Ein Schock, der die Online-Welt Erschütterte
Am 24. November berichtete die Bild-Zeitung als erste Plattform über den Tod von Jan Zimmermann, der am 18. November im Alter von nur 27 Jahren in seiner Wohnung verstorben aufgefunden wurde. Jan, den die YouTube-Welt vor allem als Gesicht des Kanals „Gewitter im Kopf“ kannte, erlag den tragischen Folgen eines epileptischen Anfalls. Die Nachricht traf die Community und selbst jene, die ihn nur flüchtig kannten, tief und unerwartet. Inmitten der Fassungslosigkeit über den Verlust eines lebensfrohen, empathischen und humorvollen Menschen bricht nun jedoch eine heftige Kontroverse auf, die weit über die Grenzen des persönlichen Schmerzes hinausgeht. Sie handelt von pietätlosem Journalismus, skrupelloser Klick-Gier und der dunklen Seite der modernen Medien.
Bevor wir zur scharfen Kritik übergehen, ist es unerlässlich, Jans Vermächtnis und die immense Lücke, die sein Tod hinterlässt, zu würdigen. Jan Zimmermann war weit mehr als ein YouTube-Star; er war eine Galionsfigur der Aufklärung und des Mutes, dessen Arbeit Millionen von Leben berührt hat.

Das Vermächtnis der Aufklärung: Mut und Humor gegen Vorurteile
Jan schuf mit „Gewitter im Kopf“ einen der größten Hypes, den die deutschsprachige YouTube-Landschaft je gesehen hat. Innerhalb weniger Monate katapultierte sich der Kanal aus dem Nichts zu über einer Million Abonnenten. Doch dieser Erfolg war nicht das Ergebnis platter Unterhaltung, sondern einer tiefen Mission: Jan klärte Millionen Menschen über eine Krankheit auf, mit der die meisten von ihnen zuvor so gut wie keine Berührungspunkte hatten – das Tourette-Syndrom.
Für Betroffene endet die Tourette-Erkrankung oft in Ausgrenzung, Unverständnis oder gar sozialer Isolation. Jan gelang es mit seiner offenen, herzlichen und zugleich humorvollen Art, nicht nur Vorurteile aufzubrechen, sondern auch Millionen zu unterhalten und gleichzeitig zu bilden. Clips, in denen seine Tics, die von unkontrollierten Ausrufen bis zu komplexen Bewegungen reichten, in alltäglichen oder außergewöhnlichen Situationen sichtbar wurden, bleiben unvergessen. Er schaffte es, einen öffentlichen Diskurs über eine Nischenkrankheit zu etablieren.
„Sicherlich wird es sehr viele Betroffene dieser Krankheit geben, die jetzt einfach selbstbewusster und mutiger ins Leben geben, weil das eben nicht mehr so eine Nischenkrankheit ist, die so gut wie keiner kennt, sondern weil die vor allem auch durch Jan in den Fokus gerückt worden ist.“
Sein Werk gab Zehntausenden Betroffenen Mut und Kraft. Es zeigte ihnen, dass man trotz der Krankheit erfolgreich sein, Menschen erreichen und Vorbilder sein kann. Dieses Vermächtnis der Empathie und Aufklärung wird über seinen Tod hinaus bestehen bleiben.
Der Absolut Ekelhafte Move: Medienraub in der Trauerphase
Die Bewunderung für Jans Lebenswerk wird jedoch scharf kontrastiert durch das, was nach seinem Tod geschah. Die Bild-Zeitung berichtete als erste Plattform – scheinbar entgegen dem ausdrücklichen Wunsch oder zumindest ohne Absprache mit den Hinterbliebenen.
Der Instagram-Kanal von „Gewitter im Kopf“ veröffentlichte kurz darauf ein tief bewegendes Statement der Angehörigen, das die ungeheuerliche Pietätlosigkeit der Medien offenlegte:
„Leider wurde uns als Angehörigen die Möglichkeit genommen, uns während der Trauer zu äußern. Jan ist sehr plötzlich und unerwartet am 18. November an einem epileptischen Anfall verstorben. Der Schmerz, der in uns sitzt, lässt sich mit keinem Worten beschreiben. Jedoch möchten wir uns vor eurer Anteilnahme bedanken. Wir fühlen uns aktuell nicht in der Lage mehr dazu zu sagen. Bitte seht von weiteren Nachrichten diesbezüglich an uns ab.“
Aus diesem Text geht unmissverständlich hervor: Die Angehörigen, die fassungslos über den komplett unerwarteten Verlust eines 27-Jährigen waren, wurden ihres elementarsten Rechts beraubt – des Rechts, den Tod ihres geliebten Menschen selbst zu verkünden und die Nachricht in einem Moment größter Trauer nach eigenen Maßstäben zu verarbeiten.
Die Bild-Zeitung entschied stattdessen für sich, dass diese Information sofort in die Öffentlichkeit gehöre, völlig egal, was die Hinterbliebenen wünschten. Dieser Schritt ist, auch wenn es die Bild ist, ein absolut ekelhafter Move. Die Angehörigen mussten sich in ihrer tiefsten Trauerphase nicht nur mit dem Schmerz auseinandersetzen, sondern auch mit Tausenden von Nachrichten, Hunderten von Presseanfragen und dem gesamten medialen Rummel – nur weil ein Medium die nächste Schlagzeile witterte.
Die Gier nach Klicks: Influencer als Aasgeier
Die Kritik hört bei der Bild-Zeitung nicht auf. Nachdem der Bericht online war, gab es eine Welle von Influencern und Content-Erstellern, die innerhalb von Minuten oder maximal Stunden darauf reagierten und Content hochluden.
Ein Beispiel ist eine True-Crime-Content-Erstellerin, die – obwohl ihr Kanal sich mit Verbrechen und Morden befasst und der Bild-Artikel von Anfang an ein Fremdverschulden durch Obduktion ausgeschlossen hatte – sofort ein Reel erstellte. Dieses Reel enthielt keine neuen Informationen, sondern kopierte lediglich den Inhalt des Bild-Artikels. Die Geschwindigkeit der Produktion, kaum eine Stunde nach der Veröffentlichung, legt nur einen Schluss nahe: „Ganz schnell Content machen, gibt Reichweite, gibt richtig krasse Klicks.“ Dieses Verhalten ist ebenso widerlich. Es zeigt die kalte Kommerzialisierung eines menschlichen Verlusts und die Priorisierung von Reichweite über grundlegenden Respekt.
Auch der öffentlich-rechtliche Sender Funk leistete sich einen kaum zu überbietenden Fauxpas. Sie veröffentlichten ein Nachruf-Video, mussten es aber später wieder löschen, weil es einen flackernden Effekt enthielt, der für Menschen mit Epilepsie problematisch sein könnte.
„Jan ist an einem epileptischen Anfall gestorben und in dem Video, welches ihm Tribut zollen soll, machen sie dann flackernde Effekte rein, die Epilepsie auslösen können. […] Wer arbeitet dabei Funk, aber auch manche Kommentare sind wirklich an Respektlosigkeit einfach nicht zu überbieten.“
Diese Unachtsamkeit ist nicht nur peinlich, sondern in Anbetracht der Todesursache zutiefst respektlos und ignorant.
Der Abgrund der Respektlosigkeit: Die Verrohung der Kommentarspalten
Die Verrohung der Kommentarspalten in den sozialen Medien komplettiert das traurige Bild der Pietätlosigkeit. Das Ausmaß an Boshaftigkeit, Ignoranz und fehlender Empathie ist schockierend.
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Zynismus pur: Kommentare wie „Keine Ahnung, ob das echt ist, aber weißt du was nicht Fake ist? Die Chatkontrolle berichtet da jetzt mal drüber“ nutzten den Tod, um völlig unpassende politische Agenden zu verbreiten.
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Die Relativierung des Todes: User, die versuchten, den Tod eines jungen Mannes mit politischen Vorfällen oder Konflikten in anderen Teilen der Welt zu relativieren („Eine Million mal wichtiger war der Vorfall im Palästina“), zeigten eine erschreckende Unfähigkeit zur Empathie. Der Tod eines Menschen, der den Kommentator womöglich privat kannte, darf nicht als weniger wichtig abgetan werden. „Tot ist tot“ – jeder Verlust ist menschlich und schmerzhaft.
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Die Bösartigkeit zur Operation: Am schlimmsten sind die Kommentare, die sich auf Jans Hirnschrittmacher-Operation bezogen. Obwohl es keinen Beweis dafür gibt, dass die Operation mit seinem Tod in Verbindung steht, schrieben Menschen gehässige Dinge wie: „Tja, selber schuld, hättest du mal nicht die OP gemacht“, oder „Tja, da wollte wohl wer mehr Lebensqualität haben. Pech gehabt.“ Solche Aussagen sind nicht nur ekelhaft, sondern zeigen eine tiefsitzende Verrohung. Jan hatte durch den Schrittmacher enorm an Lebensqualität gewonnen; die Risiken jeder Operation sind bekannt, aber die Entscheidung für ein besseres Leben verdient Respekt, nicht Zynismus.
Fazit: Ein Aufruf zur Menschlichkeit
Der tragische Tod von Jan Zimmermann ist ein doppelter Verlust. Zum einen verlor die Welt einen wundervollen, mutigen Menschen, dessen Aufklärungsarbeit unschätzbar wertvoll war. Zum anderen zeigte der Umgang der Medien und der sozialen Netzwerke mit diesem Verlust die hässliche Fratze des modernen Informationszeitalters. Die Bild-Zeitung hat den Angehörigen das Recht auf einen Moment der privaten Trauer gestohlen, und Influencer haben versucht, diesen Schmerz in Klicks zu verwandeln.
Jans Vermächtnis, das Millionen Menschen Mut und Wissen über das Tourette-Syndrom schenkte, muss weiterleben. Zugleich muss der Umgang mit seinem Tod ein abschreckendes Beispiel für die Medienethik sein. In einer Zeit, in der jeder Verlust zur Ware wird, ist ein Aufruf zur Menschlichkeit und zum elementaren Respekt vor der Trauer der Hinterbliebenen dringender denn je.
Ruhe in Frieden, Jan. Das Leben, das du gelebt hast, und die Aufklärung, die du geleistet hast, werden niemals vergessen.