16. Februar 1899.
Heute war Vater wieder betrunken. Er kam spät nach Hause und rief nach Mutter, als wäre sie noch hier. Dann begann er zu weinen und schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Später kam er in mein Zimmer und setzte sich auf mein Bett. Er streichelte mein Haar und nannte mich Maria. Ich wagte nicht zu atmen, bis er einschlief. Elise half mir, ihn in sein Zimmer zu bringen. Danach haben wir geflüstert, zum ersten Mal seit Wochen. Elise sagte, wir müssten etwas tun. Sie kann nicht noch einmal in den Keller. Es würde sie töten. Wir haben beschlossen, heute Nacht nach Margarete zu sehen, während Vater schläft.
17. Februar 1899.
Gott stehe uns bei. Was haben wir nur getan? Was haben wir nur getan? Wir haben den alten Schlüssel gefunden, den Vater unter der losen Diele im Flur versteckt. Der Keller war dunkel, nur eine Kerze hatten wir. Der Gestank war überwältigend. Margarete war an… Sie war, ich kann es kaum beschreiben. Sie war an die Wand gekettet, wie ein Tier. Ihr Kleid war zerrissen und schmutzig, ihr Haar verfilzt.
Sie erkannte uns zuerst nicht. Als wir sie losgemacht haben, begann sie zu schreien. Wir versuchten, sie zu beruhigen, aber sie war wie von Sinnen. Sie kratzte und biss. Elise hielt ihr den Mund zu, damit Vater nicht aufwacht. Dann… dann hörte sie plötzlich auf zu kämpfen. Ihr Körper wurde schlaff. Wir dachten erst, sie hätte sich beruhigt, aber oh Gott, sie hat aufgehört zu atmen. Elise versuchte, sie wiederzubeleben, aber es war zu spät. Unsere Schwester ist tot. Und wir haben sie getötet.
Wir hörten Vater oben rumoren. Schnell legten wir Margarete zurück und ketteten sie wieder an. Es tut mir so leid, Schwester, so unendlich leid. Wir schlichen zurück in unsere Zimmer, gerade als Vater die Treppe herunterkam.
Heute morgen tat Vater so, als wäre nichts geschehen. Beim Frühstück fragte er nur:
„Habt ihr gut geschlafen, meine Engel?“
Seine Augen, ich schwöre, er wusste es. Er wusste alles.
22. Februar 1899.
Vater hat Margaretes Tod entdeckt. Er kam heute morgen aus dem Keller, die Hände blutig vom Graben. Er sagte kein Wort, starrte uns nur an. Dann nahm er seinen Mantel und ging. Als er zurückkam, brachte er eine große Kiste mit Kalk mit. Wir wissen, was das bedeutet.
Elise flüsterte mir heute zu:
„Wir müssen ihn aufhalten, bevor wir die nächsten sind. Er wird uns nie gehen lassen. Nie.“
27. Februar 1899.
Der Plan ist gefasst. Wir haben keine andere Wahl. Möge Gott uns vergeben.
5. März 1899.
Es ist vollbracht. Wir haben den Tee mit dem Laudanum aus Vaters Medizinschrank versetzt. Als er bewusstlos war, haben wir ihn in den Keller geschleift, an dieselbe Stelle, wo Margarete… Wir haben ihn mit denselben Ketten gefesselt, die er für uns benutzt hat. Als er aufwachte, hat er nicht geschrien, wie wir erwartet hatten. Er hat gelächelt.
„Meine klugen, starken Mädchen“, sagte er. „Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde. Ihr seid so viel mehr wie eure Mutter, als ich dachte.“
Dann begann er, Dinge zu sagen, schreckliche Dinge über Mutter, über uns, was er getan hat, was er noch tun wollte. Wir haben seine Zelle verschlossen und sind nach oben gegangen, aber seine Stimme folgte uns. Die ganze Nacht hörten wir sein Flüstern durch die Dielen.
10. März 1899.
Vater wird schwächer. Wir geben ihm nur Wasser und Brot. Gerade genug zum Überleben. Er bettelt nicht mehr. Er singt jetzt. Kinderlieder, die er uns früher vorgesungen hat. Es macht mich krank. Elise sagt, wir müssen fort. Das Dorf wird Fragen stellen. Wir könnten sagen, Vater sei auf eine Geschäftsreise gegangen. Aber wie lange wird man uns das glauben? Wir haben etwas Geld gefunden, in seinem Arbeitszimmer versteckt. Genug für einen Neuanfang. Vielleicht.
15. März 1899.
Vater ist verstummt. Er sitzt nur noch da mit leerem Blick. Manchmal lacht er plötzlich auf ohne Grund. Ich glaube, sein Verstand schwindet. Ein Teil von mir ist erleichtert. Ein anderer Teil hat Angst vor dem, was wir getan haben, was wir geworden sind.
17. März 1899.
Heute Nacht brechen wir auf. Elise hat zwei Fahrkarten nach Hamburg besorgt. Von dort nehmen wir ein Schiff nach Amerika, ein neues Leben weit weg von hier. Vater, wir können ihn nicht mitnehmen. Wir können ihn nicht freilassen. Es gibt nur eine Lösung.