„Aus dem Leben seid ihr uns genommen, aber nicht aus unseren Herzen.“
Diese Worte hallen besonders tief nach, wenn die Tage kürzer werden und die goldene Pracht des Oktobers in die Stille des Novembers übergeht. Zwischen Mitte Oktober und den ersten Novembertagen des Jahres 2025 verlor die Welt zehn Persönlichkeiten, deren Leben so vielfältig, so kompromisslos und so tiefgreifend waren, dass ihr kollektiver Abschied eine Zäsur in der Kultur, der Politik und dem Sport darstellt. Von den Bühnen Wiens bis zu den weiten Feldern des American Football, von den literarischen Zeugnissen der Vertreibung bis zu den unsterblichen Rhythmen des Hip-Hop – diese zehn Seelen hinterlassen nicht nur eine Lücke, sondern auch ein reiches, vielschichtiges Vermächtnis, das uns zwingt, über die wahre Natur von Ruhm, Widerstandskraft und menschlicher Würde nachzudenken.
Wir gedenken hier ihrer Leben – der stillen Kämpfer, der unbeugsamen Künstler und der tragisch früh Verlassenen.

I. Die Bürde der Schönheit und die Tragik des Images
Unter den Verstorbenen finden sich zwei Männer, deren Leben auf tragische Weise vom Image dominiert wurden – ein Fluch, der die Person hinter der Fassade fast zu verschlingen drohte.
Björn Johann Andresen (1955–2025) verkörperte diese Tragik wie kaum ein anderer. Im Alter von nur 14 Jahren wurde der schwedische Schauspieler als Tadzio in Luchino Viscontis „Der Tod in Venedig“ zum „schönsten Jungen der Welt“ ernannt. Dieses Lob, ausgesprochen auf den Filmfestspielen von Cannes, war Gabe und Fluch zugleich. Andresen, der ohne Vater aufwuchs und seine Mutter früh durch Suizid verlor, wurde durch die Rolle von Filmemachern und der Welt sexualisiert und objektiviert. Er sprach offen darüber, wie Viscontis Regie ihn ausbeutete – ein dunkler Kontrast zur filmischen Ästhetik. Sein ganzes Leben war ein mühsamer Kampf, dieses unbestellte Image abzuschütteln. Er lehnte Rollen ab, die auf seine Schönheit abzielten, und zog sich nach einem kurzen Kultphänomen in Japan, wo sein Gesicht auf Plakaten und Schokoladenpackungen prangte, in die Komplexität des Ewig-Gesehen-Seins zurück. Der Tod seines Säuglings Elvin durch plötzlichen Kindstod stürzte ihn in eine Depression, von der er sich nie erholte. Die Dokumentation „The Most Beautiful Boy in the World“ (2021) war seine späte Abrechnung. Andresen hinterlässt die erschütternde Erinnerung daran, wie schnell Schönheit zur Bürde und Ruhm zur Qual werden kann.
Eine andere Art von Herausforderung prägte das Leben von Hakan Orbeyi (1971–2025), dem deutschen Schauspieler türkischer Herkunft, der mit nur 54 Jahren starb. Orbeyi war ein Mensch voller Widersprüche, ein Sohn der Migration, der sich seinen Weg aus der Not heraus erkämpfte. Bevor er durch Zufall für die Hauptrolle in Sumo Bruno entdeckt wurde, führte er mehrere Leben: Tankstellenkaufmann, Speditionskaufmann und – am bemerkenswertesten – unabhängiger Personenschützer für namhafte Prominente wie Michael Jackson und Claudia Schiffer. Diese Härte, diese außergewöhnliche Diskretion und das Verantwortungsbewusstsein spiegelten seine Präsenz auf der Leinwand wider. Er war hart und verletzlich zugleich. Seine Filmrollen in Sense Aid oder Kebab Connection zeugen von einem Schauspieler, der Komplexität und kulturelle Nuancen authentisch vermitteln konnte. Seine späteren Jahre waren von gesundheitlichen und rechtlichen Wirrnissen geprägt. Hakan Orbeyi bleibt in Erinnerung als ein Künstler, der mehrere Leben mit kompromissloser Authentizität lebte und der uns daran erinnert, dass wahre Stärke oft aus der Fähigkeit entsteht, Verletzlichkeit zuzulassen.
II. Die Meister der Dauerhaftigkeit und Integrität
Im Gegensatz zu jenen, die früh oder unter der Last des Ruhms litten, standen Persönlichkeiten, deren Vermächtnis durch erstaunliche Langlebigkeit, unerschütterliche Integrität und das Eingehen von tiefen Verbindungen geprägt war.
June Lockert (1925–2025) verstarb friedlich im Alter von 100 Jahren. Ihre Karriere war ein Spiegelbild der gesamten amerikanischen Unterhaltungswelt. Geboren in eine angesehene Theaterfamilie, bewegte sie sich mühelos vom Goldenen Zeitalter Hollywoods (Meet Me in St. Louis) zum Fernsehen. Dort wurde sie zur Ikone der Hingabe: als Ruth Martin in „Lassie“ und später als die intelligente Dr. Maureen Robinson in der Science-Fiction-Serie „Lost in Space“. Ihre Vielseitigkeit brachte ihr Emmy-Nominierungen und einen Tony Award ein. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass die NASA sie 2013 mit der Exceptional Public Achievement Medal ehrte, weil sie die Öffentlichkeit für die Weltraumforschung inspirierte. June Lockert lebte ein Jahrhundert lang mit Vitalität, Neugier und Prinzipien, indem sie Menschlichkeit in jede Rolle brachte und uns bewies, dass wahre Präsenz zeitlos ist.
Ähnliche Integrität prägte das Leben von Günther Haritz (1948–2025), „Der Blitz aus Leimen“, der im Alter von 77 Jahren einem Krebsleiden erlag. Haritz war eine Legende des deutschen Radsports, dessen Name für Disziplin, Fairness und Triumph steht. Sein größter Moment kam 1972, als er mit dem „Goldvierer“ bei den Olympischen Spielen in München die Goldmedaille in der Mannschaftsverfolgung gewann. Dies war der Höhepunkt einer Ära, in der Deutschland den Bahnradsport dominierte. Seine zweite Karriere als Profi in den Sechstagerennen festigte seinen Ruf als Ausnahmesportler. Doch jenseits von Medaillen und Titeln stand ein Mensch von seltener Bescheidenheit, der nach seinem Karriereende ein Fahrradgeschäft in seiner Wahlheimat betrieb. Günther Haritz verkörperte die Tugend, dass wahre Größe nicht nur in Siegen, sondern in der unerschütterlichen Leidenschaft für seinen Sport und der Wärme für seine Gemeinschaft liegt.
III. Die stillen Giganten: Manager, Denker und Zeugen
Einige der wichtigsten Vermächtnisse werden nicht auf der Bühne, sondern im Hintergrund geschaffen. Sie sind die Bewahrer der Erinnerung und die Vermittler der Kunst.
Dieter Weidenfeld (1930–2025), mit 95 Jahren verstorben, war einer dieser „stillen Giganten“. Seine Karriere ist ein Lehrstück in Weitblick und humanistischem Management. Als Sohn eines jüdischen Vaters, geprägt von den Erfahrungen der NS-Zeit, entwickelte er eine tiefe Sensibilität für das Wesentliche. Weidenfeld revolutionierte als Konzertmanager die Konzertwirtschaft und betreute ein beeindruckendes Ensemble deutscher Stars wie Peter Kraus und Rex Gildo. Sein größter Coup war die Entdeckung von Howard Carpendale im Jahr 1966 – eine Intuition, die über Jahrzehnte fruchtbar blieb. Weidenfelds Kunst bestand darin, die Kunst in anderen zu erkennen und zu fördern, ein wahrer Intellektueller unter den Managern, der seine humanistischen Werte nie vergaß.
Ebenso ein Gedächtnis seiner Zeit war Alexander Fitz (1948–2025), der Schriftsteller und Aktivist, dessen Leben von Vertreibung, Widerstand und der Suche nach Wahrheit geprägt war. Als Kind der Deportationen wuchs er in Nordkasachstan auf. Aus dieser Erfahrung der Entwurzelung entstand sein unerschütterlicher Wille, für die Rechte der russlanddeutschen Volksgruppe einzustehen. Fitz stieg gegen alle Widerstände auf und wurde der erste Deutsche in der Sowjetunion, der zum Chefredakteur einer Republik-weiten Zeitung ernannt wurde. Nachdem er sich in München niederließ, erzählten seine in russischer Sprache verfassten Bücher die Geschichten seiner Volksgruppe mit einer Tiefe, die über bloße Dokumentation hinausging. Seine Werke sind in Universitätsbibliotheken zu finden, und ein Brief wurde sogar vom Kanzleramt anerkannt. Fitz war Zeuge einer verschwundenen Welt und verstand die Erinnerung als heilige Pflicht.
IV. Die plötzliche Zäsur: Früher Verlust und letzte Würde
Die wohl emotionalsten Abschiede sind jene, die uns früh und unerwartet treffen, und jene, die in Würde im Angesicht des Todes geführt werden.
Der Tod von Jan Koch (1980–2025) schockierte die Kulturszene durch seine tragische Plötzlichkeit. Der Singer-Songwriter, bekannt für seine melancholisch-ironischen Lieder, kam auf Korsika ums Leben, als er in den Sturzfluten des Fangflusses ertrank. Koch hatte ein Publikum über zwei Jahrzehnte mit seiner Poesie und Leichtigkeit berührt. Sein Leben war ein Balanceakt zwischen intellektueller Schärfe (Lesebühnen, Poetry Slams) und einem bodenständigen, lokalen Leben in Brandenburg, wo er mit seiner Frau eine Crêperie betrieb. Er verstand, dass Humor und Trauer nicht Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben menschlichen Erfahrung sind. Sein Tod ist eine bittere Erinnerung daran, dass selbst die gefestigtste Balance durch eine Laune der Natur jäh beendet werden kann.
Eine andere Art der Zäsur erlitt Nicholas Allen Mangold (1984–2025). Der renommierte Center der New York Jets verstarb mit nur 41 Jahren. Auf dem Feld war er der Inbegriff der Stärke und Beständigkeit, siebenfacher Pro Bowl-Teilnehmer und eine Führungspersönlichkeit. Doch im Oktober 2025 enthüllte er seinen privaten Kampf: eine chronische Nierenerkrankung, mit der er seit 2006 lebte. Sein öffentlicher Aufruf zur Nierentransplantation zeigte die Gnade, mit der er lebte, und die unerschütterliche Widerstandskraft abseits des Scheinwerferlichts. Sein Vermächtnis ist nicht nur sportliche Exzellenz, sondern die stille Integrität, mit der er einen schweren Kampf führte, bis er schließlich an den Komplikationen der Krankheit verstarb.
Der Wiener Schauspieler Robert Reinagel (1968–2025) verließ uns im Alter von 57 Jahren nach einer Lungenkrebsdiagnose. Reinagel war ein Universalist und ein treuer Sohn Wiens, festes Ensemblemitglied des Burgtheaters, Lehrer, Sänger und leidenschaftlicher Vermittler der Wiener Kultur. Was in seinen letzten Jahren am meisten bewundert wurde, war seine Haltung im Angesicht der Krankheit: „Ich bin ja mehr als meine Krankheit“, sagte er damals. Diese Einstellung – Professionalität gepaart mit menschlicher Wärme und dem Credo, „leiwand zueinander sein“ zu sollen – durchzog sein gesamtes Leben und macht seinen Tod zu einem Moment der stillen, bewundernswerten Würde.
Schließlich verlor die Hip-Hop-Welt Glenn Clifton Jr., besser bekannt als Young Bleed (1974–2025), der plötzlich an einem Hirnaneurysma verstarb. Als Pionier des Südstaaten-Raps aus Baton Rouge (Concentration Camp) schuf Young Bleed authentische Narrative, die in Street-Weisheit verwurzelt waren und Platinstatus erreichten. Seine Musik bewies, dass Verwundbarkeit und Stärke im Hip-Hop koexistieren können. Sein Tod hinterlässt einen erheblichen Verlust in einer Gemeinschaft, deren Leben er durch seine unerbittliche Kunstfertigkeit berührte.
V. Die bleibende Erinnerung
Die Abschiede von Alexander Fitz, Jan Koch, June Lockert, Nick Mangold, Björn Andresen, Hakan Orbeyi, Günther Haritz, Robert Reinagel, Young Bleed und Dieter Weidenfeld bilden ein Mosaik, das die volle Bandbreite menschlicher Erfahrung widerspiegelt. Sie waren Pioniere, Kämpfer, Bewahrer und Brückenbauer. Ihr Verlust ist nicht nur der Verlust einer prominenten Persönlichkeit, sondern der Verlust einer Perspektive, eines Stücks Geschichte und eines unvergesslichen Klangs.
Indem wir uns an die stille Integrität eines Nick Mangold, die bewundernswerte Würde eines Robert Reinagel, die Langlebigkeit einer June Lockert und die schöpferische Kraft eines Alexander Fitz erinnern, erfüllen wir die Pflicht, die Victor Hugo uns auferlegte: Sie nicht zu vergessen. Denn nur wer vergessen wird, ist tot. Ihre Stimmen, ihre Bilder und ihre Werke klingen und leuchten weiter – ein ewiges, unvergängliches Vermächtnis.