„Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen wird.“ Diese Sätze von Victor Hugo hallen in den ersten Novembertagen des Jahres 2025 besonders laut wider. Sie sind ein Trost, aber auch eine Verpflichtung. Denn in diesen Tagen hat die Welt neun bedeutende Seelen verloren – Architekten der Kultur, Baumeister der Politik und Pioniere der Kunst. Von den stillen Gestaltern des amerikanischen Fernsehens bis hin zum mächtigsten Vizepräsidenten der modernen Ära hinterlassen sie Lücken, die nur durch die Erinnerung gefüllt werden können. Ihre Geschichten sind ein Spiegelbild des 20. Jahrhunderts und ein Vermächtnis für die Nachwelt. Wir gedenken hier ihrer Leben, die so tief, so kompromisslos und so bedeutsam waren.
Die stillen Architekten des Bildes
Am 1. November 2025 verließ Ralph Ebert Senenski die Welt, ein Jahrhundert nach seiner Geburt. Er war ein stiller, bescheidener Mann, dessen wahre Größe hinter der Kamera verborgen blieb. Seine Karriere war eine tief verwurzelte Lektion in der Handwerkskunst des Regisseurs. Im Pessardina Playhouse erlernte er die Fähigkeit, menschliche Momente nicht nur einzufangen, sondern zum Leben zu erwecken. Als er 1958 zum Fernsehen wechselte, brachte er jahrzehntelange theatralische Erfahrung mit, die die Bildschirme Amerikas für drei Jahrzehnte prägte. Senenski führte Regie durch das Labyrinth von The Fugitive, durch die kosmischen Weiten von Star Trek und die ländliche Tiefe von The Waltons. Er war ein Handwerker, der Momente schuf, die blieben. Bemerkenswert ist, dass er nach dem Tod von Robert Butler im Jahr 2023 die letzte lebende Person war, die eine Episode der ursprünglichen Star Trek-Serie inszeniert hatte. In Carmel-by-the-Sea starb ein Mann, der das Fernsehen entscheidend mitprägte und der eine der letzten lebenden Verbindungen zu dessen goldenem Zeitalter darstellte.

Eng verwandt mit der Kunst der visuellen Erzählung war das Vermächtnis von Diane Ladd, einer Schauspielerin, deren Karriere sich über sieben Jahrzehnte erstreckte. Von ihren Anfängen im New-Orleans-Theater bis zu ihrer leuchtenden Leinwandpräsenz verkörperte sie eine seltene und fesselnde Mischung aus Verletzlichkeit und Stärke. Diane Ladd öffnete mit jeder Rolle ein Fenster in die menschliche Komplexität, immer mit Eleganz und unbestreitbarer Wahrhaftigkeit. Drei Oscar-Nominierungen – für Alice Doesn’t Live Here Anymore, Wild at Heart und Rambling Rose – zeugen von der weitreichenden Anerkennung ihrer Kunst. Die letzte dieser Nominierungen teilte sie mit ihrer Tochter Laura Dern, was einen seltenen und historischen Moment der Begabung in der Filmgeschichte darstellte. Doch Diane Ladd ruhte sich nie auf Auszeichnungen aus; sie arbeitete stetig weiter in allen Medien, angetrieben von einer tiefen Liebe zur Kunst selbst. Ihre persönliche Widerstandskraft spiegelte die Charaktere wider, die sie spielte, besonders als sie 2018 eine falsch diagnostizierte, unheilbare Krankheit mit derselben Entschlossenheit bekämpfte, die ihre Arbeit auszeichnete. Sie erholte sich vollständig und setzte ihre Arbeit fort. Sie war eine Künstlerin, die es ablehnte, sich nach Alter oder Typ einschränken zu lassen, und die bis zum Ende engagiert blieb.
Ebenso unvergesslich ist die Schauspielerin Pauline Collins (gest. 6. November 2025), deren Karriere von Unverwechselbarkeit und künstlerischer Vielseitigkeit geprägt war. Ihre späte theatralische Karriere begann erst 1962, aber schon bald machte sie sich in Upstairs Downstairs einen Namen als die Hausangestellte Sarah. Ihr künstlerischer Höhepunkt war jedoch die Verkörperung von Shirley Valentine. In dieser Figur, einer frustrierten Hausfrau, die sich von den Fesseln ihres Alltags befreit, fand Collins eine Rolle, die ihre gesamte emotionale und künstlerische Sensibilität entfaltete. Der Lawrence Olivier Award, der Tony Award und die anschließenden Oscar- und Golden-Globe-Nominierungen für den Film waren die Bestätigung einer zeitlosen Schöpfung. Pauline Collins weigerte sich, sich in dieser einzigen Rolle einzunisten. Sie spielte eine irisch-amerikanische Nonne, eine jüdische Mutter unter Nazi-Besetzung und eine australische Missionarin. Jede Rolle war eine Offenbarung einer neuen Facette ihrer Seele. Ihre tiefe persönliche Geschichte, insbesondere das Wiedersehen mit ihrer 1964 zur Adoption freigegebenen Tochter – beschrieben in ihrer Autobiografie Letter to Louise – zeigte die gleiche Tiefe und Ehrlichkeit, die ihre besten Auftritte ausmachte. Sie hinterlässt nicht nur große Leinwandmomente, sondern die bleibende Erinnerung an jemanden, der verstand, dass wahre Kunst immer aus echter menschlicher Erfahrung entsteht.
Die vierte im Bunde der darstellenden Künstlerinnen ist Sally Kirkland (gest. 11. November 2025), deren Leben selbst ein kontinuierliches Kunstwerk war. In den kunstgeladenen 1960er Jahren in New York City fand sie ihren Platz in Andy Warhols 13 Most Beautiful Women. Schon lange vor ihrem Durchbruch war Kirkland eine Figur der künstlerischen Maverick-Bewegung, die ihre Kunst mit einer Intensität lebte, die vielen ihrer Zeitgenossen fremd war. Als eine der ersten amerikanischen Schauspielerinnen, die sich nackt auf der Bühne präsentierten, war sie eine Pionierin der künstlerischen Ehrlichkeit, die Schmerz und Schönheit ohne Kompromisse ausdrückte. Der spätere Durchbruch mit Anna (1987) brachte ihr den Golden Globe, den Independent Spirit Award und eine Oscar-Nominierung. Ihre Darstellung einer alternden Schauspielerin zeigte eine Künstlerin in ihrer Reife, die verstand, dass wahre Tiefe nicht in der Jugend liegt, sondern in der gelebten Erfahrung. Sally Kirkland malte, lehrte und aktivierte sich für Gerechtigkeit, unter anderem durch die Gründung des Kirkland-Instituts für Frauen, die unter den Folgen von Brustimplantaten litten. Ihre Schülerinnen, darunter Sandra Bullock und Barbra Streisand, lernten von ihr nicht nur die Schauspielkunst, sondern eine kompromisslose künstlerische Haltung.
Die Stimmen, die Epochen definierten
Ebenso tiefgreifend war der Einfluss der Persönlichkeiten, die durch Musik und Stimme wirkten. Donna Jean Gotch McCay war eine Künstlerin, deren Stimme das Fundament einer Ära bildete. In Florence, Alabama, geboren, wuchs sie inmitten der legendären Musiktraditionen der Shoals auf und wurde früh zur Stütze unzähliger ikonischer Aufnahmen. Ihr Mezzosopran prägte Klassiker wie Percy Sledge’s When a Man Loves a Woman und Elvis Presleys Suspicious Minds. Als sie 1972 zur Grateful Dead stieß, brachte sie eine völlig neue Dimension in die Band: eine menschliche, emotionale Verankerung inmitten der kosmischen Improvisationen der Dead. Sieben Jahre lang war sie das emotionale Zentrum, die Stimme, die Absicht in die scheinbar grenzenlosen Soundscapes trug. Auch nach ihrem Austritt aus der Dead-Familie kehrte Donna Jean bewusst nach Alabama zurück und schuf weiterhin neue Musik. Ihre Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame im Jahr 1994 war die offizielle Anerkennung dessen, was ihre Hörer längst wussten: Ihre Bedeutung war unermesslich.
Im Heavy Metal verlor die Welt Chris Bradley (gest. Anfang November 2025), Bassist, Sänger und visionärer Gründer der britischen Institution Savage. Bradley verkörperte eine Generation von Musikern, die entschlossen waren, dem Hardrock eine neue Sprache zu geben. Seine Band Savage war nicht auf Kommerz ausgerichtet, sondern auf künstlerische Redlichkeit. Auf dem Kompilationsalbum Scene of the Crime im Jahr 1981 schuf Bradleys Bassspiel in dem Titel Led Loose eine klangliche Brücke zwischen den Rockklassikern und einer völlig neuen Ästhetik. Es war kein Zufall, dass Lars Ulrich und die sich formierende Metallica diesen Titel aufgriffen und ihn zum Fundament des Thrash Metal machten. Bradley half, einen Sound zu definieren, der Generationen prägen würde. Über Jahrzehnte hinweg blieb er das rhythmische Gewissen der Band, schuf Atmosphäre, wo andere nur Struktur lieferten. Trotz zweier Herzinfarkte im Jahr 2020 und seiner späteren, langen Krankheit definierte Bradleys Kampfgeist seinen Charakter: keine Kapitulation, nur die stille Entschlossenheit weiterzumachen.
Auch Deutschland trauert um eine vertraute Stimme: Matthias Holdmann (gest. 9. November 2025), der Radiomoderator und Musiker, dessen Leben sich in Rhythmen und Stimmen abspielte. Er war kein gewöhnlicher Moderator. Holdmann war der Schlagzeuger der Rockband Trium, Jazzmusiker, Journalist und schließlich Musikredakteur und Chef beim Süddeutschen Rundfunk (SDR) und später beim SWR3. Seit 1979 war seine Präsenz in Baden-Württemberg unüberhörbar, sei es in Sendungen wie extra spät und Na und oder als Stadionsprecher des VFB Stuttgart (1999-2000). Diese Jahre waren von einer ansteckenden Energie geprägt. Doch 2009 erhielt Holtmann die Diagnose Parkinson. Nach Jahren von Muskelschmerzen und Koordinationsproblemen ordnete diese Nachricht sein Leben neu. Er arbeitete weiter, entwickelte neue Programmformate, bis er sich 2015 zur Ruhe setzte. Die Krankheit hatte gesiegt, doch Holtmann akzeptierte dies mit einer Würde, die sein gesamtes Leben kennzeichnete. In seinem Buch Holtmanns Erzählungen, Porsche, Pop und Parkinson verarbeitete er seine Erfahrungen und gab ihnen die Form und Stimme, die er stets gemeistert hatte.
Die Architekten der Weltbühne
Die ersten Novembertage markierten auch den Verlust zweier Männer, deren Entscheidungen und Überzeugungen den Lauf der Geschichte und des öffentlichen Diskurses prägten.
Richard Bruce Cheney (gest. 3. November 2025) starb umgeben von seiner Familie in seinem Heim. Sein Einfluss reichte weit über jedes Amt hinaus, das er bekleidete. Sein Aufstieg in der amerikanischen Politik war methodisch und entschlossen: Praktikant, Stabschef des Weißen Hauses (1975-1977), Verteidigungsminister (1989-1993) – wo er die Operationen Just Cause und Desert Storm beaufsichtigte. Als 46. Vizepräsident unter George W. Bush (2001-2009) galt Cheney weithin als der mächtigste Vizepräsident in der Geschichte Amerikas. Sein Einfluss formte die Reaktion der Nation auf die Anschläge vom 11. September und die nachfolgenden Kriege in Afghanistan und im Irak. Besonders in Deutschland bleibt sein Vermächtnis umstritten, da seine Entscheidungen im Falle des Irakkriegs zu tiefen Zerwürfnissen mit der Regierung Schröder/Fischer führten, die sich vehement gegen den Krieg aussprach. Doch seine späteren Jahre brachten unerwartete Wendungen. Cheney brach öffentlich mit der republikanischen Partei über Donald Trump und unterstützte 2024 die demokratische Kandidatin Kamala Harris. Ein Mann von erheblicher Macht, dessen Vermächtnis so komplex bleibt wie die Epoche, die er prägte.
Schließlich verlor die katholische Publizistik mit Paul Badde (gest. 10. November 2025) eine prägende Gestalt. Badde, geboren 1948, war ein leidenschaftlicher Sucher nach Wahrheit. Seine Karriere bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Welt führte ihn als Korrespondent nach Jerusalem und später nach Rom und in den Vatikan, wo er als Brückenbauer zwischen Glaube, Geschichte und Journalismus wirkte. International bekannt wurde er durch seine Forschung zum Muschelseidentuch von Manoppello, das er in seinem Werk Das göttliche Gesicht als das Schweißtuch Jesu argumentativ darlegte. Dieses Engagement fand Anerkennung, als Papst Benedikt XV. den Ort 2006 besuchte. Badde war Gründungsherausgeber des Vatikanmagazins und setzte sich als Vorsitzender der Fatima Aktion für verfolgte Christen ein. Sein Lebenswerk aus Büchern und Artikeln manifestierte eine Haltung, dass Journalismus eine Form der Pilgerschaft sein kann. Er starb in Manoppello, jenem italienischen Ort, der sein Sehnsuchtsort und dessen Ehrenbürger er war.
Im Angesicht der Erinnerung
Diese neun Persönlichkeiten – der stille Regisseur, die widerstandsfähigen Schauspielerinnen, die musikalischen Revolutionäre, der mächtige Politiker und der suchende Publizist – sind in den ersten Novembertagen 2025 von uns gegangen. Jeder von ihnen hat seine Welt verändert. Wir ehren sie nicht nur für das, was sie taten, sondern für die Art und Weise, wie sie lebten: mit Entschlossenheit, künstlerischer Redlichkeit und einer unerschütterlichen Leidenschaft für ihre jeweilige Berufung. Ihre Leben sind nun Teil des kollektiven Gedächtnisses. Und solange wir uns erinnern, sind sie, nach Victor Hugos Worten, nicht tot, sondern nur fern. Sie verdienen unseren Respekt und unsere tiefe, bleibende Erinnerung.