Am folgenden Tag machte sich Schwarz mit seinen Männern und einem Dutzend Landjand erneut auf den Weg ins eiserne Tal. Diesmal mit Befehl und Mandat. Die Sonne war blass, der Wind trug den Geruch von Schnee. Als sie den Engpass zwischen den Felsen erreichten, sahen sie den Rauch schon von weitem. Schwarze Schwaden zogen über die Baumwipfel.
Das Haus der Schäfers brannte. Die Flammen frasen das Holz mit gierigem Knistern. Das Dach stürzte ein und in der Glut sah man Schäen. Drei große Gestalten, unbewegt, inmitten der Feuersbrunzt. Niemand schrie, kein Mensch versuchte zu fliehen. Sie standen dort, bis das Feuer sie verschlang.
Matilde lag einige Schritte abseits, ihr Körper in einer Pose, als hätte sie gebetet. Neben ihr fand man eine alte Bibel, die in der Asche unversehrt geblieben war. Die Seite, auf die sie geöffnet war, trug das Zitat: “Und die Unreihen werden ausgerottet werden aus dem Volke.” Schwarz befahl, das Feuer nicht zu löschen. “Lass das Tal seine eigene Reinigung vollziehen”, sagte er.
Erst am Abend, als der Wind erlosch, wagten sie sich näher. Nur noch Stein und Asche blieben. Kein Laut, kein Leben. Der Bach, der durch das Tal floss, war von Ruß geschwärzt. Die Beamten legten Protokoll an, machten Fotos, sammelten die Bibel und einige verbrannte Werkzeuge als Beweisstücke. Dann verließen sie das Tal, das nun endgültig tot war.
Doch für Heinrich Schwarz war die Sache nicht vorbei. In seinen Träumen sah er das Feuer, sah Gesichter im Rauch, Matilde, ihre Söhne, die Kinder mit den leeren Augen. Manchmal wachte er auf und glaubte, Schritte hinter sich zu hören. Der Wind im Kamin klang wie Flüstern. Das Blut ist rein.
Der Prozess gegen die Familie Schäfer begann im Frühjahr des Jahres 199 im Amtsgericht von Ilmenau. Noch bevor der erste Tag der Verhandlung anbrach, hatte sich der Fall in alle Dörfer des Thüringerwaldes herumgesprochen. Menschen kamen von weit her, aus Erfurt, aus Sul, manche sogar aus Leipzig, um die Teufelsfamilie aus dem eisernen Tal mit eigenen Augen zu sehen. Zeitungen berichteten unter sensationellen Überschriften Blutschande im Herzen Deutschlands, Gottes warn oder Wahnsinn. Und das Tal des Schweigens spricht endlich.
Der Gerichtssaal war überfüllt. Bauern in Sonntagskleidung drängten sich Schulter an Schulter mit neugierigen Städtern und Reportern. Auf der Anklagebank saßen nur vier Überlebende, die beiden Frauen Patrizia und Luise und zwei der Kinder, die stark genug gewesen waren, um die Flucht zu überstehen.

Die Männer, die Brüder Schäfer waren tot, im Feuer gestorben, ebenso Matilde. Dennoch wurde der Prozess geführt als Symbol, als Urteil über eine Welt, die zu lange geschwiegen hatte. Kommissar Heinrich Schwarz trat als Zeuge auf. Seine Aussage dauerte über zwei Stunden. Mit ruhiger Stimme schilderte er jedes Detail: Das Haus, den Gestank, die Bibelseiten, die verbrannten Gesichter. Doch als er von den Kindergräbern sprach, brach seine Stimme.
“Ich habe viele Tote gesehen”, sagte er, “aber noch nie so viele, die nicht hätten sterben müssen.” Dr. Albrecht Fink legte seinen medizinischen Bericht vor. Er sprach sachlich, präzise, doch das, was er beschrieb, ließ selbst die abgebrühten Journalisten verstummen. Diese Menschen lebten in einem geschlossenen System, in dem sich Krankheit, Glaube und Blut zu einer Spirale des Verfalls verbandten. Es war keine Familie mehr, es war eine Sekte.
Patrizia weinte, als sie befragt wurde. Sie erzählte von den Jahren der Gefangenschaft, von der Gewalt, von den Nächten, in denen sie ihre toten Kinder im Arm hielt, bis man sie ihr wegnahm. Sie sagten: “Es sei Gottes Wille”, flüsterte sie. “berlaube, Gott hat nie dort gewohnt.” Luise sprach kaum.
Sie saß still, den Blick gesenkt, die Hände gefaltet. Nur einmal hob sie die Augen, als man sie fragte, ob sie ihre Mutter Matilde hasse. Nein, sagte sie, ich hasse niemanden. Ich will nur schlafen. Nach fünf Tagen endete die Verhandlung. Der Richter verkündete, dass keine lebenden Täter mehr existierten. Doch das Gericht stellte offiziell fest, dass gewaltig schwerste Verbrechen gegen Menschlichkeit und Natur begangen worden waren. Das Urteil war symbolisch. Doch es halte nach wie Donner über den Bergen.