Die Kinder, die von Hohen Bruckkinder, sahen die Szene und trotz ihrer Jugend verstanden sie. Vielleicht instinktiv, vielleicht, weil ihr Geist nun weit offen lag. Klara schrie: “Ein Schrei, der sich überschlug, der ihre Stimme zerrissß.” Lukas klammerte sich an den Boden, als könnte er sich daran festhalten, um nicht in die Wahrheit zu fallen. Johann wirkte, als hätte man ihm den Verstand aus dem Körper gezogen.
Er öffnete und schloss den Mund, doch kein Ton kam mehr heraus und so fie. Sie stand regungslos. Nur ihr Blick verriet etwas. Kein Triumph, keine Freude, nur das Gewicht einer Erinnerung, die zu lange ungesühnt geblieben war. Die Schatten zeigten den Rest. Ein Hund, ein kleiner Mischling, jung, verletzlich, ein Wesen, das sie geliebt hatte, das einzige, was ihr gehört hatte, das Einzige, das niemals hart zu ihr gewesen war.
Man sah, wie die Kinder ihn traten, wie Johann ihm den Schwanz zog, wie Kara ihn schlug, wie Lukas lachte und man sah, wie Friedrich befahl, ihn wegzuschaffen, weil er nervte und wie Elisabeth sagte, das Tier sei nichts wert und kostte nur Futter.
Und dann zeigten die Schatten, wie Sophie den kleinen Körper hielt, wie sie ihn zum letzten Mal streichelte, wie sie mit zittrigen Fingern das einzige tat, was sie konnte, ihn begraben. Doch die Kinder hatten den Körper wieder ausgegraben und das Fleisch. Der Saal verstummte. Nicht einmal das Atmen war noch hörbar. Dann begannen einige Gäste zu würgen, andere zu keuchen.
Eine Frau brach zusammen und röchelte, als bekäme sie keine Luft mehr. Friedrich sah Sophie an, ein Mann, der sein Leben lang geglaubt hatte, er habe Macht. Und nun begriff er, was Macht wirklich bedeutete. Verantwortung, Schuld, Konsequenz. Warum? flüsterte er. Warum hast du uns das angetan? Zum ersten Mal an diesem Abend regte sich etwas in Sophies Gesicht.
Ein Hauch von Emotion, doch nicht Wut, nicht Hassß, sondern Trauer. Eine tiefe alte Trauer. Ich, sagte sie leise, zwei Buchstaben und doch war ihre Stimme lauter als jeder Schrei der Nacht. ihr. Dieses Wort zerschnitt den Raum und die Wahrheit war nicht aufzuhalten. Die nächste Phase begann und sie war die dunkelste von allen.
Das Wort ihr halte im Saal nach wie ein Stoßgebet, das vom Himmel zurückgeworfen wurde. Kein Gott antwortete, kein Engel erschien. Nur das Schweigen der Wahrheit stand nun zwischen Sophie und jener Familie, die ihr Leben zu einem endlosen Winter gemacht hatte. Dieser Winter hatte endlich begonnen zu tauen.
Nicht mit Wärme, sondern mit einem Sturm. Ein Sturm, den niemand überstehen konnte. Die Gäste, die noch halb bei Bewusstsein waren, wankten zurück, als hätte sie jemand ins Gesicht geschlagen. Einige von ihnen hatten von den Grausamkeiten der Familie gewusst, andere hatten sie ignoriert, aber niemand war unschuldig, nicht in einem Haus, in dem das Leiden so alltäglich war wie das Atmen.
Der süßliche Geruch wurde unerträglich. Er kroch die Kehlen hinab, brannte in den Nasen, legte sich auf die Zungen. Manche wirkten trocken, andere erbrachen sich. Der Teppich, einst ein Symbol des Reichtums, wurde zum Abbild ihrer Schuld durchdrängt, beschmutzt, entheiligt.
Friedrich schwankte, als würde er jeden Moment fallen. Seine Hände zitterten, sein Blick war leer und doch voller ungeklärter Furcht. Es war nur ein Hund, keuchte er. Nur ein Tier. Sophie neigte kaum merklich den Kopf. Ihr Blick wurde nicht härter, nicht weicher, nur tiefer. Es war das einzige, was ich hatte.
Elizabeth stieß ein heiseres Lachen aus, ein Laut, der kurz darauf in ein Krächzen überging. Du übertreibst, du. Ihr Satz endete in einem Würgen, als sie sich an der Brust krallte. Ihre Augen wurden glasig. Sie blickte zu den Schatten, die noch immer an der Wand tanzten und dort sah sie sich selbst in jenen Momenten, in denen sie Sophie verspottete, belächelte, erniedrigte.

Ich ich wollte doch nur Ordnung. Sophie antwortete nicht. Die Nacht ließ keine Entschuldigungen mehr zu. Johann wimmerte. Es war kein Schrei mehr, sondern ein leiser gebrochener Laut, so weit entfernt vom Jungen, der er vor Stunden gewesen war, dass es einem die Haut über den Armen zog.