Ein Sprecher des Umweltministeriums sagte: “Es gibt dort nichts, nur alte Geschichten.” Doch in der Nacht, als er das sagte, fiel im Radiostudio für 3 Sekunden der Strom aus. Auf der Aufnahme, die später ausgewertet wurde, hörte man in dieser Pause ein Flüstern, undeutlich mehr Gefühl als Klang. Einige Toningenieure meinten, das Wort sei Schäfer.
Im Herbst desselben Jahres kamen Journalisten eines Fernsehsenders, um eine Dokumentation zu drehen. Sie durften nicht in das Sperrgebiet, also filmten sie nur die Umgebung und sprachen mit den Bewohnern. Eine Frau, die seit ihrer Kindheit in Neustadt lebte, sagte: “Ich habe sie gehört.” Wissen Sie, nicht böse, nur traurig. Als wollten sie sagen, wir haben es doch nur getan, weil uns niemand gestoppt hat.
Während der Dreharbeiten erkrankten zwei Mitglieder des Teams: Fieber, Albträume, Erschöpfung. Beide berichteten, sie hätten dieselben Träume gehabt. Ein brennendes Haus, drei Männer mit gleichen Gesichtern und eine Frau, die in der Glut stand und lächelte. Die Sendung wurde nie ausgestrahlt. Der Sender erklärte, das Material sei versehentlich gelöscht worden.
Doch ein Techniker, der an der Produktion beteiligt war, veröffentlichte später anonym einen Screenshot aus dem Rohmaterial, ein Standbild aus der letzten Aufnahme, darauf das eiserne Tal bei Dämmerung Nebel kaum erkennbar und mittenderin im grauen Licht eine Gestalt, eine Frau, barfuß, die Arme erhoben, das Gesicht nach oben gewandt, neben ihr im Schatten drei Kinder. Alle blickten in die Kamera.
Das Bild verbreitete sich im Internet, ehe es gelöscht wurde. Experten nannten es eine Fälschung, doch in den Dörfern schwieg man. Manche sagten, das Tal sei wieder erwacht. Andere meinten, es sei nie eingeschlafen, nur gewartet. Im Winter begann es zu schneien, früh und schwer. Der Thüringerwald lag unter einer weißen Decke, so dicht, dass selbst die Straßen verschwanden. Wochenlang war kein Durchkommen möglich.
In dieser Zeit geschah etwas, das niemand sofort bemerkte. Erst im Januar, als der Schnee zu tauen begann, fiel den Leuten in den Dörfern etwas auf. Das eiserne Tal dampfte. Ein dünner Nebel stieg auf. selbst an Tagen ohne Sonne und der Schnee auf seinen Hängen schmolz schneller als anderswo.
Ein Forstbeamter, der das Phänomen untersuchen wollte, berichtete, dass das Tal wie lebendig wirkte. Der Boden warm, die Luft still, aber vibrierend. Als er seine Hand in den Schnee legte, schmolz er sofort. Unter der Oberfläche war Erde, schwarz und feucht, als glühhe etwas darunter. In seiner Dienstelle hinterließ er eine Notiz. Es atmet. Danach verschwand auch er. In den Wochen danach hörte man nachts über den Bergen ein Sum.
Kein Wind, kein Tier, ein Chor aus vielen Stimmen, fern und doch nah. Bewohner aus Ilmenau beschrieben es als ein Singen ohne Worte, aber voller Bedeutung. Ein Ton, der nicht aufhörte, sondern im Ohr blieb, auch wenn man wegsah. Im März fand eine Gruppe Jugendliche aus Sul, die heimlich in das Sperrgebiet eindringen wollte, nur noch Reste des Zauns. Der Metallrahmen war schwarz verfärbt, als wäre er von Hitze verzehrt worden.
Dahinter nichts, kein Weg, keine Ruin, nur eine Fläche aus grauer Asche, glatt wie Glas. Sie drehten um, doch einer von ihnen, Ben, machte ein Foto. Darauf war in der Mitte dieser Fläche ein Abdruck zu sehen, klar und deutlich. Die Spuren kleiner nackter Füße, die sich im Kreis formten, als hätten Kinder um etwas getanzt, das nicht mehr da war.
Das Foto gelangte ins Netz, wurde hunderttausendfach geteilt und genauso schnell gelöscht. Offizielle Stellen bezeichneten es als digitalen Scherz, doch manche erkannten etwas in den Schatten am Rand des Bildes. Eine Gestalt halb sichtbar mit langem grauen Haar, die den Kopf neigte, als lausche sie.
Später im April berichteten Piloten, die über den Thüringer Wald flogen, von einem Licht unter den Bäumen. Weiß, ruhig, gleichmäßig. Es erschien kurz nach Mitternacht und verschwand bei Sonnenaufgang. Die Position entsprach exakt der Lage des eisernen Tals. Im Sommer schrieb ein anonymer Autor auf einer Website, die sich mit historischen Legenden befasste, einen Beitrag mit dem Titel Das Tal hat gesprochen. Er begann mit den Worten sie sind nicht verschwunden, sie sind heimgekehrt.