Zwei Tage ritten sie durch Wälder über Heideflächen. Doch als sie ankam, war der Mann verschwunden. Arbeiter auf dem Gut berichteten, er habe sich sichtlich unruhig verhalten, nachdem er Uniformen am Horizont wahrgenommen hatte. Er sei in aller Hast in den Wald geflohen und habe ein Pferd gestohlen. Die Verfolgung war mühsam.
Der Wald zwischen Solter und Ülzen war dicht. Der Boden weich und Regen hatte frische Spuren verwischt. Die Polizisten unter der Leitung des erfahrenen Hauptmanns Ignat Sutter, eines ehemaligen Frontsoldaten mit einer langen Narbe im Gesicht, verfolgten dennoch jede mögliche Spur. Mehrmals fanden sie notdürftig errichtete Lager, abgenagte Knochen, Reste eines Lagerfeuers, Spuren eines Mannes, der völlig allein in der Wildnis überleben musste.
Steinbrecher bewegte sich unberechenbar, manchmal in Richtung Elbe, dann wieder zurück in die Heide, als wolle er seine Jäger verwirren. Schließlich erreichten die Verfolger ein kleines Dorf namens Winsen an der All. Dort berichtete der Besitzer einer Kneipe von einem seltsamen Gast, der allein in einer Ecke gesessen, kaum gesprochen und in abgehackten Sätzen nach wegen zur Grenze gefragt hatte.
Zur Grenze? Fragte Hauptmann Sutter und der Wirt nickte zur holländischen. Das schien merkwürdig, doch Sutta ahnte, dass Steinbrecher nur ablenken wollte. Also verstärkte er seine Einheit mit Dorffreiwilligen und patroulierte alle Wege nach Norden und Westen. Drei Tage geschah nichts. In der vierten Nacht kam ein Hinweis von einem alten Schäfer.
Er habe eine Gestalt gesehen, die sich zu Fuß über seine Weide schlich. Richtung Moor. Also zogen die Männer los. Das Moor war ein türkischer Ort, ein großes dunkles Labyrinth aus Wasserlöchern, Birkenstämmen und Nebelschwaden. Jeder Schritt konnte der letzte sein, doch die Polizisten waren entschlossen. Sie hörten nichts, außer dem dumpfen Aufschlagen ihrer Stiefel und dem gelegentlichen Flügelschlag eines Vogels.
Der Schäfer hatte die Richtung richtig angegeben. Sie fanden frische Fußspuren, tiefe, schwere Abdrucke, als habe ein erschöpfter Mann versucht, sich schneller zu bewegen, als seine Kräfte zuließen. Am Rand eines Birkenheins entdeckten sie dann eine Höhle, eigentlich mehr eine Spalte zwischen zwei großen Findlingen, die im Erdreich versunken waren.
Hauptmann Sotta hob die Hand, bedeutete seinen Männern Stellung zu beziehen. Die Luft vibrierte vor Anspannung. Friedrich Steinbrecher rief Sotter laut, sie sind umzingelt. Kommen Sie heraus. Einen Moment lang war nur Stille. Dann erklang eine Stimme, brüchig, aber voller fanatischer Überzeugung. Ihr versteht es nicht. Ihr versteht gar nichts. Ich tat, was Gott verlangte. Ich hielt die Reinheit.
Sat kniff die Augen zusammen. Er hatte genug Wahnsinn im Krieg erlebt, um zu wissen, wann ein Mann nicht mehr für Vernunft empfänglich war. “Denken Sie an Anna”, rief er nach innen. “Ihre Tochter hat überlebt. Wollen Sie sie nicht noch einmal sehen? Ein Geräusch wie ein trockenes Lachen. Anna ist tot. Alle sind tot. Ich habe sie erlöst von der Sünde dieser Welt.
” Dann ein Schuß. Er prallte gegen einen Felsen. Funken stoben. Die Männer warfen sich in Deckung. Sutta wußte nun sicher, dass Steinbrecher entschlossen war, nicht lebend herauszukommen. Doch er wollte ihn trotzdem fassen, nicht aus Barmherzigkeit, sondern damit ein Gericht über ihn richten konnte.
“Wir gehen vor”, sagte er knapp. Drei Schützen positionierten sich so, daß sie die Höhle frontal sehen konnten. Zwei Männer näherten sich mit Fackeln von den Seiten, geschützt durch die Büsche. Auf ein Zeichen warfen sie die brennenden Fackeln in die Höhle.
Schlagartig erhälte gelboranges Licht das Innere und dort im zuckenden Schein sah man eine Gestalt stehen, abgemagert, schmutzig, die Kleidung zerfetzt, der Bart wirr, die Augen brennend vor Wahnsinn. Steinbrecher hob sein Gewehr. Drei Schüsse krachten fast gleichzeitig. Der Körper zuckte zusammen. Er fiel nicht sofort, taumelte, als habe ihn nur der Wahnsinn selbst getragen.
Dann sank er endlich zu Boden zwischen den Fackeln, die den Fels mit flackernden Schatten bedeckten. Als Sat sich vorsichtig näherte, lebte Steinbrecher noch. Blut sickerte aus seinem Mund. Seine Atmung war rasselnd. Er bewegte die Lippen. Sutta beugte sich vor. Was? Die Worte kamen wie ein Hauch. Es wird nicht enden, das Blut. Dann verstummte er für immer.