Agenten-Mord in Hannover? Die neue DNA-Spur, das Gift im Regenschirm und die Jagd nach dem Chemiker-Phantom

Der Tod, der nicht vergessen wird: Ein Cold Case wird wieder heiß

Hannover/Celle (Deutschland). Es ist ein Verbrechen, das in seiner Kaltschnäuzigkeit und der Wahl der Waffe bis heute als einzigartig in der deutschen Kriminalgeschichte gilt: Der Mord an Christoph Bulwin. Am 15. Juli 2011, an einem belebten Freitagnachmittag in der hannoverschen Innenstadt, wurde der 40-jährige Familienvater und Softwareentwickler auf offener Straße mit einem präparierten Regenschirm attackiert. Was zunächst wie eine skurrile Körperverletzung schien, entpuppte sich als ein langsames, qualvolles Todesurteil. Bulwin starb zehn Monate später an den Folgen einer hochgefährlichen Quecksilber-Vergiftung.

Zehn Jahre lang galt der Fall als weitestgehend kalt. Die Ermittlungen wurden 2013 eingestellt, der Täter blieb ein Phantom. Doch nun, dank der hartnäckigen Arbeit der Mordkommission und einer bahnbrechenden Neubewertung der DNA-Spuren im Jahr 2023, erhält der Cold Case eine dramatische Wendung. Die neuen Erkenntnisse widerlegen nicht nur eine lange gehegte Theorie der Ermittler, sondern deuten auf ein Team von Tätern hin, die über hochspezialisiertes chemisches Wissen verfügten. Die Jagd nach dem sogenannten „Regenschirm-Mörder“ ist wieder eröffnet – und sie führt in ein Umfeld, das von industrieller Rache bis hin zu geheimdienstlichen Methoden reichen könnte.

Der Stich und die unsichtbare Waffe

Der Tatort: Eine unauffällige Hinterstraße im Stadtteil Karlenberger Neustadt in Hannover. Christoph Bulwin, IT-Mitarbeiter der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE), war auf dem Weg zu seinem Auto, wie jeden Freitag. Gegenüber dem Hinterausgang seines Büros bemerkte er einen Mann: Basecap, Sonnenbrille, Regenschirm in der Hand, telefonierend. Ein Bild, das Zeugen später detailliert beschreiben sollten.

Als Bulwin weiterging, rammt ihm der Unbekannte im Vorbeigehen die Spitze seines Regenschirms unvermittelt in die linke Gesäßhälfte. Ein stechender, brennender Schmerz.

Bulwin, überrascht, aber geistesgegenwärtig, nimmt die Verfolgung auf. Er stellt den Angreifer, es kommt zu einem kurzen Gerangel, doch der Täter entkommt in Richtung Jägerstraße. Was Christoph Bulwin dabei in der Hand behält, ist ein makabres Beweisstück: Ein abgerissener Teil der Schirmspitze, in der eine kleine Röhre steckt. In der Röhre: eine Spritze mit einer hellen Flüssigkeit. Das gesamte Konstrukt war mit schwarzem Klebeband fixiert.

Im Krankenhaus vermuten die Ärzte zunächst Drogen oder eine versuchte HIV-Infektion. Bulwin, dessen Zustand zunächst stabil ist, erhält vorsorglich HIV-Prophylaxe. Doch die Symptome, die eine Woche später einsetzen, sind verheerend und neu: Übelkeit, Kopfschmerzen, schwerer Ausschlag, sich abschälende Haut und schließlich, im August, das Wachkoma.

Das Gift im Blut: 2000-fache Dosis des Todes

Sechs Wochen nach dem Vorfall, als es dem Familienvater bereits zusehends schlechter geht, liefern die Laborergebnisse die schreckliche Wahrheit: Die Quecksilberbelastung in Christoph Bulwins Blut liegt bei 4200 Mikrogramm pro Liter – mehr als das 2000-fache der normalen Menge. Die Flüssigkeit im Regenschirm war ein hochtoxisches Quecksilber-Derivat, wahrscheinlich Methylquecksilber (oder in seiner extrem gefährlichen Form Dimethylquecksilber).

Für die Ermittler stand fest: Bulwin wurde vergiftet. Die Substanz wirkt langsam, zermürbend und qualvoll.

Der Chemikerin Karen Wetterhahn aus den USA wurde die tödliche Gefahr des Stoffes 1996 in erschreckender Weise zum Verhängnis. Ein einziger Tropfen des hochgefährlichen Giftes gelangte durch einen Latexhandschuh auf ihre Haut. Monate später starb sie nach einer ähnlichen Odyssee wie Bulwin. Die schiere Gefahr und die Komplexität im Umgang mit Methylquecksilber implizieren, dass der Täter nicht nur wusste, wo er die Substanz beschaffen konnte, sondern auch, wie er sie handhaben und in die Waffe präparieren musste, ohne sich selbst zu gefährden.

Trotz einer kurzzeitigen Stabilisierung im Frühjahr 2012 verstarb Christoph Bulwin am 9. Mai 2012 an den Folgen der Vergiftung, zehn Monate nach dem Stich, in einem epileptischen Anfall. Die Staatsanwaltschaft ermittelte fortan wegen Tötungsdelikts.

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