Berlin. Es gibt Künstlerinnen, die Trends folgen, und es gibt Nina Hagen. Geboren 1955 in Ostberlin, sprengte sie Grenzen, bevor die Welt wusste, dass diese existierten. Ihre Stimme war kein Gesang, sie war ein Aufschrei. Ihre Auftritte keine Shows, sie waren Offenbarungen. Die Mutter des deutschen Punk, die mit Alben wie Nox Monkrock und Unbehagen zur Ikone einer ganzen Generation wurde, galt immer als wild, exzessiv und unberechenbar.
Doch hinter dem grellen Make-up, den schreienden Farben und der radikalen Bühnenfigur verbirgt sich die tief bewegende Geschichte einer Frau, die weinte, betete und suchte. Sie sagte einmal: „Ich wollte nie berühmt sein. Ich wollte verstanden werden.“. Das Leben hatte andere Pläne. Ihr Weg führte sie durch den Ruhm, durch die Liebe und in die dunkelste aller Nächte: den Verlust eines Kindes. Diese Tragödie veränderte ihr Herz für immer, löste eine spirituelle Wiedergeburt aus und führte sie zu einem bescheidenen, fast heiligen Frieden, der im scharfen Kontrast zu ihrem geschätzten Millionen-Vermögen und ihrem Ruf als gottlose Prophetin steht. Das ist das Vermächtnis einer Ikone, deren wahre Größe nicht in ihren Verkaufszahlen, sondern in ihrer unbezwingbaren menschlichen Seele liegt.

Der große Schmerz: Das verlorene Kind und das Schweigen der Seele
Mitte der 1980er Jahre befand sich Nina Hagen auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie lebte zwischen den Welten – zwischen Ost und West, Punk und Pop, Exzess und Sehnsucht. Sie provozierte Kirchen, schockierte Politiker und wurde inmitten dieses Chaos Mutter ihrer geliebten Tochter, Cosma Shiva Hagen.
Doch nur wenige Jahre später erlitt Nina einen Schicksalsschlag, über den sie lange schwieg: Sie verlor ein weiteres Kind kurz nach der Geburt.
Die Trauer war lähmend. Freunde aus ihrem Umfeld berichteten von Monaten der Dunkelheit. Ein Bandmitglied erinnerte sich: „Sie hat tagelang nicht gesprochen. Nur geweint und gebetet.“ Ihr damaliger Lebensgefährte David Lyn, Musiker, beschrieb in einem seltenen Interview eine Nacht, die das Leben von Nina Hagen neu definierte:
„Ich habe sie in einer Nacht gesehen, wie sie auf dem Boden kniete, ein Kreuz hielt und schrie. Es war kein Wutanfall. Es war ein Schrei aus der Tiefe, als hätte sie Gott direkt in die Augen geblickt.“
Dieser Verlust ließ Nina nicht nur zerbrechen, sondern zwang sie zu einer radikalen Neugeburt. Sie begann, Halt im Glauben zu suchen, las die Bibel, besuchte Kirchen, sprach mit Gurus und Mystikern. Die spirituelle Reise war ein verzweifelter Versuch, ihren Schmerz zu bewältigen. David Lyn erzählte, dass sie nach Albträumen, in denen sie ihr verlorenes Kind wiedersah, zitternd an seinem Arm einschlief. „Sie hat geweint, bis keine Tränen mehr kamen“, sagte er, „und dann hat sie gesungen, und das war ihre Art zu überleben.“
Aus diesem Schmerz entstand eine neue, mystischere Nina. In Songs wie Ave Maria verschmolzen Glaube und Rebellion, Himmel und Hölle. „Ich habe mit Gott gestritten“, sagte sie, „aber ich liebe ihn trotzdem.“ Die Trauer wurde zur Quelle der Heilung und einer tiefen existentiellen Erkenntnis:
„Ich habe mein Kind verloren, aber ich habe meine Seele gefunden.“
Sie trägt diesen Schmerz bis heute. David Lyn fasst es würdevoll zusammen: „Sie trägt ihren Schmerz wie eine Krone, schwer, aber würdevoll.“ Wenn Nina heute singt, ist es, als würde sie für zwei Leben singen – für sich und für das, was sie verloren hat.
Von Arschrams in die Charts: Die spirituelle Wiedergeburt einer Rebellin
Nach der Tragödie zog sich Nina Hagen aus dem Musikbusiness zurück und suchte die Wahrheit auf Reisen. Sie reiste nach Indien, lebte in Ashrams, sprach mit Mönchen und Mystikern. „Ich wollte die Wahrheit“, sagte sie, „nicht Ruhm, nicht Geld, nicht Applaus, nur Wahrheit.“
Ihre spirituelle Wiedergeburt war öffentlich und kontrovers. Sie begann in Interviews über Jesus-Energie, Karma und Wiedergeburt zu sprechen. Die Presse reagierte mit Spott und Häme, doch Nina Hagen ließ das unberührt. „Ich weiß, wer ich bin“, sagte sie, „und das ist genug.“