte, ob sie die Sünde in den Augen der Töchter gesehen habe.

“Ich habe gesehen, dass sie Kinder sind”, sagte sie, und dass er es nicht mehr war. Klara weinte, doch ihre Tränen kamen wie Tropfen aus einer alten Leitung, stoßweise, unregelmäßig, fast widerwillig. Agnes hingegen sprach kaum. nur, wenn sie nachdrücklich gefragt wurde. Dann antwortete sie mit einer Klarheit, die den Männern im Zimmer die Hände zittern ließ.

“Ich habe gesehen”, sagte sie einmal, und mehr fügte sie nicht hinzu. Doch alle verstanden, dass das Gesehene schwerer wog als jedes Geständnis. Die Dorfbewohner wurden einzeln vorgeladen. Manche lobten Friedrich Blum, nannten ihn fleißig, gottesfürchtig, ein Mann mit Gewicht. Andere sprachen leiser, von Blicken, die zu lang dauerten, von Gesten, die nicht zu einem Vater paen. Aber niemand sprach laut genug, dass es im Protokoll stand.

Am Ende blieb eine Wolke aus Worten zurück, schwer und widersprüchlich, die keiner lüften konnte. Als der Schlitten wieder zur Stadt aufbrach, nahm er Margarete mit. Ihre Gestalt war gerade, ihre Schritte fest, als trüge sie kein Gewicht. Klara wollte nachlaufen, doch eine Magt hielt sie zurück.

Agnes stand nur am Fenster, die Stirn an das kalte Glas gelehnt und sah, wie die Spur im Schnee sich langsam mit Weiß füllte, bis sie verschwand. Die Tage danach waren leer. Der Hof war still wie ein Zimmer nach einem Begräbnis, wenn die Gäste gegangen sind. und nur noch das Geschirr übrig bleibt. Klara wanderte durch die Räume, als suche sie etwas, dass sie selbst verloren hatte.

Sie setzte sich an den Spiegel im Flur und sah lange hinein, bis ihr Gesicht fremd wurde. Agnes verbrachte Stunden in der Kapelle hinter den Apfelbäumen, kniete vor dem Altar, aber betete nicht. Sie lauschte, als wolle sie eine Antwort hören, die nicht von Gott kam. Die Mägte tuschelten, manche wollten kündigen, andere hielten es für Sünde, jetzt zu gehen.

Am Brunnen im Dorf erzählte man sich: Nachts leuchte im Fenster des Hofes ein Licht, das niemand entzündet habe. Kinder wagten Steine über den Zaun zu werfen, liefen aber davon, ehe sie aufschlugen. Und alte Frauen sagten: “Es sei besser, das Haus zu meiden, denn Häuser, die Blut gesehen haben, behalten den Geruch für immer. Klara hielt sich an der Hoffnung fest, Margarete würde zurückkehren.

Sie stellte täglich frisches Wasser auf den Tisch, als könnte die Mutter jeden Augenblick eintreten. Agnes hingegen begann von einer Zukunft zu sprechen, die nicht hier lag. In der Stadt, vielleicht in einem Kloster irgendwo, wo die Stille nicht so schwer war. Ihre Worte blieben jedoch Worte: Dünn wie Rauch, der sich im Frost verflüchtigt.

Eines Abends, als der Wind die Fensterläden peitschte, nahm Klara ihre Schwester bei der Hand. “Wir dürfen nicht zerfallen”, flüsterte sie. “Wenn wir auseinandergehen, wird niemand mehr wissen, wer wir waren.” Agnes nickte, doch ihre Augen blieben leer. Sie dachte nicht an Vergangenheit oder Zukunft, sondern nur an das Damastuch, das aus dem Haus verschwunden war.

“Es bleibt doch im Holz”, murmelte sie. So etwas geht nicht weg. Das Dorf wartete, wie Dörfer warten, mit Tratsch, mit Gebeten, mit Märkten, auf denen man so tat, als sei das Brot noch immer gleich. Aber hinter jedem Lächeln lag eine Frage und jedes Schweigen klang wie ein Urteil.

Der Hofblum stand wie ein Denkmal, nicht mehr für Wohlstand, sondern für das, was man nicht ausspricht. Und in einer dieser Nächte, als die Glocke der Kapelle Mitternacht schlug, hörte man aus dem Haus ein Geräusch, das nicht Wind, nicht Tier, nicht Holz war. Ein Laut, der wie ein Seufzer klang. Manche schworen: “Es sei die Stimme Margaretes gewesen, andere es sei Friedrichs Husten, der wiederkehrte.

” Aber niemand ging hin, um es zu prüfen, denn es gibt Orte, die sprechen lauter, wenn man sie schweigen läßt. Und der Hofblum war nun ein solcher Ort. Der Winter zog sich länger hin, als die Alten es vorausgesagt hatten. Der Schnee blieb liegen wie ein Schweigen, das nicht weichen wollte.

Im Dorf sprach man davon, daß der Hof Blumen nun leer sei, auch wenn Klara und Agnes noch darin lebten. Leer, weil das Herz, die Mitte hinausgetragen worden war, die Mutter zur Stadt, der Vater ins Grab. Klara übernahm das Haus. Sie sprach mit den Mägten, prüfte Vorräte, verhandelte mit Händlern und sie tat es mit einem Lächeln, das niemanden überzeugte, auch sie selbst nicht. Ihre Augen suchten ständig etwas, das nicht da war.

Einen Schatten, ein Echo, eine Autorität. Agnes ließ ihr die Führung nicht aus Nachsicht, sondern aus Müdigkeit. Sie verbrachte Stunden im Obstgarten, selbst wenn Schnee die Äste beschwerte. Dort summte sie alte Lieder, als rede sie mit den kahlen Bäumen. Doch nachts trafen sich die Schwestern im Flur, still, ohne Kerze.

Dann standen sie voreinander, wie zwei Spiegel, die kein Bild mehr zurückwerfen. Klara griff nach Agnes Hand, fest, fast schmerzhaft, als wolle sie sich versichern, dass sie nicht allein war. Agnes ließ es zu, aber ihr Blick war weit, als lege er auf etwas, das niemand sehen konnte. Das Dorf hielt Abstand, nur der Pfarrer kam, brachte Weihwasser, murmelte Psalmen. Doch er verließ das Haus schnell, als fürchte er, die Wände hörten ihm nicht zu.

Die Mägte taten ihre Arbeit, aber sie mieden den Blick der Schwestern. Manchmal flüsterten sie, das Haus sei befleckt und es gäbe Orte, an denen man das Flüstern von Blut hören könne, wenn man die Ohren an die Dielen lege. Klara begann, den Spiegel im Flur mit einem Tuch zu verhängen. “Damit die Seelen ruhen,” erklärte sie, doch Agnes nickte nur, als wüsste sie längst, dass Spiegel nichts verhüllen.

In der Kapelle zündete sie Kerzen an, so viele, dass der Stein schwarz vom Ruß wurde. Manche im Dorf sagten, sie wolle damit Schuld verbrennen, andere sie wolle nur Licht gegen die Finsternis stellen. Doch die Finsternis wich nicht. Sie saß in den Räumen, in den Schubladen, im Holz. Abends hörte man Schritte, wo niemand ging, ein Flüstern, wo niemand sprach.

Die Mägte begannen, Zeichen aus Kreide an die Türen zu malen, heimlich in der Hoffnung, die Geister fernzuhalten. Am Morgen waren die Zeichen verwischt, als hätte jemand sie mit nassen Fingern berührt. Klara sprach nun öfter von Zukunft, von Heirat, vielleicht von einem neuen Anfang. Doch ihre Stimme klang wie eine Probe, nicht wie Überzeugung. Agnes dagegen sprach von Sühne.

Es muß bezahlt werden, sagte sie einmal. Nicht nur er, auch wir. Klara erschrag, griff nach ihr, doch Agnes entzog sich sanft wie ein Schatten, den man nicht fassen kann. In einer besonders kalten Nacht hörten beide ein Geräusch aus der Speisekammer. Kara nahm eine Kerze, öffnete die Tür, nichts als Gläser, ordentlich aufgereiht.

Doch zwischen den Gläsern lag ein Stück Damast zerknüllt, als sei es zurückgekehrt. Klara stieß die Tür zu, presste die Hand an die Brust und flüsterte. Er kommt zurück. Agnes sah sie lange an und antwortete: “Nicht er. Am nächsten Sonntag beim Kirchgang mieden die Leute ihre Blicke.

Kinder hielten sich an den Händen der Eltern fest, als fürchteten sie angesteckt zu werden. Der Pfarrer predigte von Versuchung und Reinheit. Seine Stimme bebte und jeder wusste, er sprach nicht von der Wüste, sondern vom Hof Blum. Als die Schwestern heimkehrten, wehte Wind durch die Flure, obwohl alle Fenster geschlossen waren. Klara setzte sich an den Tisch, schlug die Hände vors Gesicht und weinte lautlos.

Agnes stellte sich daneben, legte die Finger auf die Tischplatte und sprach leise, fast zärtlich. Es hört nicht auf. Es hat erst angefangen, und in diesem Augenblick, so erzählte man später, habe eine der Kerzen im Haus von selbst Feuer gefangen, nicht am Docht, sondern mitten im Wachs.

Sie brannte von innen heraus, als wolle sie beweisen, dass manche Flammen nicht gezündet, sondern geboren werden. Der Februar brachte Tauwetter, doch es war kein Frühling, nur ein mattes Tropfen von den Dächern, das wie weinndende Stimmen klang. Der Hofblum stand in braunem Schnee und die Wege wurden zu schlamm. Der Stiefel sog und Schritte verschluckte. Klara versuchte den Alltag zurückzubringen.

Sie ließ die Pferde vor den Wagen spannen. Sie schickte die Mägle auf den Markt. Sie strich die Fensterrahmen mit Leinöl. Aber in allem, was sie tat, war ein Zittern, als sei sie nicht Herrin, sondern nur eine Schauspielerin, die eine Herrin spielt. Agnes dagegen zog sich tiefer zurück. Sie suchte die Kapelle häufiger auf. Manchmal blieb sie dort stundenlang, knend, schweigend.

Man erzählte sich im Dorf, sie habe im Dunkeln gesungen, ohne Kerzen, und ihre Stimme habe geklungen, als komme sie nicht aus der Brust, sondern aus den Wänden. Manche sagten: “Sie suche Vergebung, andere sie rufe etwas herbei.” Die Mägte hielten nicht mehr lange aus. Zwei packten in der Nacht ihre Sachen und flohen ins Nachbardorf. Eine blieb, doch sie schlief in der Scheune, weil sie behauptete, das Haus atmet zu laut.

A YouTube thumbnail with standard quality

Kara Schal sie befahl ihr zu bleiben, doch ihre Stimme brach mitten im Satz und die Markt tat, als habe sie es nicht gehört. Im Dorf war der Hof zum Fluch geworden. Kinder wagten nicht mehr, im Obstgarten Äpfel zu stehlen. Selbst die Bettler mieden das Tor. In der Schenke erzählte man sich: Nachts habe man auf dem Dach Schritte gehört, schwer wie von einem Mann, der nicht mehr lebt.

andere schworen. Eine Gestalt habe am Brunnen gestanden. Eine Frau still, das Gesicht im Schatten. Und jedes Mal, wenn das Gespräch zu laut wurde, legte einer den Finger auf die Lippen, als könne allein das Reden das Böse herbeiholen. Eines Abends, als Regen gegen die Fenster schlug, setzte Kara sich an das Chembalo im Flur.

Ihre Finger fanden eine Melodie, die sie in der Jugend gelernt hatte, ein Tanzstück. Leicht, hell, beinahe fröhlich. Doch die Töne klangen schief, als wären die Seiten verstimmt. Agnes trat hinzu, legte die Hand auf die Schulter der Schwester und flüsterte: “Das Haus will keine Freude.” Klara schlug härter an, als wolle sie dem Haus trotzen, doch die Töne zerbrachen unter ihren Fingern.

Schließlich schloss sie den Deckel und die Stille danach war schlimmer als die falsche Musik. In jener Nacht sah Kara einen Traum. Sie stand am großen Tisch. Das Damasuch lag darauf weiß, makellos. Doch aus der Mitte wuchs ein roter Fleck, der sich ausbreitete, bis er wie ein zweiter Stoff wirkte.

Agnes stand daneben, lächelte traurig und hinter ihr trat Margarete hervor. Die Hände leer, die Augen voller Kälte. Es endet nicht”, sagte die Mutter im Traum, bis das Haus selbst bezahlt. Klara erwachte Schweiß gebadet, tastete nach Agnes, die im Bett neben ihr lag, und fand sie wach, die Augen offen.

“Ich habe denselben Traum gehabt”, flüsterte Agnes. Von da an wagten sie kaum noch zu schlafen. Sie hielten Lampen brennend, flüsteren, hielten sich an den Händen. Doch Müdigkeit ist ein Feind, der keine Waffen braucht. Ihre Gesichter wurden hohl, die Haut grau. Im Dorf begann man, sie die Schattenmädchen zu nennen.

Eines Morgens fand man den Hund tot vor der Stube, reglos, die Augen offen, als hätte er etwas gesehen, das zu viel war. Agnes kniete nieder, strich ihm über das Fell und sagte: “Jetzt ist er frei.” Klara brach in Tränen aus, doch nicht über das Tier, sondern über das, was es bedeutete, dass kein Wächter mehr zwischen ihn und dem Haus stand.

Am Abend setzte sich Kara an den Tisch, stellte zwei Becher Wein hin und sah die Schwester lange an. “Wir müssen weg”, sagte sie, “Sonst nimmt es uns.” Agnes schüttelte den Kopf. Es nimmt uns, egal wohin wir gehen. Klara schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann kämpfen wir. Nein, flüsterte Agnes. Wir bekennen.

Und in diesem Augenblick erlosch die Lampe. Nur der schwache Schimmer des Schnees fiel durch das Fenster und im Dunkel hörten sie Schritte. Langsam, schwer, als gehe jemand durch den Flur. Doch als Kara die Kerze entzündete, war niemand da, nur das Tuch auf dem Tisch und darauf ein Fleck, den sie am Abend noch nicht gesehen hatten.

Die Nacht nach dem Fleck war die längste, die die Schwestern je erlebt hatten. Kein Wind regte sich draußen und doch klapperten die Fensterläden, als würde eine unsichtbare Hand sie antippen. Der Schnee funkelte im Mondlicht, doch der Hofblum lag schwarz, als sei er vom Himmel vergessen. Klara saß am Tisch, starrte den roten Punkt auf dem Damast an, der nicht verschwinden wollte, egal wie sie rieb, egal, wie oft sie Wasser darüber goss.

Agnes stand daneben, die Hände im Schoß gefaltet und flüsterte. Es will bleiben. Es gehört jetzt dazu. Sie beschloßen in der Kapelle zu übernachten. Vielleicht, so hoffte Kara, würden die heiligen Mauern sie schützen. Sie nahmen Kerzen mit, legten Decken auf die kalten Bänke und setzten sich nebeneinander.

Der Altar roch nach Weihauch und Staub und durch das kleine Fenster fiel bleiches Licht. Doch kaum war Mitternacht vorbei, hörten sie Schritte im Hof, das Knarren der Tore, als drehte jemand ein. Klara ergriff Agnes Hand und beide wagten nicht zu atmen. Dann war es still, nur der Schnee tropfte vom Dach.

Doch in der Kapelle selbst begann eine Kerze zu tropfen, obwohl niemand sie angezündet hatte. Am Morgen kehrten sie ins Haus zurück, müde, ausgezehrt. Das Tuch lag immer noch auf dem Tisch. Der Fleck dunkler, größer. “Wir müssen es verbrennen”, sagte Klara. Agnes schüttelte den Kopf. “Es würde nicht brennen. Es würde zurückkommen.” Das Dorf beobachtete sie.

Frauen tuschelten beim Markt, Männer schüttelten die Köpfe. Manche wollten helfen, doch keiner wagte, den Hof zu betreten. Der Pfarrer schickte Weihwasser, aber die Mägte weigerten sich, es über den Tisch zu sprengen. “Es lacht über Weihwasser”, sagte eine von ihnen. “Ich habe es gehört.” Sie kündigte am selben Abend. Klara kämpfte gegen die Furcht mit Arbeit.

Sie strich die Türen, flickte Lein, bugbrot. Agnes aber ließ alles liegen. Sie ging durch die Räume, als suche sie etwas, das ich nicht zeigen wollte. Oft stand sie im Flur, die Hände an den Wänden und lauschte. “Es spricht”, sagte sie einmal, “nicht mit Worten, mit Atem.

” Klara schrie sie an, sie solle schweigen, doch die eigene Stimme halte so fremd im Haus, dass sie selbst erschrak. Dann kam der Sturm. Ein Tag voller Regen, Wind, Donner, der Himmel schwarz, als bräche er selbst. Der Hof ächtzte, Türen sprangen auf, Dachziegel flogen. Klara rannte durch die Räume, versuchte das Chaos zu bändigen, doch Agnes stand im Hof, das Haar nass, das Gesicht zum Himmel erhoben und schrie gegen den Wind: “Nimm uns!” Der Donner antwortete und in diesem Augenblick stürzte der alte Apfelbaum neben der Kapelle um, riß Wurzeln aus, als reiße er die Vergangenheit selbst hervor. Nach dem Sturm war das Haus still,

unnatürlich still. Der Hund war tot, der Baum gefallen, die Mägte fort. Nur die Schwestern blieben. Klara weinte in der Küche, hielt die Schüssel mit Brotkruben fest, als könnte sie sich daran klammern. Agnes setzte sich an den Tisch, legte die Hand auf den Fleck und schloß die Augen. “Es will uns”, flüsterte sie. “Und vielleicht, vielleicht ist das gerecht.

” In dieser Nacht träumten beide von Margarete. Sie stand am Fenster, das Haar streng zurückgebunden, die Augen kalt. “Ihr habt nichts beendet”, sagte sie. Ihr habt nur angefangen. Als Kara erwachte, war ihr Kissen feucht von Tränen. Agnes lag neben ihr, reglos, mit offenen Augen, als hätte sie nicht geschlafen. Das Dorf miet den Hof nun völlig fnunen.

Nur der Pfarrer wagte sich ein letztes Mal, klopfte an die Tür, erhielt keine Antwort, hörte aber Stimmen drin, viele, nicht nur zwei. Er wich zurück, bekreuzigte sich und sagte später: “Das Haus hat seine eigenen Bewohner.” Und so begann die letzte Phase, die niemand mehr stoppen konnte. Das Haus Blumen war kein Haus mehr, sondern ein Gefäß.

Ein Gefäß für etwas, das größer war als Schuld, tiefer als Trauer, stärker als die Furcht. Der März brachte Tau und Sonne, doch am Hofblum wurde es nicht heller. Das Dach glänzte nass, die Wege waren voller Schlamm und doch blieb die Luft schwer, als hinge Rauch darin. Die Leute im Dorf sagten, der Winter sei dort nicht gegangen. Manche behaupteten, sie hätten nachts noch immer Schnee gesehen, nur über diesem einen Haus.

Klara war blasser geworden, ihre Bewegungen fahrig, doch sie hielt an der Ordnung fest. Jeden Morgen stellte sie Brot und Wasser auf den Tisch, auch wenn niemand aß. Jeden Abend entzündete sie Kerzen, auch wenn sie allein niederbrannten. Agnes hingegen verlor sich immer mehr. Sie sprach kaum noch, murmelte nur Sätze, die wie Fragmente klangen.

Es atmet, es sieht, wir gehören. Klara rüttelte sie, flehte sie an, zur Vernunft zu kommen, doch Agnes Blick ging durch sie hindurch. Eines Nachts hörten beide wieder Schritte im Flur. Klara griff nach einer Kerze, doch Agnes hielt sie zurück. “Nicht sehen”, flüsterte sie. “Sehen macht es stärker.

” Also blieben sie im Dunkeln, das Herz im Hals und lauschten, wie jemand langsam durch die Dielen ging, den Atem schwer, wie ein Körper, der schon lange nicht mehr lebt. Die Schritte endeten vor ihrer Tür, dann stille. Doch am Morgen lag ein Abdruck im Staub, groß, schwer, der Abdruck eines Stiefels, den sie alle kannten. Klara weinte, kniete nieder, wischte mit den Händen über den Boden, bis ihre Finger wund waren.

Agnes aber berührte den Abdruck zärtlich, als sei es ein Relikt. Er kommt nicht”, sagte sie leise. “Er ist das Dorf miet nun auch den Weg am Hof vorbei. Kinder wurden gewarnt, nicht zu spielen. Frauen machten Umwege zum Brunnen.” Männer sprachen nicht mehr darüber. Es hieß: “In der Nacht sehe man ein Licht in den oberen Fenstern, nicht wie Kerzenlicht, sondern kalt, blau, als käme es aus Stein.” Ein alter Mann schwor: “Er habe Musik gehört.

Ein Chembalo, verstimmt, doch gespielt mit einer Innbrunst, die keinen lebenden Händen mehr gehörte.” Klara klammerte sich an die Idee der Flucht. “Wir gehen”, sagte sie eines Morgens. “Wir lassen alles zurück. Wir beginnen neu. Agnes schüttelte den Kopf. Es lässt uns nicht. Wir tragen es in uns. Der Hof ist nicht die Mauern. Der Hof sind wir.

Klara schlug sie zum ersten Mal im Leben und brach dann zusammen, weinend, beend. Agnes hielt sie, streichelte ihr Haar und ihre Stimme war tröstend und grausam zugleich. Es ist gerechter so. Wir zahlen. In dieser Nacht saßen sie nebeneinander am Tisch, das Damasuch über die Schultern gelegt wie ein Mantel. Klara zitterte. Agnes war seltsam still. “Es muss enden”, flüsterte Klara.

“Wir dürfen nicht warten.” Agnes nickte, doch ihr Blick war fern. Sie erhob sich, nahm das Messer, das noch immer auf der Anrichte lag, als hätte es dort auf diesen Moment gewartet. “Nein!”, rief Kara, griff nach ihr, doch Agnes lächelte, traurig und weich. Mutter hat angefangen, wir vollenden. Da erloschen alle Kerzen auf einmal.

Das Zimmer versank in Dunkelheit. Nur draußen heolte der Wind und von der Kapelle her schlug die Glocke. Einmal, obwohl niemand sie berührt hatte. Am nächsten Morgen sah man Rauch über dem Hof aufsteigen. Nicht viel, nur ein dünner Faden als brenne Stoff oder Haar. Doch niemand wagte, näher zu gehen. Man sagte später, man habe zwei Stimmen gehört.

Erst Flüstern, dann schreien, dann nichts mehr. Und so schien es, als sei das Haus blumend dem Schweigen zurückgegeben worden. Doch wer in der Nacht lauschte, hörte manchmal noch Tritte auf den Dialen oder ein Lachen, das kein Lachen war. Der April kam und mit ihm blühte das Land. Die Wiesen wurden grün, die Bäume trugen Knospen und das Dorf atmete auf. Nur der Hof Blumen blieb ein dunkler Fleck.

Der Garten war verwildert, das Tor halb offen, die Fenster blind. Kinder liefen daran vorbei, hielten sich die Ohren zu, als könnten sie so das Wispern fern halten, dass man angeblich hinter den Mauern hörte. Eines Morgens kam der Pfarrer noch einmal. Er trug Weihwasser und Kreide, das Kreuz schwer um den Hals. Er wollte segnen, austreiben, retten.

Doch als er die Tür öffnete, war das Haus still. Leer wie ein Grab. Auf dem Tisch lag das Damasuch, gefaltet, sauber, ohne Fleck. Daneben das Messer, stumpf, von Rost überzogen, als sei es seit Jahren dort. Von Kara und Agen ist keine Spur. Nur zwei Stühle standen beiseite gerückt, als hätten sie gerade noch darauf gesessen. Im Dorf ging die Kunde schnell.

Manche sagten die Schwestern seien fort in die Stadt, ins Kloster, irgendwohin, wo niemand sie kannte. Andere behaupteten, sie hätten ihre Seelen dem Haus überlassen und seien nun Teil seiner Wände. In Nächten, wenn der Wind von Westen kam, schworen manche weibliche Stimmen zu hören, die im Chor sangen, doch ohne Melodie, nur ein endloses Summen.

Der Hof verfiel, das Dach sackte ein, die Kapelle bekam Risse, die Obstbäume starben ab. Niemand wollte das Land kaufen. Niemand wagte, die Mauern zu betreten. Es hieß, jeder, der dort schlief, wachte mit dem Geschmack von Blut im Mund auf. Manche sahen Licht in den Fenstern, kalt und blau wie von Eis.

Andere hörten Schritte auf den Dialen, schwer wie von einem Mann, der längst nicht mehr war. Die Alten erzählten den Kindern eine Warnung vom Hof Blum, wo Schuld, Schweigen und Blut ein Bündnis geschlossen hatten. Sie sagten, dass ein Haus alles speichert und das Mauern nicht verzeihen. Sie sagten, dass Reinheit kein Gebet ist, sondern eine Tat und dass jede Tat ihren Preis verlangt. So wurde die Geschichte zur Legende.

Man sprach nicht mehr von Margarete, von Friedrich, von Kara und Agnes. Man sprach nur noch vom Haus, vom Hof Blum, der blieb, während die Menschen verschwanden. Ein Haus, dass man miht, das man fürchtete und das dennoch in den Träumen auftauchte, als hätte es sich in die Adern des Dorfes gesogen. Und wenn die Glocke der Kapelle heute schlägt tief in der Nacht, sagen die Leute, man höre manchmal ein leises Lachen, dann ein Wein, dann Stille. Niemand weiß, wem die Stimmen gehören.

Manche sagen, sie gehören allen, die je geschwiegen haben, wo man hätte reden müssen. Der Hofblum steht noch immer von Efeu umwuchert, die Türen verfallen, die Fenster wie blinde Augen. Und doch schwören manche, dass er atmet, dass er wartet.

Related Posts

Our Privacy policy

https://worldnews24hr.com - © 2025 News