Krüger brach den Ausflug ab, doch auf dem Heimweg stolperte er, fiel in den Schnee und verlor für einen Moment das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, war seine Kamera weg. Die Spuren führten nirgends hin. Zwei Wochen später fand man ihn tot in seiner Wohnung in Erfurt. Kein Zeichen von Gewalt, nur Herzstillstand.
Auf dem Tisch stand eine Tasse kalten Kaffees, daneben ein Notizzettel mit drei Wörtern. Sie sind rein. Die Polizei sah keinen Zusammenhang, doch in den Akten stand: Betroffener hatte zuletzt Aufnahmen im Bereich des Eisental gemacht. Kamera nicht auffindbar. Im Jahr 2004 wurde in einem Antiquariat in Weimer eine alte beschädigte Filmrolle verkauft, die angeblich von einem Nachlass stammte.
Der Verkäufer behauptete, sie stamme von einem Fotografen, der Bosse im Wald verschwunden sei. Auf der Rolle waren nur sechs Fotos erkennbar, verschwommene Schwarz-weeißbilder. Auf einem davon waren drei Gestalten zu sehen, die aneinander standen. Gesichter kaum zu erkennen, nur dunkle Schatten, wie aus Rauch geformt. Im Hintergrund ein Schornstein, ein Historiker, der die Bilder untersuchte, schrieb: “Ich kann nicht sagen, was ich sehe, aber ich habe das Gefühl, es sieht zurück.
” Die Aufnahmen verschwanden kurz darauf. Angeblich kaufte sie ein privater Sammler aus München, der sich für okkulte Relikte interessierte. In den folgenden Jahren kam das Tal in Internetforen und Fernsehdokumentationen vor. Junge Abenteurer versuchten den Ort zu finden, aber die genaue Lage blieb unklar.
GPS-Geräte fielen aus, Kompasse drehten sich im Kreis und wer zu lange dort blieb, berichtete von Kopfschmerzen und Stimmen. Ein Blogger schrieb im Jahr 2008: “Ich habe keine Angst gehabt, bis ich Kinderstimmen singen hörte. Dann wußte ich, daß ich gehen mußte. Die Behörden wiesen alles als Aberglauben zurück. Doch das Forstamt erhielt im Jahr 2010 eine anonyme Meldung. Im Tal brennt wieder Licht.
Ein Trup wurde geschickt. Sie fanden nichts, nur einen verkohlten Kreis auf dem Boden. Rund, exakt, frisch. Im Frühjahr 2012 geriet das eiserne Tal erneut in die Schlagzeilen, als eine Gruppe von Studenten der Universität Jena ein Projekt über verlassene religiöse Gemeinschaften startete. Einer von ihnen, Lukas Reuter, fand in einem alten Archiv den Namen Schäfer Ilmenau 1919 und beschloss der Sache nachzugehen.
Er und drei Komelitonen, Nina Bergmann, Tobias Keller und Sarah Lind reisten mit einem Kleinbus in den Thüringer Wald, ausgerüstet mit Kameras, Diktiergeräten und der jugendlichen Überzeugung, dass Geschichten nur dann macht haben, wenn man sie glaubt. Am Abend des 22.
Mai schlugen sie ihr Zelt am Rand des Waldes auf, unweit der alten Forstraße, die laut Karte in das gesperrte Gebiet führte. Der Himmel war klar, der Wind still. Sie lachten, tranken Bier, erzählten sich Spukgeschichten und nahmen die Legende des eisernen Tals nicht ernst. Am nächsten Morgen brachen sie auf. Lukas führte mit dem GPS, das jedoch nach wenigen Minuten ausfiel.
“Kein Signal”, murmelte er. Tobias meinte lachend, vielleicht mögen sie keine Satelliten. Sie gingen weiter, folgten einem Bachlauf, bis sie die beiden Felsen erreichten, die den Eingang bildeten. Dahinter begann das Tal, still, feucht, grünlich, wie unter Wasser. Sie fanden die Reste der Fundamente, wie sie in alten Berichten beschrieben waren.
Moos wuchs über den Stein, zwischen denen Eisenreste ragten. Nina stellte ihr Aufnahmegerät auf und begann ihre Eindrücke zu diktieren. Hier ist nichts, keine Vögel, kein Wind, nur Geräuschlosigkeit. Tobias fotografierte. Auf einer der später gefundenen Aufnahmen sah man ihn, wie er vor einem halbe eingefallenen Kamin stand.
Über ihm im Schatten ein undeutliches Muster, ein Gesicht, kindlich, aber verzerrt. Nachmittags begann sie ihre Ausrüstung zusammenzupacken. Sarah bemerkte, dass sich der Nebel verändert hatte. Er kam nicht von oben, sondern kroch vom Boden herauf, lautlos, dicht. Lukas meinte, sie sollten aufbrechen, doch als sie den Engpass wiederfanden wollten, war der Weg fort.