Und sie flüsterte etwas, so leise, dass es niemand hören konnte. Doch der Saal hörte es, das Haus hörte es und die Nacht hörte es. Sie sagte nur ein Wort. Ein einziges, ein Wort, das sie ihr Leben lang getragen hatte. Genug. Die Schatten erstarrten, die Gäste verstummten, der Boden hörte auf zu zittern. Die Nacht hielt an und die nächste Phase begann. Das Wort, das Sophie ausgesprochen hatte, war leise gewesen, kaum mehr als ein Atemzug.
Niemand im Saal hätte sagen können, ob er es wirklich gehört hatte oder ob es sich nur in ihren Köpfen formte als Echo eines Gedankens, den niemand auszusprechen wagte. Doch seine Wirkung war unmittelbar. Die Luft im Saal schien dichter zu werden, schwer wie nasses Lein. Die Kerzenflammen wurden schmaler, blasser, als würde das Licht selbst den Atem anhalten.
Die Schatten an den Wänden erstarrten, als habe jemand eine unsichtbare Hand darauf gelegt. Die Gäste, die eben noch geschrien, gebetet oder gewimmert hatten, verstummten. Ihre Münder blieben geöffnet, ihre Blicke glasig, ihre Körper angespannt wie sehen. die kurz vor dem Reißen stehen.
Ein Schweigen breitete sich aus, das nicht von der Art war, das Frieden versprach. Es war das Schweigen eines Moments, der sich dehnte, der seine eigenen Regeln schrieb, der die Zeit selbst an der Kehle packte. Sophie stand nun vollkommen still. Die Welt schien um sie herum zu verblassen. Die Geräusche wurden dumpf, die Farben wurden matter, die Formen verschwammen leicht.
Es war, als hätte der Saal seine Grenze überschritten und betrete nun einen Raum, der nicht mehr ganz Wirklichkeit war. Sie hob langsam den Kopf. Nicht viel, nur ein paar Zentimeter. Doch dieser kleine, präzise Bewegungsablauf reichte, um den Atem jedes einzelnen kurz stocken zu lassen. Ihre Augen glitten über die Gäste, über die Kinder, über Elisabeth, über Friedrich.
Und dann blieb ihr Blick an etwas hängen, an den Tischen, dort, wo vor wenigen Stunden prächtige Speisen gestanden hatten, dort, wo das Bankett seinen Anfang genommen hatte, dort, wo die erste Sünde dieser Nacht begonnen hatte. Der süßlich metallische Geruch stieg erneut auf, intensiver als vorher.
Die Gäste wandten sich, hielten die Hände vor Nase und Mund, doch die Luft drang durch alles hindurch. Es gab keinen Schutz mehr. Die Servietten, die unter der umgestürzten Tafel hervorrochen, bildeten eine Spur. Eine Spur aus rötlichen Flecken. Nicht groß, nicht offensichtlich, aber unverkennbar. Einige der Gäste begannen erneut zu zittern, doch sie wagten nicht zu schreien, nicht mehr.
Der Mut war ihnen entzogen worden wie der Atem. Sopie trat einen Schritt vor. Der Boden unter ihren Füßen knarrte leise. Dieser kleine Laut halte im Saal wie ein Donnerschlag. Herr Friedrich wandte den Kopf in ihre Richtung. Seine Augen waren weit geöffnet und seine Pupillen hatten sich so stark geweitet, dass seine Iris kaum noch sichtbar war. Sein Mund zitterte.
“Sag es nicht”, hauchte er tonlos. Sophie blieb stehen. Sie sagte nichts, doch die Stille selbst öffnete ihren Mund. Und die Wahrheit, die all die Jahre geschwiegen hatte, begann zu sprechen. Nicht mit Worten, sondern mit Bildern. Die Schatten an der Wand veränderten sich erneut.
Diesmal langsam, schwerfällig, als würde etwas Tiefes aus ihnen herausgepresst. Die Gestalten formten sich zu einer einzigen Szene, eine Küche, ein Tisch, eine Frau mit gesenktem Kopf. Sophie und daneben ein Holzblock. Darauf Fleisch. Nicht viel, nur ein Stück. Aber jeder im Saal wusste, bevor das Bild schärfer wurde, was es bedeutete. Einige Gäste stolperten zurück, andere brachen zusammen.
Frau Elisabeth stieß ein kähliges gebrochenes Geräusch aus, das kein Schrei war, aber die Angst eines Schreis in sich trug. Herr Friedrich presste die Hände gegen sein Gesicht. “Nein”, murmelte er. “Nein! Nein, nein. Die Schatten wurden schärfer.
Man sah so viie, wie sie das Fleisch schnitt, wie ihre Hände zitterten, nicht aus Angst, sondern aus Schmerz, wie sie sich über einen Körper beugte, der am Boden lag. Klein, unbeweglich, ein Körper, der einmal gelebt hatte. Der Geruch im Saal wurde stärker, süßer, schwerer. Ein Mann fiel ohnmächtig zu Boden. Eine Frau begann hysterisch zu lachen, bis sie Heulen zusammenbrach.