Sie stellte täglich frisches Wasser auf den Tisch, als könnte die Mutter jeden Augenblick eintreten. Agnes hingegen begann von einer Zukunft zu sprechen, die nicht hier lag. In der Stadt, vielleicht in einem Kloster irgendwo, wo die Stille nicht so schwer war. Ihre Worte blieben jedoch Worte: Dünn wie Rauch, der sich im Frost verflüchtigt.
Eines Abends, als der Wind die Fensterläden peitschte, nahm Klara ihre Schwester bei der Hand. “Wir dürfen nicht zerfallen”, flüsterte sie. “Wenn wir auseinandergehen, wird niemand mehr wissen, wer wir waren.” Agnes nickte, doch ihre Augen blieben leer. Sie dachte nicht an Vergangenheit oder Zukunft, sondern nur an das Damastuch, das aus dem Haus verschwunden war.
“Es bleibt doch im Holz”, murmelte sie. So etwas geht nicht weg. Das Dorf wartete, wie Dörfer warten, mit Tratsch, mit Gebeten, mit Märkten, auf denen man so tat, als sei das Brot noch immer gleich. Aber hinter jedem Lächeln lag eine Frage und jedes Schweigen klang wie ein Urteil.
Der Hofblum stand wie ein Denkmal, nicht mehr für Wohlstand, sondern für das, was man nicht ausspricht. Und in einer dieser Nächte, als die Glocke der Kapelle Mitternacht schlug, hörte man aus dem Haus ein Geräusch, das nicht Wind, nicht Tier, nicht Holz war. Ein Laut, der wie ein Seufzer klang. Manche schworen: “Es sei die Stimme Margaretes gewesen, andere es sei Friedrichs Husten, der wiederkehrte.
” Aber niemand ging hin, um es zu prüfen, denn es gibt Orte, die sprechen lauter, wenn man sie schweigen läßt. Und der Hofblum war nun ein solcher Ort. Der Winter zog sich länger hin, als die Alten es vorausgesagt hatten. Der Schnee blieb liegen wie ein Schweigen, das nicht weichen wollte.
Im Dorf sprach man davon, daß der Hof Blumen nun leer sei, auch wenn Klara und Agnes noch darin lebten. Leer, weil das Herz, die Mitte hinausgetragen worden war, die Mutter zur Stadt, der Vater ins Grab. Klara übernahm das Haus. Sie sprach mit den Mägten, prüfte Vorräte, verhandelte mit Händlern und sie tat es mit einem Lächeln, das niemanden überzeugte, auch sie selbst nicht. Ihre Augen suchten ständig etwas, das nicht da war.
Einen Schatten, ein Echo, eine Autorität. Agnes ließ ihr die Führung nicht aus Nachsicht, sondern aus Müdigkeit. Sie verbrachte Stunden im Obstgarten, selbst wenn Schnee die Äste beschwerte. Dort summte sie alte Lieder, als rede sie mit den kahlen Bäumen. Doch nachts trafen sich die Schwestern im Flur, still, ohne Kerze.
Dann standen sie voreinander, wie zwei Spiegel, die kein Bild mehr zurückwerfen. Klara griff nach Agnes Hand, fest, fast schmerzhaft, als wolle sie sich versichern, dass sie nicht allein war. Agnes ließ es zu, aber ihr Blick war weit, als lege er auf etwas, das niemand sehen konnte. Das Dorf hielt Abstand, nur der Pfarrer kam, brachte Weihwasser, murmelte Psalmen. Doch er verließ das Haus schnell, als fürchte er, die Wände hörten ihm nicht zu.
Die Mägte taten ihre Arbeit, aber sie mieden den Blick der Schwestern. Manchmal flüsterten sie, das Haus sei befleckt und es gäbe Orte, an denen man das Flüstern von Blut hören könne, wenn man die Ohren an die Dielen lege. Klara begann, den Spiegel im Flur mit einem Tuch zu verhängen. “Damit die Seelen ruhen,” erklärte sie, doch Agnes nickte nur, als wüsste sie längst, dass Spiegel nichts verhüllen.
In der Kapelle zündete sie Kerzen an, so viele, dass der Stein schwarz vom Ruß wurde. Manche im Dorf sagten, sie wolle damit Schuld verbrennen, andere sie wolle nur Licht gegen die Finsternis stellen. Doch die Finsternis wich nicht. Sie saß in den Räumen, in den Schubladen, im Holz. Abends hörte man Schritte, wo niemand ging, ein Flüstern, wo niemand sprach.
Die Mägte begannen, Zeichen aus Kreide an die Türen zu malen, heimlich in der Hoffnung, die Geister fernzuhalten. Am Morgen waren die Zeichen verwischt, als hätte jemand sie mit nassen Fingern berührt. Klara sprach nun öfter von Zukunft, von Heirat, vielleicht von einem neuen Anfang. Doch ihre Stimme klang wie eine Probe, nicht wie Überzeugung. Agnes dagegen sprach von Sühne.