Die Gerechten des Berges: Der Inzest-Kult der Krämer-Zwillinge (1877)

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Am nächsten Morgen ritt er allein hinauf. Stunden später fand man sein Pferd am Wegesrand, den Sattel leer. Ein Blatt Papier unter einem Stein beschwert. Darauf stand in sauberer Schrift: „Das Opfer nährt die Gerechten. Du hast geurteilt, und nun wirst du gereinigt.“

Dr. Stein faltete das Blatt und sprach: „Er ist verloren.“ Dann sah er zum Himmel und flüsterte, als rede er zu jemandem, den nur er hören konnte. „Aber wir werden noch von ihnen hören – bald.“

In jener Nacht schlug zum ersten Mal seit Jahren ein Blitz in den Berg. Der Schnee brannte blau, und aus der Tiefe kam ein Laut, der wie ein Gebet klang oder wie das Lachen von zwei Stimmen zugleich.

Nach dem Verschwinden von Sebastian Vogt lag eine unsichtbare Last über dem Tal. Dr. Albrecht Stein blieb als einziger, um Nachforschungen anzustellen. Er schrieb Berichte, zeichnete Karten, befragte die Alten.

Eines Nachmittags, Anfang Februar, erschien im Dorf eine Gestalt, eine Frau in schwarze Tücher gehüllt, barfuß trotz des Schnees. Sie sprach kein Wort, ließ sich in der Schenke nieder und trank Wasser. Die Wirtsfrau schwor später: „Ihre Augen seien so hell gewesen wie Eis.“ Auf die Frage nach ihrem Namen antwortete sie nur: „Adelheit.“

Dann verließ sie den Ort und ging denselben Weg hinauf, den Vogt einst gegangen war.

 

Als die Nachricht Dr. Stein erreichte, machte er sich sofort auf den Weg. Er nahm Franz Keller mit, den Jüngsten der Gendarmen. Als sie die Stelle erreichten, an der Vogts Pferd gefunden worden war, blieb Stein stehen. Von hier an gehen wir zu Fuß.

Der Wind trug den Geruch von Schwefel. Der Himmel färbte sich violett, und über den Gipfeln schwebte ein Rauch, dünn und unbewegt. Die Mine lag still, der Eingang halb verschüttet, doch um den Stollen herum standen Steine in einem Kreis angeordnet, jeder mit einem Zeichen darauf eingeritzt. Dr. Stein nickte. „14 Zeichen. 14 Opfer.“

Im Inneren der Mine sahen sie Adelheit Krämer.

„Ihr dürft nicht bleiben“, sagte sie. „Der Berg ist erwacht.“

„Frau Krämer“, sagte Stein ruhig, „Ihr Sohn, eure Söhne, sie sind tot. Die Mine ist eingestürzt.“

Adelheit lächelte. „Tot? Nein, sie schlafen, und sie werden wiederkommen, wenn das Opfer vollständig ist.“ Sie hob eine Hand, und hinter ihr öffnete sich die Erde. Der Gang, der zuvor verschüttet war, zeigte plötzlich Tiefe. Von unten stieg Wärme auf und ein Geräusch, das wie Atmen klang.

„Das Opfer ist das, was der Gerechte gibt, wenn der Himmel schweigt. Das Opfer ist der Mensch, der glaubt, er richte, doch in Wahrheit gereinigt wird.“

Dann streckte sie ihm die Hand entgegen. Stein wich zurück, doch zu spät. Der Boden bebte. Eine Staubwolke stieg auf, und aus der Tiefe drangen zwei Stimmen. Tief, Unisono, wie metallisches Singen.

„Bleibt fern vom Berg! Er hat Hunger!“, hallte Vogts Stimme aus der Tiefe.

Dr. Stein sank in den Schnee, die Hände über dem Gesicht. Keller starrte auf den Rauch. „Sie kommen wieder“, sagte er.

In seinem Tagebuch notierte Stein später: Heute am 8. Februar des Jahres 1878 hat der Berg gesprochen und ich fürchte, er wird nie wieder schweigen.

Nach jener Nacht veränderte sich die Luft im Tal. Es war, als läge ein unsichtbarer Druck auf allem Lebenden. Am 14. Februar machte sich Dr. Stein mit Keller erneut auf den Weg zur Grube St. Georg. Am Hang stand etwas, das dort vorher nicht gewesen war. Ein Kreuz aus Holz, roh gezimmert, aber gewaltig hoch, fast drei Meter. Daran hing ein Tierkadaver.

„Das ist ein Sonnensiegel, heidnisch, sehr alt“, sagte Stein.

Sie betraten den Stollen. Plötzlich hörten sie Schritte. Zwei Schatten lösten sich aus der Dunkelheit. Keller hob die Flinte.

„Nicht!“, rief Stein, aber zu spät.

Der Schuss traf den vorderen Schatten und prallte ab, als hätte er Stein getroffen. Ein dumpfes, kehliges Lachen füllte den Gang. Dann eine Stimme, dieselbe aus beiden Mündern.

„Du kannst den Gerechten nicht verletzen, nur dich selbst.“

Keller fiel rückwärts, Blut sickerte aus seinem Ohr. „Er hat mich angesehen“, flüsterte er, „und ich sah mich selbst.“ Dann starb er.

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