Er zitterte unaufhörlich, seine Hände krampften sich ineinander und er starrte die Schatten an, in denen sein jüngeres Ich lachte, während er den kleinen Mischling quälte. Seine Lippen formten stumme Worte. Vielleicht ein Versuch zu beten, vielleicht der Versuch eines Kindes, sich selbst zu retten, das endlich verstand, was es zerstört hatte. Clara lag neben ihm, die Knie an die Brust gezogen und sah auf ihre Hände, als gehörten sie nicht zu ihr.
Jedes Zittern, jedes Zucken schien sie zu erschrecken. Sie hatte immer gedacht, dass alles, was sie tat, ein Spiel sei. Doch nun sah sie das Ergebnis dieses Spiels und sie erkannte sich selbst nicht mehr. Der kleine Lukas schaukelte vor und zurück. Seine Augen waren weit, seine Pupillen winzig. Er verstand nicht, wenigstens nicht bewusst, aber Kinder spüren die Wahrheit oft früher als Erwachsene.
Und die Wahrheit stand vor ihm in Gestalt einer Frau, die er nie beachtet hatte und die nun größer wirkte als jedes Monster der Kinderzimmer. Die Gäste, die die Szenen an der Wand sahen, konnten nicht wegschauen. Manche schüttelten den Kopf, andere flehten die Schatten an, aufzuhören. Aber die Schatten gehorchten nicht.
Sie erzählten weiter mit der Sanftheit eines Albtraums, der genau weiß, dass niemand entkommen kann. Plötzlich ertönte ein erneutes, tiefes Knarren. Der ganze Saal bebte. Einige der Balken an der Decke gaben nach, nur ein wenig, kaum sichtbar. Doch der Ton erfüllte den Raum wie ein drohender Donner.
Einige Gäste schrien, andere verloren endgültig das Bewusstsein. Niemand wußte, ob das Haus einstürzen oder sprechen würde. Friedrich kroch nun Richtung Ausgang, doch er kam nicht weit. Seine Hände rutschten auf dem glitschigen Teppich aus. Sein Gesicht schlug auf den Boden. Er blieb liegen. Sophie beobachtete ihn.
Keine Miene verriet ihre Gedanken, doch etwas in ihr bewegte sich. nicht Rachedurst, der war längst gestillt. Es war etwas anderes, etwas schwereres, etwas Unvermeidliches. Sie machte einen Schritt näher. Friedrich drehte sich zu ihr, seine Wangen nass, sein Atem rasselnd. “Lass uns gehen, bitte lass uns gehen.
Wir wir haben Fehler gemacht, aber aber niemand verdient. Das hier.” Seine Stimme brach mehrfach. Der Mann, der einst über das Gut herrschte, klang wie ein Kind, das im Wald verloren gegangen war. Sophie blieb stehen und dann sprach sie zum zweiten Mal in dieser Nacht. Ihre Stimme war leise, aber klar, ihr habt mich nie gehen lassen. Friedrich öffnete den Mund, doch kein Ton kam.
Elisabeth kroch nun halb zu ihrem Mann und halb weg von Sophie. Ihr Körper war ein Wrack, ihre Stimme nur noch ein Hauch. Du kannst nicht, du kannst doch nicht entscheiden über uns. Sophie blickte sie an. Der Schatten hinter der Familie spiegelte Elisabeth wieder nicht als strenge Hausherrin, sondern als Frau, die grausamer war, als sie sich je selbst eingestehen würde.
“Ich entscheide nicht”, sagte Sophie schließlich. “Ihr habt das getan.” Die Schatten veränderten sich erneut. Dieser Wandel war anders, nicht schärfer, nicht lauter, sondern tiefer. Die Küche verschwand, der Hund verschwand, die Vergangenheit verschwand. Nun zeigte der Schatten, dass Heute, der Saal, die Gäste, die Familie und etwas Unsichtbares, das über ihnen schwebte wie ein Urteil, das schon geschrieben war. Die Gäste hielten den Atem an.
Die Kinder spürten es, ohne es zu verstehen. Elisabeth begann zu zittern. Friedrich schloss die Augen und Sophie sah, wie das Haus selbst den letzten Schritt machte. Eine unsichtbare Welle ging durch den Raum. Keine, die man mit den Augen sah, aber jede Seele spürte sie. Der Saal atmete erneut und dann ganz langsam begann etwas zu geschehen, etwas endgültiges. Der Preis. Der wahre Preis, der Saal wurde still.
Nicht jene kurze flüchtige Stille, die entsteht, wenn ein Gespräch endet oder ein Atemzug aussetzt. Nein, es war jene Stille, die sich wie ein Gewicht auf die Schultern legte. Eine Stille, die fühlbar war, fast körperlich, als hätte sie Form, als wäre sie ein unsichtbares Wesen, das mitten im Raum stand und alles Leben in den Griff nahm. Die Luft war schwer, dick.