Das dunkle Kapitel des Kaiserreichs: Die verlorene Illusion vom Platz an der Sonne

Kaiser Wilhelm II. entsandte General Lothar von Trotha, einen Mann, der den Konflikt nicht als Krieg, sondern als Vernichtungsmaßnahme sah. Nach der entscheidenden Schlacht am Waterberg im August 1904 drängte von Trotha die besiegten Herero in die wasserlose Wüste. Er erließ den berüchtigten Vernichtungsbefehl:

„Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen. Ich nehme von jetzt an keine Männer mehr auf.“

Tausende von Herero, Männer, Frauen und Kinder, wurden von den Schutztruppen an den Wasserstellen in die Wüste getrieben, wo sie verdursteten. Der Aufstand der Nama unter Hendrik Witbooi wurde mit gleicher Brutalität niedergeschlagen. Gefangene wurden in Konzentrationslager gesperrt, darunter das berüchtigte Lager auf der Haifischinsel vor Lüderitz.

Historiker bezeichnen diese Taten heute als den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 80 % der Herero-Bevölkerung in dieser planmäßigen Vernichtung ums Leben kamen.

2. Der Maji Maji Aufstand (1905–1907)

Nur ein Jahr später brach in Deutsch-Ostafrika der Maji Maji Aufstand aus – der umfassendste antikoloniale Aufstand in Afrika gegen die deutsche Herrschaft. Er vereinte dutzende ethnische Gruppen im gemeinsamen Kampf gegen Zwangsarbeit auf Baumwollplantagen und gegen die Willkür der Verwaltung. Die Aufständischen glaubten an ein heiliges Wasser (Maji), das von einem Propheten namens Kinjikitile verteilt wurde und sie angeblich unverwundbar gegen deutsche Kugeln machen sollte.

Die deutsche Antwort war die Taktik der verbrannten Erde. Die Schutztruppen zogen mit überlegener Waffenkraft gegen die Aufständischen vor. Ihre Strategie: systematische Vernichtung der Lebensgrundlagen. Dörfer wurden niedergebrannt, Felder zerstört, um den Widerstand durch Hunger zu brechen. Die Folge war eine Hungersnot katastrophalen Ausmaßes, der bis zu 200.000 Afrikaner zum Opfer fielen.

Das Ende des Traumes und der bleibende Schatten

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 war das Schicksal der Kolonien besiegelt. Weit verstreut und von den Seeversorgungen des Mutterlandes abgeschnitten, fielen sie innerhalb weniger Jahre in die Hände der Alliierten – Großbritanniens, Frankreichs, Belgiens und Japans. Nur in Deutsch-Ostafrika leistete Kommandeur Paul von Lettow-Vorbeck mit seinen afrikanischen Askari einen legendären Guerillakrieg, der aber militärisch ohne Einfluss auf den Ausgang war.

Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrags (1919) verlor das Deutsche Reich sämtliche Überseegebiete. Die Kolonien wurden als Mandatsgebiete unter die Verwaltung der Siegermächte gestellt. Für viele Deutsche war dieser Verlust ein nationaler Schock, eine koloniale Schmach, die das untergegangene Weltmachtstreben beendete.

In der Weimarer Republik entstand daraufhin die Kolonialrevisionismusbewegung – eine breite Allianz aus ehemaligen Militärs, Politikern und Vereinen, die die Rückgabe der Kolonien forderten. Sie glorifizierten die Kolonialzeit als Epoche nationaler Größe und klärten die Gewalt. Kolonialfilme, Abenteuerromane und patriotische Propaganda schufen den Mythos eines verlorenen Paradieses, eine nostalgische Erzählung, die die Schrecken der Realität verdrängte.

Heute, lange nach dem Ende des Krieges, lebt das koloniale Erbe weiter. In Namibia und Tansania sind die Narben tief. Die Auseinandersetzung mit dem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, die Debatten um Restitution geraubter Kunstwerke und menschlicher Überreste zeigen, dass die Geschichte der kurzen deutschen Kolonialherrschaft ein dunkles, aber unverzichtbares Kapitel der Erinnerung ist.

Es war eine Epoche, in der der Traum vom „Platz an der Sonne“ auf den Kosten von Blut, Zwangsarbeit und Vernichtung realisiert wurde – eine düstere Mahnung, dass imperiale Ambition immer einen humanitären Preis fordert, den die Opfer für Generationen bezahlen müssen.

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