Nicht von Menschen, sondern von dem Haus selbst. Die Schatten an den Wänden schienen sich zu bewegen, obwohl keine Brise wehte. Die Kerzen flackerten, als würde eine unsichtbare Hand durch die Luft fahren. Die schweren Stühle knarrten auf eine Weise, die man nicht hätte überhören sollen. Doch niemand sagte ein Wort. Niemand wagte es. Die ersten Gäste legten ihre Gabeln beiseite und suchten nach Halt.
Einer von ihnen flüsterte seiner Begleiterin zu. Der Raum drehe sich leicht. Ein anderer starrte auf seinen Teller und begann zu weinen, ohne zu wissen, warum. Es war kein körperlicher Schmerz, zumindest noch nicht, sondern ein Gefühl, das sich aus dem tiefsten Teil der Seele erhob. Ein Gefühl, das sich wie eine unsichtbare Hand um den Geist legte.
Sophie stand da, still wie eine Wurzel im Boden und wartete. Sie wusste genau, was nun begann. Kein Gift, wie es die Menschen sich vorstellten, kein rasches Ende, sondern etwas, das im Dunkel der Wälder Hessens verborgen war. Etwas, das sie kannte, seit sie als Kind Kräuter gesammelt hatte und gelernt hatte, welche Pflanzen dem Leib schadeten und welche dem Geist.
Die Familie hatte in ihrem Hochmut nie verstanden, dass die Natur nicht nur nährt, sondern auch richtet. Auch jetzt begriff niemand, was geschah. Nicht einmal, als Herr Friedrich abrupt verstummte, sein Gesicht bleich wurde und sein Blick ins Leere starrte, als sähe er etwas, das kein lebender Mensch je erblicken sollte.
Er spreizte die Finger, als wollte er etwas Unheilvolles aus der Luft abwehren. Frau Elisabeth rang nach Atem, fiel auf die Knie, zog mit zitternden Händen an der Tischdecke, als würde das feine Lein sie retten. Tränen liefen über ihr Gesicht, aber sie schien sie nicht zu bemerken. Die Gäste fielen in einen Zustand, der zwischen Panik und Lähmung schwankte.
Einige standen auf, taumelten, griffen nach irgendetwas, das ihnen Halt geben konnte. Andere starrten ins Nichts, als würden sich in den Schatten Gestalten formen, die nur sie sehen konnten. Es dauerte nicht lang, bis der erste Schrei ertönte, ein scharfer, durchdringender Ton, der an den Fenstern zitterte und durch die Flure halte. Doch der Schrei kam nicht von einem der Gäste, er kam von Kara.
Sie stand mitten im Saal, die Hände in die Luft gestreckt, ihre Augen weit geöffnet, aber sie sah nichts. Sie schrie, als stünde sie in einer Feuersbrunst, die nur sie fühlte. Lukas fiel kurz darauf vom Stuhl. Seine kleinen Hände griffen in die Luft, als würde er nach etwas Unsichtbarem schlagen. Sein Mund formte Worte, die niemand verstand.
Und Johann stieß plötzlich ein kehiges fremdes Lachen aus, das nicht aus seiner Kehle zu stammen schien. Die Gäste gerieten in Aufruh. Manche versuchten zu fliehen, doch ihre Beine gehorchten ihnen kaum. Andere stolperten, fielen, krabbelten über den Boden, wie er blindete. Ein paar blieben starr sitzen, als seien sie mit dem Holz der Stühle verwachsen. Sophie verließ ihren Platz im Schatten.
Lautlos ging sie ein paar Schritte nach vorn. Niemand bemerkte sie. Sie war zu unscheinbar, zu vertraut, zu sehr Teil der Wände geworden. Und dennoch war sie der Mittelpunkt des Abends, der unsichtbare Pol, um den sich alles dreht. Sie blieb im Halbdunkel stehen und sah zu, wie der Saal, der sie so oft gedemütigt hatte, nun selbst verzerrt wurde, wie die Menschen, die in ihm gelacht hatten, plötzlich aufschrien oder flüsterten oder wimmerten.
Und eine Ruhe legte sich über ihr Gesicht, eine Ruhe, die so tief war, dass sie beunruhigender wirkte als jede Emotion. Denn sie wusste, dies war erst der Anfang. Das Haus hatte noch nicht gezeigt, wozu es fähig war, doch es würde, und niemand im Saal konnte ihm entkommen. Der große Saal des Gutshauses verwandelte sich in ein pulsierendes Zentrum des Warns.
Die schwere Luft, eben noch erfüllt vom Duft der Speisen und den stolzen Gesprächen der Gäste, war nun geladen mit Schreckensschreien, dem Scharen verzweifelter Schritte und dem Stöhnen jener, die bereits am Boden lagen. Herzen flackerten, als würden sie im Sturm stehen, obwohl kein Windzug durch den Raum ging.