Nach ihrem Tod schien die Geschichte endgültig zu verblassen. Das eiserne Tal war verwachsen, die Pfade verschwunden. Doch im Jahr 1972, als die Forstverwaltung eine neue Trasse für die Holzabfuhr plante, wurde der Ort zufällig wieder entdeckt. Ein Truparbeiter stieß beim Fällen von Bäumen auf eine Mauer aus altem Stein. Hinter ihr fanden sie Reste von Asche, verrostete Werkzeuge und Scherben von Gefäßen.
Der Vorarbeiter meldete den Fund an die Kreisleitung, die wiederum die Polizei informierte. Manandte zwei Beamte und einen Archäologen, um das Gelände zu untersuchen. Der Archäologe, ein nüchter Mann namens Dr. Konrad Meierer, schrieb in seinem Bericht: “Gefunden wurden Fundamente von mindestens zwei Gebäuden, vermutlich 19.
Jahrhundert verbrannt in einem Umkreis von 10 m zahlreiche Knochenfragmente, teils tierisch, teils menschlich, überwiegend infantil. Keine Hinweise auf Raub oder Plünderung. Doch etwas in seinem Ton war ungewöhnlich. Zwischen den Zeilen stand: “Ort von unbestimmter Unruhe, Geräusche bei Windstille, Empfindung des Beobachtet werden.” Der Bericht verschwand bald in der Schublade einer Behörde.
Die DDR hatte wenig Geduld für Geschichten von Geistern, doch unter den Arbeitern kursierten bald Gerüchte. Einer von ihnen, ein gewisser Peter Klose schwor: “Er habe in der Nacht nach der Untersuchung Stimmen gehört. Kinderstimmen, die in der Nähe seines Zeltes flüsterten: “Bleib, bleib, bleib!” Am nächsten Tag verließ er die Baustelle und kehrte nie zurück.
Der Trassenbau wurde gestoppt, offiziell wegen Bodeninstabilität. Das Gebiet wurde erneut gesperrt, diesmal dauerhaft. Niemand sprach öffentlich darüber. Im Laufe derbziger Jahre wurde das eiserne Tal ein weißer Fleck auf allen Karten. Aber in den Dörfern, in jenen langen Winternächten, wenn der Schnee die Wege verschluckte und die Welt wieder still wurde, erzählten sich die Alten die Geschichte weiter.
Sie sagten: “Dort unten im Tal beten sie noch immer, nur hört sie keiner mehr.” Nach der Wiedervereinigung Deutschlands änderten sich viele Dinge, doch das eiserne Tal blieb, was es immer gewesen war, ein Schatten zwischen den Bäumen. Offiziell gehörte das Gebiet nun dem Forstamt Ilmenau, dass es als geschützte Naturfläche ohne Zugang auswies. Inoffiziell wußte jeder Förster, daß man dort besser nicht hineinging.
Der Wald wuchs dicht, der Boden war unruhig und wer zu lange blieb, fühlte sich beobachtet, auch wenn kein Laut zu hören war. Im Jahr 1999 wurde das Tal erneut auf einer Karte vermerkt. Diesmal im Zuge einer digitalen Vermessung. Der Kartograf, ein Mann namens Andreas Holler, bemerkte eine merkwürdige Abweichung.
Satellitenbilder zeigten dort eine ungewöhnliche Wärmesignatur, als läge unter dem Boden eine Quelle oder ein Brandherd. Doch vor Ort war nichts, nur Steine, Moos und Erde. Holler schrieb in seinem Bericht: “Thermische Anomalie ohne erklärbare Ursache. Empfehlung: Geologische Untersuchung. Die Untersuchung fand nie statt. Zwei Jahre später, im Winter 2001 wanderte ein Fotograf aus Erfurt namens Matthias Krüger in den Thüringer Wald.
Er arbeitete an einer Serie über verlorene Orte und hatte von einem Jäger den Namen Eisental gehört. Die alten Geschichten faszinierten ihn. Blutschande, Feuer, Flüche. Er wollte sie als Mythos brechen, in Bildern fassen. Krüger fuhr mit seinem Wagen bis zur Forstraße und ging zu Fuß weiter.
Er fand die Schlucht, die zwischen den Felsen lag und obwohl Schnee fiel, war es darunter seltsam warm. Der Wind schwieg, sein Atem stand in der Luft wie Glas. Als er das Tal betrat, spürte er sofort, dass dort etwas anders war. Die Geräusche des Waldes verstummten, das Knacken des Schnees unter seinen Stiefeln halte zu laut. Er richtete seine Kamera, machte Aufnahmen von den Ruinen, den schwarzen Steinen, dem verrosteten Kreuz auf dem Boden.
Dann hörte er Schritte. Er drehte sich um. Niemand. Nur der Schnee fiel gleichmäßig, schwer. Als er weiterging, spürte er einen Druck im Ohr, als würde der Luft die Kraft entzogen. Und dann hörte er es. Kinder lachen, leise, fast freundlich, aber ohne Quelle. Es kam nicht von oben, nicht von unten, sondern von überall.