Und doch war nichts davon mit dem vergleichbar, was in den Augen jenes Mädchens lag, das nun in seinem Büro saß. Elisabeth Schäfer, 16 Jahre alt, woh kaum mehr als ein Kind. Ihre Hände zitterten, ihre Fingernägel waren schwarz vor Dreck und ihr Blick war leer, als sehe sie durch Wände und Menschen hindurch.
Erst nach Stunden des Schweigens begann sie zu reden. Zunächst kamen nur Bruchstücke, Worte, die wie aus einem Fiebertraum stammten. Brüder, Mutter, der Altar, das Blut ist rein. Schwarz schrieb jedes Wort sorgfältig nieder.
Als sie schließlich den Namen des Ortes nannte, das eiserne Tal, spürte er ein kaum erklärliches Unbehagen. Er kannte den Namen. Alte Jäger hatten davon gesprochen, von einem Tal, in das kein Tier zurückkehrte und kein Mensch freiwillig ging. Er hatte es immer für Abergauben gehalten. Doch jetzt saß da ein Mädchen, das aus Fleisch und Blut war, und erzählte von Dingen, die sich nicht mit bloßer Fantasie erklären ließen.
Nachdem der Dorfarzt Dr. Albrecht Fink sie untersucht hatte, bestätigte sich der Verdacht, dass Elisabeth über Jahre hinweg Hunger, Misshandlung und Isolation erlitten hatte. Ihre Wirbelsäule war verformt, ihre Haut narbig, ihre Zähne zerstört. Dr. Fink, ein nüchter Mann, schrieb in seinem Bericht: “Das Mädchen zeigt Spuren langhaltender körperlicher und seelischer Qualen, wie sie nur unter Zwang oder fanatischer Gefangenschaft entstehen können.
” Als Schwarz den Bericht las, stand sein Entschluss fest. Noch in derselben Woche würde er in das eiserne Tal aufbrechen. Doch wer sollte ihn begleiten? Die Bauern in der Umgebung mieden die Schäfers seit Jahrzehnten. Wenn er im Wir Stützerbach nach Freiwilligen fragte, wurde es still.
Einer der Alten spuckte in den Kamin und murmelte: “Wer dorthingeht, kommt nicht wieder.” Erst nach langem Zureden fand Schwarz drei Männer, die bereit waren, ihn zu begleiten. Jüngere Polizisten aus der Kreisstadt, unerfahren, aber loyal. Ihre Namen waren Wilhelm Kranz, Friedrich Lorenz und der Jüngste Karl Henning, kaum 23 Jahre alt. Sie machten sich an einem kalten Morgen im Oktober auf den Weg, als die Nebel noch zwischen den Stämmen hing und das Moos unter ihren Stiefeln tropfte. Der Weg führte sie tief in den Thüringerwald.
Zuerst folgten sie einem alten Handelsweg, dann einem Wildpfad, der schließlich ganz verschwand. Stundenlang hörten sie nichts als das Knacken von Ästen, das Fernerufen eines Kreuzchens und den gleichmäßigen Atem der Pferde. Die Luft wurde kälter und das Licht verlor seine Farbe. Gegen Nachmittag erreichten sie die steinerne Schlucht, die den Eingang zum Tal bildete.
Zwei Felswände ragten dort empor, so eng beieinander, dass kaum zwei Männer nebeneinander hindurchpassen konnten. Die Pferde weigerten sich weiterzugehen. still hier”, murmelte Kranz und Schwarz nickte nur. Als sie die Engstelle durchschritten, fiel der letzte Sonnenstrahl hinter ihnen zurück. Vor ihnen öffnete sich das eiserne Tal, ein Kessel aus Fichten und Felsen, schweigend wie ein Grab.
In der Mitte lag ein Hof, ein Komplex aus drei Gebäuden, das Haupthaus mit einem steinernen Kamin, eine Scheune und eine kleine Hütte, deren Dach halb eingefallen war. Kein Rauch, kein Laut, nur das ferne Murmeln eines Baches, der durch das Tal floss. Auf der Veranda des Hauses standen vier Gestalten, drei Männer, groß, breitschultrig, bärtig und eine ältere Frau mit grauem Haar, das zu einem strengen Knoten gebunden war.
Ihre Kleidung war grob, aus selbstgesponnener Wolle, ihre Gesichter unbeweglich. Kommissar Schwarz trat vor, zog seinen Hut und stellte sich vor. Heinrich Schwarz, königliche Polizei. Ich bin hier, um Nachforschung wegen des Verschwindens einer jungen Frau anzustellen. Die Frau antwortete mit ruhiger, brüchiger Stimme. Wir brauchen keine Nachforschung.
Das Mädchen war krank im Kopf. Es hat gelogen, wie der Satan lügt. Die drei Männer sagten kein Wort. Sie standen wie aus Stein gehauen, ihre Hände ruhten an den Gürteln, wo Jagdmesser glänzten. Schwarz spürte die Spannung in der Luft wie vor einem Gewitter. Trotzdem blieb seine Stimme fest. Ich habe Befehl, mich zu vergewissern, dass alle Mitglieder ihrer Familie wohl auf sind. Sie werden uns erlauben, das Haus zu betreten.