Die Macht des Schweigens als Zündfunke
Für Petermann selbst ist diese Phase besonders heikel. Er hat sich verpflichtet, den Fall anzusehen, doch er hat bewusst noch keine Analyse begonnen. Dies bedeutet, dass jede Interpretation seines Schweigens gefährlich werden kann. Doch diesmal bewirkt sein Schweigen mehr als jede Stellungnahme. Es lässt die Erwartung im Raum stehen, eine Erwartung, die als Katalysator für eine Kettenreaktion sorgt.
Die größte Dynamik entfaltet sich in der Öffentlichkeit und bei den Zeugen. Die Nachricht, dass Petermann den Fall prüfen wird, verbreitet sich schneller als jede bisherige Entwicklung im gesamten Ermittlungsverlauf. Plötzlich melden sich Menschen, die seit Monaten geschwiegen hatten. Ein ehemaliger Nachbar der Familie deutet an, er habe die Abläufe des Tages, an dem Fabian verschwand, bisher falsch interpretiert. Sein Hinweis, dass ihm etwas gesehenes erst jetzt seltsam vorkomme, reicht aus, um die Berichterstattung in eine neue Richtung zu lenken.
Der Druck auf die Ermittlungsbehörden wächst ins Unermessliche. Die bloße Vorstellung, dass Petermann eines Tages Einsicht in die Akten erhalten könnte, wirkt wie ein Weckruf, der die gesamte Ermittlungsstruktur in Bewegung setzt. Was zuvor als Routine galt, wird plötzlich doppelt überprüft. Interne Notizen werden präziser formuliert, und Akten werden erneut sortiert und gesichert. Niemand will riskieren, dass offensichtliche Versäumnisse später ans Licht kommen.
Die innere Unruhe wurde unkontrollierbar, als Petermann während eines kurzen Gesprächs mit einem Lokaljournalisten einen einzigen, allgemeinen Satz fallen ließ. Er sagte, es gäbe Situationen, in denen kleine Details eine ganz andere Bedeutung bekommen, sobald man sie im richtigen Kontext betrachtet. Obwohl er keinen Namen nannte, wirkte die Formulierung in der angespannten Atmosphäre wie ein indirektes Signal, dass im Fall Fabian etwas nicht stimmig sei.
Die Wiederentdeckung des Unsichtbaren
Dieses Zitat entfesselte eine Lawine. Ein Video, das vor Monaten aufgenommen wurde, tauchte plötzlich wieder auf. Es zeigte ein kurzes, unscheinbares Gespräch zwischen einem Nachbarn und der Mutter des Jungen, aufgenommen am Abend der ersten Suchtrups. Ein Satz, der damals kaum beachtet wurde, sorgt nun für Aufsehen: Der Nachbar erwähnte, dass er zu einer bestimmten Uhrzeit ein Geräusch gehört habe, das er aber erst später mit der Situation in Verbindung brachte. Bisher war dieser Hinweis als irrelevant abgetan worden. Doch nun, durch die erhöhte Aufmerksamkeit für vermeintliche Details, wurde dieser Satz plötzlich als potenzieller Wendepunkt betrachtet.
Die Polizei sah sich gezwungen, öffentlich zu erklären, der Hinweis sei geprüft worden. Doch dieser Versuch, die Situation zu beruhigen, scheiterte. Menschen begannen, das Video zu analysieren, jede Pause und jeden Ausdruck der Beteiligten zu interpretieren. Petermanns Satz über die “kleinen Details” wirkte wie ein Zünder, der eine Kette von Deutungen in Gang gesetzt hat, die niemand mehr kontrollieren kann. Die Erwartungen an den Profiler haben ein Niveau erreicht, das kaum noch erfüllbar scheint.
Die neue Etappe: Die Verschiebung der Struktur
Die Geschichte erreicht ihren Höhepunkt, als ein überregionales Nachrichtenportal berichtet, dass eine interne Arbeitsgruppe der Polizei damit beauftragt wurde, bestimmte Aspekte des Falles erneut zu prüfen. Offiziell wird dies nicht mit Petermann in Verbindung gebracht, doch inoffiziell ist klar, dass seine potentielle Beteiligung und die Reaktion der Öffentlichkeit den Ausschlag gegeben haben. Das Portal schrieb: Die Polizei wolle sicherstellen, “dass keine offenen Fragen bestehen, bevor der Profiler möglicherweise Einblick erhält”.
Dies ist der erste sichtbare Beweis dafür, dass sich die gesamte Struktur des Falls bereits verschoben hat. In dieser Phase erreicht die Geschichte einen Punkt, an dem Schweigen lauter wirkt als Worte, an dem Erwartungen wie Schatten über jeder neuen Information liegen und an dem ein einziger Satz eines Mannes genügt, um die Richtung einer ganzen Ermittlung in Frage zu stellen.
Der Fall Fabian steht an der Schwelle zu einer neuen Etappe. Petermann hat eine Dynamik geschaffen, die normalerweise erst nach Monaten harter Arbeit entsteht. Die Menschen warten, die Medien spekulieren, die Familie hofft und der Mann, der all dies ausgelöst hat, bleibt still. Was als Nächstes passiert, bleibt offen. Doch eines ist sicher: Wenn Petermann seinen ersten Schritt macht, wird dieser Schritt größer sein als alles, was bisher geschehen ist.