Der Schwarzwald-Fall von 1890: Geschwister auf dem Dachboden gefangen gehalten

Es ist früher am Morgen, die Stunde, in der selbst die Wächter nur gedämpft sprechen. An diesem Tag sollen Silas und Malachias Rodenbacher ihre Strafe empfangen. Nicht eine einzige Seele außer den Pflichtzeugen und den Beamten ist anwesend. Es gibt keine Familie, die Abschied nimmt, keine Freunde, die trauern, kein Geistlicher, der von den Verdammten gerufen wurde.

Silas hatte erklärt, er brauche keinen Pfarrer. Malachias hatte geschwiegen. Der Schafrichter erledigt seine Vorbereitung schweigend. Er ist ein Mann mit einem Gesicht wie aus Holz geschnitzt und er hat den Blick von jemandem, der weiß, dass gewisse Arbeiten ohne Emotion verrichtet werden müssen, wenn man daran nicht zerbrechen will. Thorn steht etwas abseits zusammen mit Kellum.

Er ist als Vertreter des Gerichts anwesend, eine Pflicht, die er weder verweigern kann noch will. Er hat den Männern ins Gesicht gesehen, hat ihre Überzeugung, ihre Kälte, ihre religiöse Selbstvergötterung gehört. Und doch, als er sie jetzt sieht, die Hände gefesselt, die Körper ruhig, überkommt ihn ein unerwartetes Gefühl, nicht Mitleid.

Nein, eher der Schock darüber, dass selbst das schrecklichste menschliche Züge tragen kann. Silas wird zuerst hinausgeführt. Er geht mit gleichmäßigem Schritt die Schultern aufrecht, als betrete er eine Kirche. Kein Zittern, keine Eile, als würde er einen Weg gehen, den er sich selbst gezeichnet hat. Er bleibt unter dem Galgen stehen, hebt den Kopf und lässt den Blick über den Hof wandern. Als er Torn entdeckt, lächelt er schwach.

Ein Lächeln, das weder Wärme noch Kälte enthält, sondern eine Art seltsame Gewissheit. Das Fleisch vergeht, sagt er leise, kaum hörbar im Nebel. Das Blut nicht. Thorn antwortet nicht. Er würde ihm keine einzige Silbe schenken, die er deuten könnte, wie Zustimmung. Der Strick wird gelegt, ein kurzes Rucken. Der Körper fällt.

Ein endgültiges Ende, das keinerlei Dramatik hat, nur ein Ton, der in der Stille verschluckt wird. Malachias folgt als nächster. Er sagt nichts, nicht ein einziges Wort. Sein Gesicht bleibt ausdruckslos, als würde er innerlich in einen Ort fliehen, der längst jenseits menschlicher Reichweite liegt.

Als auch sein Körper fällt, ist der Vorgang ebenso still, ebenso nüchtern, ebenso schrecklich, einfach wie zuvor. Die Toten werden abgenommen. Ihre Körper werden ohne besondere Zeremonie in einfache Särge gelegt. Der Amtsarzt bestätigt den Tod. Die Register werden ausgefüllt. Einziger Eintrag: Hinrichtung gemäß urteilvoll streckt. Kein Zusatz.

Keine Anmerkung über die Ungeheuerlichkeit ihres Lebens. Nur der formale Akt, den das Gesetz verlangt. Hekiel und Jubal bleiben im Zuchthaus zurück. Hitekiel stirbt acht Jahre später an einer Lungenentzündung, abgeschirmt in einer Zelle, die kaum Licht sieht. Juba lebt noch länger. Er übersteht das Jahrhundert nicht.

Sein Tod wird im Jahr 192 notiert. Der Eintrag lautet: Herzversagen. Ohne weitere Details, ohne irgendeinen Hinweis, dass sein Leben mehr war als ein Verbrechen und eine Folge von Verbrechen. Doch damit endet der Schatten der Rodenbachers noch nicht. Die drei Schwestern und die elf überlebenden Kinder werden auf Anordnung des Gerichts in ein abgelegenes Sanatorium im Norden Badens gebracht.

Dr. Galloway selbst begleitet sie. Der Ort ist diskret, finanziert teilweise vom Bezirk, teilweise anonym, um neugierige Fragen zu vermeiden. Die Schwestern erhalten eigene Zimmer, einfache Kleidung, drei Mahlzeiten täglich. Niemand zwingt sie zu sprechen, niemand stellt Fragen. Ärzte und Pfleger bewegen sich in ihrer Nähe nur vorsichtig, denn aus den Augen der Frauen ist klar abzulesen, dass Vertrauen ein Luxus ist, den sie vielleicht nie wieder empfinden werden. Die Kinder werden untersucht, behandelt,

gepflegt. Manche beginnen nach einigen Wochen zu lächeln, andere bleiben still. Wieder andere scheinen in einer eigenen Welt zu leben, unfähig, äußere Reize zu deuten. Der Alltag im Sanatorium ist geprägt von leisen Schritten, gedämpften Stimmen und einem behutsamen Versuch, drei Jahrzehnte der Gefangenschaft aus Körpern und Seelen zu lösen.

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