Daniel merkte, dass er Abstand brauchte und so nahm er einen Wochenendjob in einer kleinen Werkstatt an. „Arbeit hilft“, sagte er.
Doch die größte Veränderung kam durch die Winters.
„Du musst mit jemandem über die Wahrheit sprechen“, sagte Frau Winter. Sie meinte die Wahrheit, die niemand aussprach.
„Ich spreche schon mit dem Psychologen“, antwortete Daniel.
„Nein“, sagte sie sanft. „Ich meine mit jemandem, der wichtig für dich ist. Mit Lucia, mit Matthäus, irgendwann mit Marie.“
Sein Herz schlug schneller. „Nein“, sagte er leise. „Das geht nicht.“
Doch sie beharrte. „Es wird einen Tag geben, an dem die Wahrheit verlangt wird. Und wenn du dann schweigst, wird sie euch alle zerstören.“
Unterdessen musste Margarita die Geburtsurkunde von Marie neu beantragen. Ein bürokratischer Akt. Doch im Amt saß eine Frau, die freundlich lächelte, während sie Margarita mit Fragen durchlöcherte.
„Sie möchten keine Angaben machen? Warum?“
„Es ist kompliziert.“
Die Frau sah Margarita lange an. „Wir benötigen dennoch einige Nachweise. Und möglicherweise eine Blutuntersuchung, die klärt, ob der Vater gesetzlich ausgeschlossen werden kann.“
Der Satz traf Margarita wie ein Schlag ins Gesicht.
Als sie die Wohnung erreichte, war ihr Gesicht kreidebleich. „Sie werden nachfragen“, flüsterte Margarita. „Und wenn sie zu viel fragen, dann ist alles vorbei.“
Die Wochen nach dem Besuch im Amt waren geprägt von einer neuen Art von Angst, einer stillen, schleichenden Furcht. Daniel wusste, dass er der Grund für all das war, doch er wusste nicht, wie er es ändern konnte.
Eines Abends fand er Lucia im Wohnzimmer.
„Matthäus hat in der Schule geweint“, sagte sie. „Weil jemand gesagt hat, Marie sei ein Fehler.“
Daniel ballte die Fäuste.
„Warum macht Marie Mama so traurig?“, fragte Lucia. „Ich bin nicht blöd. Etwas stimmt nicht und ich will es wissen.“
Daniel schloss die Augen. „Lucia, bitte frag nicht.“
„Ich habe Angst.“
„Ich auch“, sagte Daniel leise.
Die nächsten Tage spitzten sich weiter zu. Margarita bekam Post vom Amt. Rückmeldung erforderlich. Sie hielt den Umschlag wie ein brennendes Stück Papier.
„Sie wollen den Vater-Eintrag klären“, flüsterte Margarita tonlos. „Sie wollen wissen, warum die Angaben fehlen. Sie wollen Fragen stellen.“
„Ich werde die Verantwortung übernehmen“, sagte Daniel heiser. „Ich werde ihnen sagen, dass ich…“
„Nein!“ Margarita packte seinen Arm so fest, dass es schmerzte. „Das sagst du nie, nie! Aber sonst… ich verliere dich lieber, als dass du das sagst.“ Sie keuchte. „Verstehst du das? Es ist besser, wenn du gehst, wenn du verschwindest, als dass du sagst, was passiert ist.“
„Du willst, dass ich gehe?“, fragte Daniel, diese Worte waren ein kalter, scharfer Schlag.
„Ich will nicht, dass du gehst“, wiederholte Margarita verzweifelt. „Aber ich weiß, dass sie uns zerstören, wenn du bleibst.“
Die Tür öffnete sich plötzlich. Frau Winter trat ein.
„Ihr habt den Brief bekommen?“
„Wir werden nachforschen“, sagte Frau Winter. „Und wenn sie nachforschen, dann…“
„Wir haben eine andere Möglichkeit“, fügte Herr Winter hinzu. „Eine drastische. Daniel könnte eine Zeit lang weg. Nicht für immer, nur bis alles sich beruhigt hat.“
Der Satz hing in der Luft wie Rauch.
„Wenn es das ist, was nötig ist, dann mache ich es.“ Daniels Hände zitterten. „Ich habe alles ruiniert, und wenn ich gehen muss, damit ihr bleiben könnt, dann gehe ich.“
„Du bist sechzehn“, rief Lucia. „Du kannst nicht einfach weggehen.“
„Ich kann“, sagte er leise.
Am Abend saßen Margarita und Daniel nebeneinander am Küchentisch.
„Ich habe dir nie die Schuld gegeben“, sagte Margarita plötzlich.
„Du solltest.“
„Ich habe mir die Schuld gegeben“, wiederholte sie. „Und dem Leben. Aber nicht dir.“
„Ich komme zurück“, sagte er. „Versprochen.“
Der Tag, an dem Daniel gehen sollte, kam schnell. Daniel packte seinen Rucksack, ein kleines Foto von Marie, das Lucia heimlich ausgedruckt hatte.
„Wann kommst du zurück?“, fragte Lucia.
„Wenn alles vorbei ist.“
„Wann ist das?“
Daniel wusste es nicht.
„Du musst auf Mama und die Mädchen aufpassen“, sagte Daniel zu Matthäus.