FABIAN-MORD: Das Schweigen der Behörden und die Nadel im Heuhaufen – Was die Suche auf Deponie und Bauernhof über die Panik des Täters verrät

Seit dem tragischen Tod des achtjährigen Fabian in Güstrow herrscht eine schmerzhafte Fassungslosigkeit, die weit über die Grenzen Mecklenburg-Vorpommerns hinaus spürbar ist. Die Anteilnahme in der Bevölkerung ist überwältigend, doch die Antworten, auf die die trauernde Gemeinschaft so dringend wartet, bleiben aus. Stattdessen sind die letzten Tage von einer militärischen Präzision und einer eisernen Mauer des Schweigens der Ermittlungsbehörden geprägt, die den Fall in ein juristisches und psychologisches Minenfeld verwandeln.

Der öffentliche Informationsstopp und die Durchführung von zwei großangelegten Suchaktionen an denkbar unterschiedlichen Orten – einem landwirtschaftlichen Betrieb und einer Mülldeponie – sind der dramatische Ausdruck eines verzweifelten Kampfes der Mordkommission: Es ist die Jagd nach der Nadel im Heuhaufen, die Jagd nach dem Beweisstück, das die Identität des Täters zweifelsfrei klären und die Verzweiflung oder Kaltblütigkeit hinter dem Verbrechen belegen kann.

Die Chronologie des Schreckens und die Große Unklarheit

Zur Einordnung: Fabian verschwand am 10. Oktober, nachdem er krank zu Hause bleiben sollte. Seine Mutter bemerkte sein Fehlen am Nachmittag. Vier Tage später, am 14. Oktober, die niederschmetternde Gewissheit: Fabians Leiche wird in einem Waldstück bei Klein Upahl gefunden. Die Obduktion bestätigt: Er wurde Opfer eines Gewaltverbrechens.

Das besonders verstörende Detail am Fundort sind die Brand- und Rußspuren. Sie deuten darauf hin, dass versucht wurde, Spuren zu verwischen, möglicherweise durch Brandlegung. Dieses Detail wirft die erste und fundamentalste Frage auf, die die Mordkommission seither umtreibt: Ist der abgelegene Ort im Wald, an dem Fabian gefunden wurde, auch der Tatort? Die Klärung dieser Frage ist zentral für die Rekonstruktion des gesamten Verbrechens.

Die Ermittlungen werden von einer eigens erweiterten Mordkommission der Kripo Rostock geführt – ein Zeichen für die höchste Priorität, die diesem Fall beigemessen wird. Der Druck, Antworten in diesem Albtraum zu finden, ist immens. Und dieser Druck manifestiert sich in den spektakulärsten Suchaktionen der jüngeren Kriminalgeschichte der Region.

Der Kampf gegen den Müll: Die Jagd auf der Deponie

Nur wenige Tage nach dem Leichenfund begann der erste große, medienwirksame Einsatz. Am Donnerstag, dem 23. Oktober, rückten die Ermittler an einem gänzlich unerwarteten Schauplatz an: dem Gelände eines Entsorgungsunternehmens, einer Mülldeponie nördlich von Güstrow.

Die Bilder dieses Einsatzes waren surreal und beklemmend: Dutzende Beamte, vermummt in weißen Schutzanzügen, kämpften sich mit Schaufeln, Forken und langen Suchstangen buchstäblich durch meterhohe Müllberge. Der Fokus lag wohl auf einer Halle mit Altkleidern.

Die Wahl dieses Ortes ist ein deutlicher Hinweis auf eine zentrale Hypothese der Ermittler: Der Täter hat Beweismittel in allergrößter Eile und Panik im Müll entsorgt. Man sucht hier nach:

  1. Kleidung: Entweder die Kleidung des Opfers, die womöglich Brandspuren oder Täter-DNA trug, oder die Kleidung des Täters, um Spuren von Fabian oder dem Fundort zu beseitigen.

  2. Tatwaffe oder Werkzeug: Ein Gegenstand, der nach der Tat nicht schnell genug vergraben, sondern nur weggeworfen werden konnte, um ihn im System des städtischen Abfalls zu „verlieren“.

Die Bedingungen auf einer Mülldeponie gleichen der sprichwörtlichen „Nadel im Heuhaufen“. Selbst wenn die Polizei eine Eingrenzung auf bestimmte Müll-Chargen vornehmen konnte (etwa basierend auf Abfuhrplänen oder Zeugenaussagen), ist die manuelle Durchkämmung von verwesendem Material extrem mühsam und ressourcenintensiv. Die Mühe der Ermittler an diesem Ort zeigt ihre Verzweiflung, aber auch ihre Entschlossenheit, jede Spur zu verfolgen, die darauf hindeutet, dass der Täter die Beseitigung der Beweise nicht minutiös geplant, sondern hastig improvisiert hat.

Der Kontrast: Das Vergrabene Geheimnis auf dem Bauernhof

Parallel zu dieser Suche auf der Deponie gab es bereits einige Tage zuvor einen weiteren, ebenso aufwendigen Einsatz: Am Montag, dem 20. Oktober, wurde das Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebs in Reimershagen durchkämmt.

Dieser Einsatz stand in völligem Kontrast zur Deponie:

  • Der Ort: Ein Bauernhof in Reimershagen, etwa 12 km vom Fundort der Leiche entfernt, aber im näheren Umfeld.

  • Die Methode: Hier kamen Bagger, schweres Gerät und Metalldetektoren zum Einsatz. Es wurde gezielt gegraben.

  • Das Ziel: Berichten zufolge suchte man hier gezielt nach der Tatwaffe, möglicherweise einem Messer.

Die Wahl dieser beiden, so unterschiedlichen Orte – Entsorgung durch Wegwerfen und Entsorgung durch Vergraben – legt nahe, dass die Ermittler zwei mögliche Szenarien oder psychologische Profile des Täters verfolgen:

  1. Die panische Entsorgung: Der Täter gerät nach der Tat unter Zeitdruck (oder wurde gestört, wie Profiler vermuten) und wirft alle Beweise in den erstbesten Müllcontainer, der ihn von den Ereignissen trennt.

  2. Die kalkulierte Beseitigung: Der Täter nutzt eine ihm bekannte, abgelegene oder ihm zugängliche Stelle (z.B. ein landwirtschaftlicher Betrieb in seiner Nähe), um ein entscheidendes Beweisstück dauerhaft zu beseitigen, indem er es vergräbt. Dies zeugt von einer gewissen Überlegung, auch wenn die Ausführung unter Druck stattfand.

Die Notwendigkeit, beide Szenarien gleichzeitig und mit solch massivem Aufwand zu verfolgen, unterstreicht die Unklarheit über die genauen Abläufe der Tat und die Verzweiflung der Ermittler, die keinen einzigen möglichen Spurenverlauf ignorieren dürfen. Bisher gibt es zu beiden Suchaktionen keine offiziellen Angaben über einen Fund, was das Schweigen der Behörden noch verstärkt.

Die Mauer des Schweigens: Der Preis der Ermittlungstaktik

Parallel zu den fieberhaften Suchaktionen fällt die massive Zurückhaltung der Ermittler auf. Anfragen werden abgewiesen, konkrete Informationen verweigert, stets mit dem Verweis auf „ermittlungstaktische Gründe“.

Diese „Mauer des Schweigens“ ist eine bewusste, kalkulierte Strategie der Kriminalistik, deren zentrales Ziel der Schutz des Täterwissens ist. Täterwissen umfasst Details über die Tat, die Todesursache oder den Fundort, die nur der Täter oder die Täterin kennen kann. Würden diese Informationen öffentlich, könnten Verdächtige ihre Aussagen daran anpassen, Alibis konstruieren oder sich auf Befragungen vorbereiten, was den Ermittlungsvorsprung in Sekunden zunichtemachen würde.

Doch diese Notwendigkeit hat ihren Preis. Das Schweigen schafft ein Informationsvakuum, das in der aufgeheizten Atmosphäre von Güstrow sofort durch Gerüchte, Halbwahrheiten und Spekulationen in den sozialen Medien gefüllt wird. Dieses unkontrollierte „Rauschen“ kann die Stimmung weiter anheizen und ist für die Angehörigen eine furchtbare psychische Zusatzbelastung.

Die Ermittler stehen vor einem unlösbaren Balanceakt: Was schadet den Ermittlungen mehr – die kontrollierte Preisgabe von Details oder die unkontrollierte Gerüchteküche? In den meisten Fällen entscheiden sich die Behörden für den Schutz der Ermittlungen, auch wenn dies kurzfristig zu öffentlicher Ungeduld, Misstrauen und Kritik führt.

Eine besonders kritische Frage, die in diesem Zusammenhang laut wurde, betrifft das Vorgehen der Behörden in der Anfangsphase. Fabians Mutter soll von Anfang an ein „ungutes Gefühl“ gehabt und ein Verbrechen befürchtet haben, sich aber von der Polizei zunächst nicht ernst genommen gefühlt haben. Dieser Vorwurf wiegt schwer, denn die ersten Stunden nach einer Vermisstenmeldung sind oft entscheidend. Ob hier wertvolle Zeit verstrichen ist, ist eine zentrale Frage, die die interne Aufarbeitung beschäftigen wird.

Die offenen Fäden und die Angst vor dem Unbekannten

Die aktuelle Lage ist von quälender Ungewissheit geprägt. Trotz des massiven Einsatzes von Personal, Gerät und Ressourcen bleiben die fundamentalen Fragen unbeantwortet:

  • Wurden die Suchen auf Hof und Deponie fündig? Hat man die „Nadel im Heuhaufen“ gefunden, das entscheidende Beweisstück, das zur Festnahme führt? Oder war die Mühe vergeblich?

  • Was war das Motiv? Die Tötung eines Kindes aus dem nahen Umfeld, wie Profiler Axel Petermann betont, ist zwar statistisch wahrscheinlich, aber das konkrete Motiv bleibt verborgen.

  • Wer spielte welche Rolle? Auch die Tatsache, dass Fabian von der Ex-Freundin des Vaters gefunden wurde, ist ein Aspekt, der intensiv beleuchtet werden muss.

Die Hypothese Petermanns, dass die Leiche nur abgelegt und nicht aufwendig vergraben wurde, könnte auf Eile oder Panik des Täters hindeuten. Er könnte bei der Beseitigung der Leiche gestört oder massiv unter Zeitdruck gestanden haben. Diese Annahmen, obwohl keine Beweise, geben den Ermittlern jedoch Denkansätze, die sie zu den konträren Suchorten geführt haben: die hastige Beseitigung (Deponie) oder die vorsätzliche Verbergung (Bauernhof).

Die Ermittlungen führen eine stille, unsichtbare Schlacht. Die einzige gute Nachricht in dieser dunklen Zeit ist die Freigabe von Fabians Leiche. Dies ermöglicht der Familie, die Beerdigung zu planen und einen würdigen Abschied zu nehmen – ein wichtiger Schritt zur Trauerbewältigung.

Doch die Hoffnung bleibt, dass die akribische Arbeit der Mordkommission, die nun jeden Müllberg und jeden Zentimeter Boden durchkämmt, Früchte trägt. Der Fall Fabian ist die beklemmende Darstellung eines Verzweiflungsakts und die entschlossene Reaktion eines Rechtsstaates, der auch im Angesicht der stärksten emotionalen Belastung nicht locker lässt. Die Ungewissheit, die Güstrow quält, wird erst enden, wenn die Mauer des Schweigens der Ermittler durch einen unwiderlegbaren Beweis durchbrochen wird.

Related Posts

Our Privacy policy

https://worldnews24hr.com - © 2025 News