Ein Wille, der kein Erbarmen kannte. Und in einer Nacht, als die Glocke zwölf mal schlug und der Frost an den Fenstern wie Spinnennetze glitzerte, trat Margarete ans Fenster, sah in die Finsternis und flüsterte. Es muß enden. Das Haus atmete weiter. Der Winter legte sich auf Unterfranken wie ein schweres weißes Tuch.
Und was darunter schlummerte, regte sich nicht oder tat so, als wäre es Schlaf. Im Hof Blum knarrten die Tore seltener. Die Wagenräder standen abgestellt, mit Stroh umwickelt, damit die Speichen nicht sprangen. In der Kammer über der Küche hing Räucherfleisch an Haken und im Herd glom die Glut. auch wenn niemand daneben saß. Die Tage waren kurz, die Wege hart, die Worte knapp.
Margarete verteilte die Arbeit, als wären es Gebote. Heute Wäsche, morgen Einwecken, am Samstag den Boden im Flur schuern. Ihre Stimme war freundlich, aber ohne Spielraum. Kara nickte, Agnes nickte, Friedrich nickte. Der Hund legte den Kopf zwischen die Pfoten und tat, als verstünde er die Ordnung.
Nur nachts, wenn der Ofen knackte, wenn im Wald die Eule rief, wenn die Uhr im Flur die Stunden aus Glas baute, hörte Margarete noch etwas anderes. Ein leises Klicken in sich, wie von einer Uhr, die sie nicht aufgezogen hatte. Die Adventssonntage kamen mit Tannenduft und Wachs. In der Stube stand ein Kranz aus Fichtengrün, vier rote Kerzen, jede mit einer Schleife, als wäre sie verheiratet mit ihrem Licht.
Der Pfarrer predigte über Erwartung und die Leute sahen sich an, als sei Erwartung ein Wort, das man in der Manteltasche tragen könne. Am dritten Advent Agnes im Kirchenchor einen Satz von Johann Sebastian Bach. So hell, dass Margaretes Nacken kalt wurde. Klara trug an diesem Tag ein dunkelblaues Kleid ohne Schmuck. Man lobte ihren Geschmack. Friedrich sprach nach dem Gottesdienst mit dem Bürgermeister über den Frost in der Flur und über die neue Mühle am Bach.
die im Frühjahr angeschlagen werden sollte. Alles schien an seinem Platz, so ordentlich wie die Hauben der Küferinnen auf dem Markt. Doch Ordnung ist nur ein Bildrahmen. Das Bild darin kann brennen. An einem Abend, als der Schnee im Mondlicht wie Salz glitzerte, stand Margarete allein in der Speisekammer. Die Luft roch nach Apfelringen, Lorbär und kaltem Stein.
Sie zog die Schublade mit den Messern auf, schob sie wieder zu. Sie öffnete das Fach mit den Kräutern, Thymian, Salbei, Wermut und schloss es ebenso leise. Ihre Hände wollten etwas wählen. Ihr Kopf sagte noch nicht. Sie nahm stattdessen das Buch mit den Hausmitteln, dass sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Rezepte gegen Fieber, gegen Zahnschmerzen, gegen den bösen Blick.
Zwischen den Seiten lagen getrocknete Ringelblumen wie kleine Sonnen, die ihren Glanz aufgegeben hatten. Für Reinheit stand in einer altmodischen Schrift, die sich selbst nicht mehr glaubte. Sie schlug das Buch zu. Reinheit ist ein großes Wort. Es ist schwerer als eine Pfanne, dachte sie, und es fällt tiefer, wenn man es loslässt. Die Tage zwischen Weihnachten und drei König, jene Raunächte, in denen man in franken Türen mit Kreidezeichen segnet und die Wäsche nicht über Nacht hängt, brachte der Hof eine starre Höflichkeit hervor.
Klara legte Karten mit den Mägten und lachte kurz, als mußte sie das Lachen zählen. Agnes schnitzte aus einem Stück Birnbaumholz eine kleine Kapelle, deren Dach nie fertig wurde. Friedrich trank abends ein glas dunkles Kellerbier aus der Steinkrüge, hielt es an den warmen Ofen und blickte in die Flamme, als lese er eine Nachricht.
Manchmal legte er die Hand auf Kas Schulter, manchmal auf Agnes Haar, immer so, dass es wie ein Segen aussah. Und vielleicht glaubten sie alle für einen Atemzug daran. An Neuer schrieb der Pfarrer mit gesegnetem Kreide an die Tür. C + M + B, Christus Mansion im Benedikat, Christus segne, dieses Haus. Die Buchstaben leuchteten am Morgen, als die Sonne kurz erschien und dann wieder verschwand, als hätte sie etwas gesehen, das ihr nicht gefiel. Margarete begann zu planen, ohne es einen Plan zu nennen.
In der Kammer lag ein frisch gestärktes Tafeltuch aus feinem Damast, ein Hochzeitsgeschenk, das man selten hervorholte. Sie prüfte es gegen das Fenster. Keine Flecken, kein Schatten. In der Kredenz stand die gute Gläser, die nur bei Besuch aus der Stadt auf den Tisch kam. Sie wusch sie, auch wenn sie sauber waren, trocknete sie, auch wenn kein Tropfen daran hing.