Psychologie des Abgrunds: Auf der Suche nach dem Motiv
Experten, die versuchen, dieses Verhalten einzuordnen, betonen die Komplexität menschlicher Bindungen, insbesondere unter extremem Stress. Es gibt keine einfache Antwort. Eine Möglichkeit ist der Autopilot im tiefen Schock. Der Vater ist in einer alten Routine gefangen, erledigt bekannte Aufgaben, um nicht zusammenzubrechen. Es ist ein unbewusster Versuch des Gehirns, in einer chaotischen Welt ein Stück kontrollierbarer Normalität zu bewahren.
Die rationalste Erklärung mag das reine Pflichtgefühl gegenüber den Tieren sein. Die Pferde können nichts für die Taten ihrer Besitzerin. Der Vater, der laut Dorfbewohnern schon vor der Tat regelmäßig bei der Versorgung half und Weiden in Schuss hielt, setzt einfach eine Verantwortung fort, die er einmal übernommen hat.
Doch es könnte auch etwas viel Tieferes sein, das mit der Natur ihrer früheren Beziehung zu tun hat. Die Trennung lag erst kurz zurück – Mitte August getrennt, Tat Anfang Oktober. Die Beziehung wurde als extrem wechselhaft, oft laut und intensiv beschrieben. Gleichzeitig soll er eine beruhigende Wirkung auf sie gehabt haben. Diese Dynamik deutet auf eine koabhängige Struktur hin, in der er möglicherweise der stabile Anker war, der ihre Ausbrüche regulierte. Wenn eine solch dysfunktionale Beziehung dann so abrupt und gewaltsam endet, bleiben oft unsichtbare Fäden zurück.
Seine jetzige Handlung könnte ein verzweifelter Versuch sein, an einem dieser letzten Fäden festzuhalten, weil alles andere weggebrochen ist. Es geht dann nicht mehr nur um die Pferde, sondern darum, die letzte Verbindung zu seinem früheren Leben nicht zu kappen, selbst wenn dieses Leben mit der mutmaßlichen Mörderin seines Sohnes verknüpft ist. Es ist der Kampf um ein Stück verlorene Normalität inmitten einer beispiellosen Katastrophe.
Die Signatur der Beseitigung: Ein früherer Vorfall rückt in ein neues Licht
Um die Denkweise der Verdächtigen zu rekonstruieren, rückt ein früherer Vorfall in ein völlig anderes Licht. Anfang 2024, Monate vor Fabians Tod, starb eines ihrer Pferde. Anstatt das Tier ordnungsgemäß in eine Tierkörperbeseitigungsanlage zu bringen, vergrub sie es illegal auf ihrem Grundstück. Jemand aus dem Dorf erstattete Anzeige, und das Tier musste exhumiert werden.
Für Ermittler und Profiler ist dies weit mehr als eine seltsame Anekdote. Es geht nicht um den emotionalen Wert, der natürlich unvergleichbar ist, sondern um das Verhaltensmuster. Ermittler suchen nach einer psychologischen Signatur. In diesem Fall sehen sie zwei völlig getrennte Ereignisse – ein totes Tier und ein ermordetes Kind – aber potenziell das gleiche zugrunde liegende Muster: Jemand wird mit einem toten Körper konfrontiert und versucht, dieses Problem auf unkonventionelle, illegale Weise verschwinden zu lassen, abseits der offiziellen Wege.
Die Leiche von Fabian wurde mutmaßlich angezündet, um Spuren zu verwischen. Das ist, wie das Vergraben des Pferdes, ein Versuch, Beweise zu vernichten und sich einer Situation auf nicht konforme Art zu entledigen. Diese Parallele im Vorgehen – die Kaltschnäuzigkeit und die Bereitschaft, Regeln für eine Vertuschung zu brechen – ist für das Profiling goldwert. Es ist die Art, wie eine Täter-Denkweise rekonstruiert werden kann, und es verstärkt den Verdacht gegen die Inhaftierte.
Der Stand der Ermittlungen und die hohe Hürde des Tatverdachts
Aktuell sitzt die Ex-Freundin des Vaters seit fast zwei Wochen wegen dringendem Tatverdacht in Untersuchungshaft. Juristisch gesehen ist dies eine sehr hohe Hürde: Richter und Ermittler müssen nach Prüfung der Beweise zu dem Schluss kommen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Person die Tat begangen hat. Es ist der juristische Grund, um jemanden wegen Flucht- oder Verdunkelungsgefahr in Gewahrsam zu nehmen.
Dennoch gilt bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung, ein Grundpfeiler des Rechtssystems. Die Ermittler halten sich zudem mit entscheidenden Informationen zurück, insbesondere mit der genauen Todesursache. Dieses Detail ist Täterwissen. Nur der Täter und die Ermittler kennen es. Es wird strategisch als Werkzeug in Verhören eingesetzt. Die Zurückhaltung dient nicht der Frustration der Öffentlichkeit, sondern dem Schutz des Verfahrens, um Zeugenaussagen nicht zu beeinflussen und die Integrität des späteren Prozesses zu sichern.