Nicht, weil er schuldig war, sondern weil er widersprochen sah, was er für Natur gegeben hielt. Klara setzte an, etwas zu sagen, das wie Trost klang und doch Besitz war. Agnes atmete ein, zu schnell, und Margarete merkte, dass es keinen anderen Weg gab als den, den sie in kalter Stunde in sich gebaut hatte, den schmalen Steg zwischen Sühne und Sünde, der immer reißt.
“Heute”, sagte sie, und das Wort war ein Beil, das auf Holz fällt. Draußen begann es zu schneien, so lautlos, dass die Welt das Geräusch vergaß, mit dem sie sich dreht. Drinnen erlosch eine Kerze ohne Zug aus sich heraus, als hätte sie genug gesehen. In diesem Moment war die Zukunft nicht fern und nicht nah. Sie stand hinter ihnen wie ein Spiegel.
Wer hineinsah, sah nicht sich. Er sah, was kommen musste. Der Schnee fiel weiter in dicken Flocken und der Hof Blumen lag darunter wie unter einem Leichentuch. In der Stube brannen nur noch drei Kerzen. Ihr Licht warf lange Schatten über das Tischtuch. Der Wein glänzte schwarz in den Bechern und niemand rührte ihn an.
Margarete stand am Kopfende, den Rücken gerade, die Hände auf das Damast gelegt. Ihre Augen waren ruhig wie Wasser, das nicht spiegelt. Klara spielte mit der Gabel, drehte sie zwischen den Fingern, als sei sie ein Talismann. Agnes hielt die Hände im Schoß gefaltet. Aber ihre Finger bewegten sich unruhig, als webten sie unsichtbare Muster. Friedrich schob den Stuhl zurück.
Das Holz kratzte über die Dielen. Ein Laut, der wie eine Drohung klang. “Genug”, sagte er, und seine Stimme war schwer wie ein Hammer der Feld. “Genug von diesem Gerede.” Margarete neigte den Kopf, als hätte sie Zustimmung gehört. “Genug.” Ja, antwortete sie darum heute.
Er schlug mit der Hand auf den Tisch und die Gläser erzitterten. Klara zuckte zusammen. Agnes sog scharf die Luft ein. Der Hund in der Ecke hob den Kopf und knurrte. Ein Laut, der im Raum hängen blieb. “Ich bin Herr in diesem Haus”, sagte Friedrich. “Und niemand richtet mich außer Gott.” Margarete trat einen Schritt vor. Das Messer lag noch immer neben den Kerzen und die Klinge fing das Licht wie ein Auge.
“Gott hat gesehen”, sprach sie, “nd ich auch.” Die Stille danach war wie ein Abgrund. Man hörte nur das Tropfen von Wachs, das den Leuchter hinablief. Klara sprang auf. Mutter, rief sie, und in ihrer Stimme lag nicht Furcht, sondern Schutz, als wolle sie einen Schild zwischen ihn und die Welt stellen.
Agnes aber erhob sich langsam, als folgte sie einer unsichtbaren Stimme. Ihre Augen lagen auf der Mutter, groß, dunkel, feucht und doch ohne Bitte. Es darf nicht weitergehen”, flüsterte Margarete. “Merh zu sich selbst als zu den anderen.” Friedrich trat um den Tisch herum, schwer, jeder schritt wie ein Urteil.
“Du wagst”, begann er, aber er kam nicht zu Ende, denn Margarete hatte das Messer bereits in der Hand, nicht erhoben, nicht geschwungen, sondern ruhig, mit beiden Fingern an der Klinge, wie eine Hostie, die sie gleich teilen würde. “Es reicht”, sagte sie. Und in diesem Moment war das Haus stiller als je zuvor. Kein Knacken im Gebelk, kein Windstoß an den Läden, nur Herzschläge, die so laut waren, dass man sie im Holz spüren konnte. Dann geschah, was niemand mehr trennen konnte.
Ein Ruck, ein Laut, ein Schrei. Klarer griff nach der Hand des Vaters, Agnes nach der Mutter, und zwischen ihnen lag die Klinge kalt und hell. Niemand im Dorf hörte den Schrei. Draußen fiel weiter Schnee, so weich, daß er jedes Geräusch erstickte.
Nur die Kränen auf den kahen Bäumen flatterten auf, als hätten sie etwas gesehen, das für Menschenaugen zu viel war. Später, wenn man im Dorf von jener Nacht sprach, sagte man, man habe ein Glöckchen gehört, obwohl niemand es geläutet hatte. Andere schworen, sie hätten den Hund heulen hören, lang und klagend, wie an einem Grab. Doch im Hof selbst blieb alles verschlossen.
Nur die Kerzen brannten nieder und das Damastuch sog Fleck auf, der sich nicht mehr auswaschen ließ. Der Morgen danach kam mit grauem Licht. Der Schnee auf den Dächern war schwer und der Weg ins Dorf versperrt. Kein Knecht wagte, die Stube zu betreten. Das Haus atmete anders, kürzer, gepresster wie ein Brustkorb nach einem Hieb.