
Der schwere, schwüle Spätsommer hing über dem kleinen Fachwerkhaus am Rand eines winzigen Dorfes in Niedersachsen wie eine feuchte, erdrückende Decke. Es war Ende Oktober, doch die ungewöhnlich warmen Tage hatten die Luft in einen dichten Nebelschleier verwandelt, der am frühen Morgen über den Wiesen lag und erst langsam den Blick auf die gelb gewordenen Felder freigab.
Hinter dem Haus glitzerte der Tau auf dem hohen Gras und irgendwo in der Ferne rief ein einzelner Rabe, als wolle er die unerträgliche Stille durchbrechen.
Im Inneren des Hauses kniete Margarita Schneider auf dem abgenutzten Küchenboden. Ihre Hände zitterten unkontrolliert, während sie das Blut wegwischte, das sich zwischen den alten Holzdielen sammelte und in die Ritzen sickerte. Es war kein Blut eines Unfalls, nicht das Blut eines Schnittes oder einer unachtsamen Bewegung. Es war Geburtsblut, ihr eigenes.
Noch immer schmerzte ihr Körper, noch immer fühlte sie das unaufhörliche Zittern, das durch sie hindurchging, wie eine eisige Welle, die nicht enden wollte. Der Geruch von Eisen, Schweiß und menschlicher Angst füllte den kleinen, zugigen Raum.
Im Flur stand ihr ältester Sohn, Daniel Schneider, vierzehn Jahre alt, mit einem Gesicht, das gleichzeitig stumpf und völlig zerbrochen wirkte. Tränen liefen ihm stumm über die Wangen, doch er machte keinen Laut, als hätte der Schock seine Stimmbänder zerrissen. Seine Hände hingen schlaff an den Seiten, die Finger gekrümmt, als wüssten sie nicht, ob sie fliehen oder sich verzweifelt festhalten sollten.
Margarita spürte seinen Blick im Rücken, doch sie sah nicht zu ihm. Sie konnte es nicht. Der physische Schmerz in ihrem Unterleib, das unerträgliche Brennen, war nichts im Vergleich zu dem Schmerz in ihrer Brust, dem Gefühl des totalen Verrats am eigenen Fleisch, am eigenen Leben.
Alles hatte zwei Jahre zuvor begonnen, lange bevor die Geburt sie in diese blutige Nacht gezwungen hatte, deren Spuren sie nun zu beseitigen versuchte. Damals, vor jenen zwei Jahren, war Roland Schneider, ihr Ehemann und Vater der drei Kinder, einfach nicht mehr von seiner Schicht zurückgekehrt. Er war Arbeiter in einem kleinen Industriebetrieb gewesen, einem Ort, an dem sich Geschichten über Verletzung, Überlastung und Alkohol wie selbstverständlich mischten.
Eines Abends kam er nicht nach Hause. Manche sagten, er sei durchgebrannt mit einer Frau aus Bremen. Andere behaupteten, er sei bei einer nächtlichen Auseinandersetzung tödlich gestürzt. Die Polizei sprach von unklaren Umständen. Aber für Margarita gab es nur eine schmerzhafte Realität: Er kam nie wieder.
Plötzlich blieb sie allein zurück mit drei Kindern: Daniel, damals zwölf, Luzia, zehn Jahre alt, und dem kleinen Matthäus, sechs Jahre alt. Das Haus, das Roland gemietet hatte, war alt, feucht und voller Zugluft. Doch es war das einzige, was sie hatten.
Margarita begann, in der nahen Kleinstadt Hildesheim Häuser zu putzen. Jeden Morgen stand sie um vier Uhr auf, um den ersten Bus zu erwischen, kam spät am Abend zurück und brachte gerade genug nach Hause, um Brot, Kartoffeln und ab und zu ein Stück günstigen Käse zu kaufen. Die Erschöpfung war ihr ständiger Begleiter, ein stummer Dämon, der ihr die Seele aus dem Leib saugte.
Daniel, als Ältester, musste sich um seine Geschwister kümmern. Er war ein stiller Junge mit dunklen Augen, die nie ruhen wollten. Die Verantwortung fraß seine Kindheit auf, machte ihn alt, bevor er wusste, was Jugend bedeutete. In der Schule galt er als merkwürdig, als einer, der im Unterricht nicht richtig anwesend war. Er zeichnete in seine Hefte Fratzen mit verdrehten Mündern, Gestalten mit zu langen Armen, aus der Erde ragende Hände, Augen, aus denen rote Linien tropften – die stillen, verzweifelten Projektionen seines inneren Chaos.
Die Tragödie kam nicht plötzlich. Sie kroch heran wie Schimmel, der in einer Wand wächst, unsichtbar, bis die Oberfläche aufbricht. Zuerst waren es Blicke, zu lange Blicke. Daniel beobachtete seine Mutter, als säße ein Schatten hinter seinen Pupillen, ein Schatten aus Angst und Notwendigkeit. Margarita, erschöpft von Arbeit und Trauer, hielt es zunächst für Sorge, für den Versuch eines Jungen, der zu früh Verantwortung tragen musste.