Wagner, der mittlerweile in Schönmünzach ein Zimmer gemietet hatte, beschloss, der Sache selbst nachzugehen. Er begann Nachtwachen in der Nähe der Mühle zu halten, versteckt im Unterholz mit einem Fernglas bewaffnet. In der dritten Nacht seiner Beobachtung am 17. April 1954 sah er sie, eine schlanke Gestalt, die sich vorsichtig durch den Wald bewegte in Richtung der Mühle.
Es war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, aber die Bewegungen waren die einer älteren Person. Vorsichtig, aber zielstrebig. Wagner folgte der Gestalt in sicherem Abstand. Die Figur hielt vor der Mühle inne, schien einen Moment zu zögern und verschwand dann durch den teilweise eingestürzten Eingang.
Wagner wartete einige Minuten, dann näherte er sich vorsichtig dem Gebäude. Als er den verfallenen Eingangsbereich betrat, hörte er Geräusche aus dem Keller, ein leises Kratzen wie von Metall auf Stein und ein kaum hörbares Murmeln, eine alte brüchige Stimme, die mit sich selbst sprach. Wagner, der kein Risiko eingehen wollte, verließ die Mühle und eilte zum Dorf zurück, um die Polizei zu alarmieren.
Als die Beamten eine Stunde später eintrafen und den Keller durchsuchten, fanden sie niemanden. Doch es gab Anzeichen für einen Besucher, frische Fußspuren im Staub, die abrupt vor einer der Kellerwände endeten. Die Beamten untersuchten die Wand und entdeckten, was Wagner und die vorherigen Ermittler übersehen hatten. eine schmale gut getarte Öffnung, die zu einem weiteren unterirdischen Gang führte.
Dieser Gang war nicht derselbe, der 18999 entdeckt worden war und zum Schuppen im Wald führte. Es war ein zweiter, bisher unbekannter Fluchtweg. “Die Mühle gibt ihre Geheimnisse nur widerwillig Preis”, notierte Wagner in seinem Tagebuch.
“Wie viele weitere verborgene Gänge und Kammern mag es noch geben? Was wurde noch alles übersehen bei der ursprünglichen Untersuchung?” Die Entdeckung des zweiten Tunnels bestätigte eine beunruhigende Vermutung. Die Schwestern Weber hatten ihr Versteck mit äußerster Vorsicht geplant, mit mehreren Fluchtwegen und verborgenen Räumen. Und jemand, möglicherweise eine der Schwestern selbst, kannte diese geheimen Wege und nutzte sie noch immer.
Die Mühle, die niemals zu schlafen schien, gab weiterhin ihre düsteren Geheimnisse Preis, Schicht um Schicht, wie die Schalen einer giftigen Frucht, und mit jeder neuen Entdeckung wuchs die Gewissheit: Der Fall der Schwestern Weber war noch lange nicht abgeschlossen.
Im Mai 1954 wurde eine umfassende archäologische Untersuchung der Webermühle und des umgebenden Geländes angeordnet. Ein Team von Experten unter der Leitung des Archäologen Dr. Martin Lehmann begann mit systematischen Grabungen und Sondierungen. Was sie in den folgenden Wochen entdeckten, übertraf die schlimmsten Befürchtungen.
Der neu entdeckte Tunnel führte nicht, wie zunächst angenommen, ins Freie, sondern zu einer unterirdischen Kammer, die etwa 20 m von der Mühle entfernt, unter dem Waldboden verborgen lag. Die Kammer war erstaunlich gut erhalten. Ein rechteckiger Raum von etwa 5 x 8 Met mit gewölbter Decke und gemauerten Wänden. Der Raum war eindeutig als Labor konzipiert, berichtete Dr. Lehmann.
An den Wänden standen Regale mit Glasgefäßen, Retorten und anderen wissenschaftlichen Instrumenten. In der Mitte befand sich ein großer Steintisch mit Rinnen, die zu Auffangbecken führten. Die Anordnung erinnerte an einen Sizziertisch, doch der eigentliche Schock kam, als die Archäologen die Regale an den Wänden näher untersuchten.
In Dutzenden von Glasgefäßen, sorgfältig beschriftet und versiegelt, befanden sich organische Proben, menschliche Organe, Gewebestücke und andere Körperteile, konserviert in einer klaren Flüssigkeit. Jedes Gefäß trug ein Etikett mit einer Nummer, die vermutlich mit den Einträgen im Weberprotokoll korrespondiert”, erklärte Dr. Lehmann.
Es war eine makabere Sammlung, systematisch geordnet und offenbar über Jahre hinweg zusammengetragen. Noch verstörender waren die Funde in einem verschlossenen Schrank in der hinteren Ecke des Raumes. Hier entdeckten die Archäologen mehrere lederne Notizbücher, vollgekritzelt mit einer dichten winzigen Handschrift. Diese Dokumente später als das dritte Weberprotokoll bezeichnet enthielten detaillierte Beschreibungen eines Experiments, das selbst die erfahrenen Ermittler erschütterte.