Im Keller, wo der Boden immer ein wenig feucht war, standen Flaschen vom letzten Herbst, Riesling von der Meinleite, ein Boxbeutel, so bauchig wie eine gute Lüge. Sie redete sich ein, sie bereite den Dreikönigsabend vor. Dreikönig ist ein Fest, an dem man zusammen ist, an dem man Bohnenkuchen backt und die Bohne im Kuchen einem für einen Tag die Krone gibt.
Diesmal dachte sie, gebe ich die Krone, aber nicht im Kuchen. Der Hof hielt den Atem, ohne es zu merken. Das Vieß ruhig. Der Hund bellte in den Hof als ein Fuchs durch den Schneestrich. Die Mägte tratschten beim Wasserholen über die Hochzeit der Müllers Tochter im Nachbardorf. Der Schmied brachte neue Beschläge für das Stalltor.
All die Dinge, die ein Leben machen, standen in Reih und Glied. Und dahinter, in der zweiten Reihe stand Margaretes Entschluss. Der wuchs wie eine Erle im Bruch. langsam, ungerührt, zäh. In einer Nacht, die kälter war als die Nächte zuvor, saß sie am Tisch und nähte. Kein Kleid, keinen Vorhang, sondern eine Stille.
Die Nadel ging auf und ab und sie hörte, wie etwas in ihr zu einem Ende kam, ohne dass es je einen Anfang gehabt hätte. Es war die Idee, dass man mit Worten zurückgehen kann, dass man mit Tränen die Tinte aus der Welt wäscht. Man kann nicht. Was getan ist, bleibt getan. Was gesehen ist, bleibt gesehen.
Was geschehen wird, ist ein Schatten, der sich auf den Boden legt, lange bevor der Körper die Ecke erreicht. Am Morgen danach stellte Margarete die Schüsseln auf den Tisch. Grünkernsuppe, gebratene Ganz, Rotkohl mit Apfel und Nelke, Kartoffeln, so weich, dass die Gabel darin stand. Heute essen wir beieinander”, sagte sie. Ihre Stimme war glatt wie Eis.
Friedrich nickte, als sei das der natürliche Lauf der Dinge. Klara setzte sich links, Agnes rechts, wie immer und doch wie niemals. Die Kerzen sahen zu, wie der Dampf aufstieg. Sie sahen die Hände, die das Brot brachen. Sie sahen, wie in Margaretes Pupillen etwas flackerte, das nicht vom Kerzenlicht kam. Sie sahen, wie der Wein in den Bechern ruhig stand.
Margarete trank nicht. Sie wusch sich die Finger in einer Schale mit warm Wasser und Rosmarin. Eine alte Sitte, die niemand mehr brauchte und die doch so viel bedeutete wie ein Gebet. Reinige deine Hände, ehe du tust, was du nicht ungeschehen machen kannst. Nach dem Essen räumte sie langsam ab, so langsam, dass die Zeit zu knirschen begann. bleibt noch, sagte sie. Ich habe etwas.
Klara lächelte. Agnes neigte den Kopf. Friedrich rückte den Stuhl ein wenig vom Tisch ab, weil sein Rücken müde war. Das Messer lag auf dem Brett, das Gute mit der glatten Klinge und daneben lag das Tafeltuch zusammengefaltet mit einem Faden fixiert, damit es nicht auseinander fällt.
In Margaretes Brust war keine Glut mehr. Da war nur noch das klare kalte Licht, dass man sieht, wenn ein Eisblock bricht und sein inneres zum ersten Mal Luft bekommt. Sie hob den Blick und im Spiegel des Anrichtebüffets standen sie alle doppelt da. Vater, Töchter, Mutter und hinter ihnen die Konsequenzen. “Es muß enden,” sagte sie, “heute.
” Niemand verstand den Satz in diesem Moment so, wie er gemeint war, aber alle hörten ihn so, dass ihnen der Atem versetzte. Der Hund hob wieder den Kopf. Der Wind fuhr an die Fensterläden, als wolle er zuhören. Und im Ofen brach ein Stück Kohle auseinander mit einem Laut, der wie ein fernes Jahr klang. Die Kerzen sahen weiter zu.
Die Nacht nach dem Festmal hing schwer über dem Hof Blumen. Der Schnee draußen lag still, als sei er taub geworden. Und der Himmel war so dunkel, dass selbst die Sterne schwieg. Im Haus flackerten die Kerzen noch, als hätte niemand den Mut, sie auszublasen.
Friedrich Blum lehnte im Stuhl schwer vom Wein, den Kopf zurück, das Kinn auf die Brust gesunken. Klara saß neben ihm, die Hände ineinander verschränkt, als halte sie ein unsichtbares Gebet. Agnes spielte mit einem Tropfen Wachs, der ihr vom Kerzenhalter auf den Finger gefallen war. Nur Margarete stand unbewegt, die Hände am Tischtuch, als müß sie prüfen, ob der Stoff die Schwere der Stunde aushielt. “Ihr seid still”, sagte Friedrich schließlich.