Der Moment der ernüchternden Wahrheit
Es gibt Momente in einem Kriminalfall, in denen die öffentliche Erwartung und die juristische Realität hart aufeinanderprallen. Im Fall des grausam getöteten achtjährigen Fabian aus Güstrow ist dieser Moment nun gekommen – und er ist erschreckend. Wochenlang hielt der Fall die Nation in Atem: ein verschwundener Junge, ein schrecklicher Fund, eine Tatverdächtige, Gina H. (29), die Ex-Freundin von Fabians Vater, in Untersuchungshaft. Doch nun droht die Jagd nach der Gerechtigkeit für Fabian in einem Chaos aus Ermittlungspannen zu versinken.
Oberstaatsanwalt Harald Novak, der leitende Ermittler, musste in einer bemerkenswerten und zugleich ernüchternden Offenlegung massive Fehler seiner Behörden einräumen. Fehler, die möglicherweise die gesamte Beweiskette kontaminiert, entscheidende Spuren vernichtet und damit das gesamte Verfahren gefährdet haben. Die Frage, die nun über dem Fall schwebt, ist nicht nur, ob die mutmaßliche Täterin schuldig ist, sondern ob sie, selbst wenn sie schuldig ist, aufgrund polizeilicher Versäumnisse jemals verurteilt werden kann. Denn eines ist klar: Wenn die Grundlagen der Spurensicherung fehlerhaft sind, wird es vor Gericht extrem schwierig, eine zweifelsfreie Verurteilung zu erreichen.
Wir sprechen heute über drei schwerwiegende Enthüllungen, die das bisherige Bild des Falls massiv korrigieren und die uns alle daran erinnern sollten, welch immense Verantwortung auf den Schultern der Ermittler lastet – und welche katastrophalen Folgen Zeitdruck und Ressourcenmangel haben können.

Die drei Bomben des Oberstaatsanwalts: Tatwaffe, Handschuh, Fundort
Die Aussagen von Oberstaatsanwalt Novak sind brisant. Sie legen offen, dass in den Anfangstagen der Ermittlungen Fehler gemacht wurden, deren Konsequenzen nun in der aktuell laufenden Beweissicherung zum Vorschein kommen.
1. Das fehlende Mosaikstück: Keine Tatwaffe gefunden
Die erste Hiobsbotschaft: „Bislang keine Tatwaffe gefunden“. Novak bestätigte dies wörtlich. Das ist ein enormes Problem, denn aus dem Obduktionsergebnis leiten die Ermittler ab, dass Fabian „wohl nicht durch bloße körperliche Gewalt ohne Hilfsmittel ums Leben kam“. Mit anderen Worten: Es wurde ein Werkzeug, eine Waffe, ein Gegenstand benutzt. Aber welcher? Niemand weiß es.
Eine Tatwaffe ist mehr als nur ein Beweisstück; sie ist der Schlüssel zur Rekonstruktion der Tat. Sie trägt oft DNA des Täters und des Opfers, verrät die genaue Vorgehensweise und zeigt, ob die Tat geplant war. Ohne diesen entscheidenden Beweis kann die Verteidigung vor Gericht argumentieren: Wie soll die Tat abgelaufen sein, wenn die Staatsanwaltschaft nicht einmal weiß, womit das Kind getötet wurde? Die fehlende Tatwaffe ist ein Vakuum, in das sich jeder berechtigte Zweifel ergießen kann.
2. Der mysteriöse Fund: Die Panne mit dem verkohlten Handschuh
Der verkohlte Lederhandschuh, gefunden etwa 100 Meter vom Fundort der Leiche entfernt, galt zunächst als potenzielles Schlüsselbeweisstück. Ein glücklicher Zufall schien es, dass eine Spaziergängerin ihn fand und, umsichtig genug, ihn in einer Plastiktüte sicherte, bevor er an die Polizei übergeben wurde. Er nährte die Hoffnung, DNA-Spuren des Trägers zu finden – womöglich des Täters, der ihn beim Versuch, die Leiche zu verbrennen, verloren hatte.
Doch dann die kalte Dusche: Eine weitere Person meldete sich und sagte aus, den Handschuh bereits Tage zuvor an einem ganz anderen Ort gesehen zu haben. Novak musste öffentlich einräumen: „Sollte sich dieser Hinweis bestätigen, wäre das womöglich eine Panne bei der Spurensicherung.“ Der Fundort könnte absichtlich oder versehentlich verfälscht worden sein.
Die Implikation ist verheerend: Die Beweiskette für diesen Handschuh ist unterbrochen oder zumindest massiv kompromittiert. War er von Anfang an irrelevant? Wurde er von einem Zivilisten bewegt? Oder schlimmer noch: War es ein Ermittler, der ihn fand, aber nicht korrekt dokumentierte, und so die Glaubwürdigkeit des Beweises für immer zerstörte?