Es kommt mit Kleinigkeiten, mit dem Duft von Harz an einer Jacke, mit dem Abdruck einer Hand auf Mehlstaub, mit dem Gefühl, dass die Welt enger wird, je weiter man die Fenster öffnet. Und so ging der Sommer in den Herbst und die Birnen fielen und die Krähen saßen wie schwarze Knoten auf den Karlen Ästen. Und die Geschichte, die man später als Warnung erzählen würde, tat das, was Geschichten immer tun, bevor sie losbrir.
An einem dieser Abende, als Nebel vom Fluss her kroch und den Hof in feuchte Watte hüllte, legte Friedrich die Lederhandschuhe auf die Ofenbank und sein Blick blieb einen Herzschlag zu lange an Klarer hängen. “Es war nichts”, sagte die Vernunft. “Es war alles”, antwortete das Zittern unter der Haut. Margarete schenkte Most nach und zählte unhörbar. Eins, für jedes Glas eine Grenze, für jede Grenze eine Furcht.
Klara fing an ihre Kleider anders zu tragen. Nichts Offenes, nichts, was die Sitte verletzt hätte. Aber die Stoffe wurden weicher, die Farben reifer. Sie band ihr Haar so, daß der Nacken sichtbar wurde, dieser kleine wehrlose Ort, an dem Pulsschläge wohnen. Agnes dagegen suchte das Gespräch über Bücher, über Heiligen Legenden, über die Frage, ob man Sünde riechen könne.
Friedrich hörte zu und antwortete ruhig, doch in seiner Ruhe stand etwas, das nicht saß. Der Hof hatte Orte, die Geschichten bewahrten, die Kammertreppe mit dem dunklen Fleck im dritten Tritt, die Scheune, wo ein Kind zur Welt gekommen war, die Kapelle, in deren Wand eine Reliquie steckte, deren Herkunft keiner mehr genau wusste. In diesen Räumen klang jedes Flüstern nach.
Dort ließ man Worte fallen wie Brotkrumen, denen später jemand folgen würde. Die Rivalität der Schwestern war leise, höflich, von einer Art, die niemand tadelte, weil sie aussah wie Fürsorge. Klara brachte dem Vater die Handsäge, ehe er darum bat. Agnes legte ihm den Schal um, ehe er hinausging.
Klara merkte sich seine Termine, Agnes seine Müdigkeiten. Zwischen ihnen lag ein Tisch aus Eichenholz, auf dem die Jahre Grenze gezogen hatten. Sie berührten ihn beide und der Tisch wusste mehr als jeder Mensch. Manchmal, wenn die Glocke der Kapelle die achte Stunde schlug, ging ein Hauch durch den Flur, als käme jemand herein, der längst da war.
Der Hund hob den Kopf. legte ihn wieder ab. Im Spiegel gegenüber der Gardrobe sah man das Haus hinter sich doppelt. Eine Welt in der Welt, in der die Dinge einen halben Schritt neben ihren Plätzen standen. In dieser Welt, der Spiegelwelt, sagte die Höflichkeit nichts mehr. Was geschah, geschah nicht plötzlich. Es kam wie ein Wetterumschlag, den man früh sieht und doch nicht abwehrt.
Ein Wort zu nah am Ohr, eine Hand zu schwer auf dem Rücken, ein Atem, der einen Namen formt und ihn verschluckt. Klara glaubte, sie habe es gewählt. Agnes glaubte, es sei Schicksal. Friedrich glaubte, der Wille sei eine Flugschar. Man legt ihn an und die Erde gibt nach. Die Sitte des Dorfes war klar.
Man wußte, was sich schickte und wovor man die Augen schloß. Man wußte auch, wie man schweigt. Die Menschen schweigen aus Güte, aus Angst, aus Müdigkeit. Sie schweigen, weil Worte wie Funken sind. Sie schweigen, bis das Schweigen brennt. Margarete ahnte zuerst das falsche Licht.
Sie merkte, wie die Zimmer Luft verloren, wie die Nächte länger wurden, obwohl die Uhr gleich blieb. Sie spürte, wie ihre Hände beim Strümpfenstopfen steifer wurden, als hielten sie nicht Wolle, sondern Draht. Einmal hörte sie spät im Flur ein Lachen, gedämpft, zu weich. Sie stand auf, ging zur Tür, fasste die Klinke und ließ sie los, als hätte sie glüht. Am nächsten Morgen roch die Küche anders.
nicht nach Brot, nicht nach Kaffee, sondern nach etwas Süßem, fremdem, das nicht sein durfte. Margarete begann die Teller umzustellen, als würde die Ordnung des Porzellans die Welt zurückbauen. Doch die Welt ließ sich nicht zurückbauen. Sie tat, was Welten tun, wenn man an ihnen zieht. Sie rutschte weiter.
So wuchs ein Geheimnis im Haus, genährt von Höflichkeit und Kalendern, von Psalmen und Flugfurchen. Es wuchs, weil Menschen Wärme suchen, auch wenn sie sich die Finger daran verbrennen. Es wuchs, bis es einen eigenen Puls bekam, den man nachts im Putzklopfen hörte. Dann kam die Nacht, die später alle erzählten würden, mit Stimmen, die am Ende leiser wurden und doch nicht endeten. Sie fiel in einen Regen, der vom Dach wie Ketten hing.