Die Stille, die unter die Haut geht
Der Fall des achtjährigen Fabian aus Güstrow lässt Deutschland nicht los. Seit seiner Festnahme am 6. November 2025 konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit fast ausschließlich auf die tatverdächtige Gina H., die 29-jährige Ex-Freundin von Fabians Vater, die den Jungen angeblich zufällig im Wald bei Reimershagen fand. Sie sitzt wegen dringenden Mordverdachts in Untersuchungshaft und schweigt.
Doch die aktuelle Entwicklung der Ermittlungen verlagert den Fokus auf einen Bereich, der lange im Schatten der mutmaßlichen Täterin stand: Fabians direktes familiäres Umfeld. Nach Informationen aus Ermittlerkreisen zeichnet sich ein komplexes, teilweise zutiefst beunruhigendes Bild der familiären Verhältnisse ab. Es ist ein Bild, das uns zwingt, genauer hinzuschauen – nicht um vorschnell zu verurteilen, sondern um zu verstehen, wie es überhaupt zu dieser unfassbaren Tragödie kommen konnte. Im Zentrum dieser Analyse stehen der Vater, Matthias R., und die Mutter, Dorina L., deren Entscheidungen und Beziehungsdynamiken möglicherweise eine fatale Kettenreaktion ausgelöst haben.

Die Fakten: Ein Tödliches Beziehungsende
Die Fakten sind schnell rekapituliert, bilden aber die Grundlage für die tiefergehenden Fragen:
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10. Oktober: Fabian verschwindet aus Güstrow, nachdem er krankheitsbedingt zu Hause blieb.
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14. Oktober: Seine Leiche wird von Gina H. an einem Tümpel im Wald bei Reimershagen gefunden – verbrannt.
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Gina H.s Rolle: Die 29-Jährige war über mehrere Jahre die feste Partnerin von Fabians Vater, Matthias R.. Fabian verbrachte viel Zeit mit ihr; Nachbarn berichten, dass er dort quasi ein „zweites Zuhause“ hatte. Gina H. hat selbst einen etwa gleichaltrigen Sohn. Die Familien waren eng miteinander verwoben.
Die Anwältin von Fabians Mutter beschrieb Gina H.s Haushalt als „eine Art zweites Zuhause“ für Fabian. Dieses Detail ist entscheidend. Es impliziert Vertrautheit und Geborgenheit – und macht die spätere Tat umso monströser.
Doch hier beginnt die Kette der unbequemen Wahrheiten: Die Beziehung zwischen Matthias R. und Gina H. endete erst im Herbst, nur etwa zwei Monate vor Fabians Verschwinden. Nachbarn berichten von viel Streit; die Trennung soll emotional extrem belastend gewesen sein, besonders für Gina H., deren Leben aus den Fugen geraten war.
Das Unverständliche: Kontakt nach dem Zerwürfnis
Trotz der konfliktbeladenen Trennung und der offensichtlichen emotionalen Instabilität von Gina H. bestand der Kontakt zwischen Fabian und der Ex-Partnerin des Vaters weiterhin. Die Anwältin der Mutter betonte, Fabian habe weiterhin in Reimershagen mit anderen Kindern gespielt.
Das wirft die erste, zentrale Frage auf, die die Ermittler nun intensiv beschäftigt: Wer hat diesen Umgang erlaubt und die Situation richtig eingeschätzt?
Die Mutter Dorina L. habe Gina H. als dem Kind zugetan wahrgenommen und ihr deshalb vertraut. Aber war sie überhaupt in der Lage, die Situation nach der Trennung vollständig zu beurteilen? Wusste sie, wie belastet Gina H. wirklich war, oder wurde ihr eine Fassade präsentiert?
Die Verantwortung hierfür lag primär bei Matthias R.. Er war es, der:
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Die mehrjährige, enge Bindung zwischen seinem Sohn und seiner Partnerin aktiv förderte.
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Die Trennung initiierte, nachdem Fabian sie als Teil seiner Familie wahrgenommen haben musste.
Aus Fabians Perspektive muss die Situation emotional komplex und verwirrend gewesen sein: Die Bezugsperson der letzten Jahre ist nicht mehr die Partnerin des Vaters, aber immer noch im Leben präsent.
Die unbequeme Rolle des Vaters: Zeichen übersehen?
Laut Ermittlerkreisen wird die Rolle des Vaters, Matthias R., nun sehr genau unter die Lupe genommen – nicht unbedingt als Verdächtiger im klassischen Sinne, aber als jemand, dessen Entscheidungen möglicherweise eine Kettenreaktion ausgelöst haben.
Profiler stellen in solchen Konstellationen die Frage, ob das Kind für die emotional belastete Person zum Symbol wurde – zum Symbol für eine verlorene Beziehung oder verlorene Nähe. Fabians Tod wurde damit möglicherweise der furchtbare Ausdruck einer emotional aus dem Ruder gelaufenen Dynamik.
Die Kernfragen an Matthias R. lauten:
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Hat er die emotionalen Risiken erkannt? Hat er verstanden, was die Trennung für Gina H. psychologisch bedeuten könnte und dass sein Sohn weiterhin in diesem Umfeld war?
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Gab er falsche Hoffnungen? Nachbarn berichten, dass er auch nach der Trennung noch Kontakt zu Gina H. hatte. War dieser Kontakt klar und eindeutig, oder signalisierte er ihr möglicherweise, dass noch etwas sein könnte? Die Ermittler prüfen das psychologische Phänomen des „Breadcrumming“ – kleine Signale, die der anderen Person Hoffnung machen, obwohl keine Absicht zur Rückkehr besteht. Dieses Verhalten könnte Gina H. daran gehindert haben, loszulassen, und ihre emotionale Kränkung vertieft haben.
Die Ermittler haben den Vater intensiv befragt. Angeblich (Informationen aus Ermittlerkreisen) gibt es bei einigen seiner Aussagen Ungereimtheiten und Widersprüche. Das muss keine kriminelle Verwicklung bedeuten, aber es könnte darauf hindeuten, dass er Details verschweigt – vielleicht aus Scham, Schuldgefühlen oder dem Bewusstsein seiner eigenen Verantwortung in dieser verhängnisvollen Konstellation.
Es ist klar: Wenn Gina H. die Täterin ist, wurde sie nicht im luftleeren Raum zur Täterin. Die Vorgeschichte emotionaler Dynamiken, Verletzungen und Enttäuschungen spielt eine zentrale Rolle, in der Matthias R. durch seine Entscheidungen und seine Art, mit der Trennung umzugehen, eine tragende Rolle innehatte.
Das unbeaufsichtigte Kind und das fehlende Handy
Die Fragen spitzen sich auf den Tag des Verschwindens zu:
Fabian blieb am 10. Oktober krankheitsbedingt zu Hause. Ermittler gehen davon aus, dass er das Haus zwischen 11:00 und 15:00 Uhr verließ.
Hier drängt sich die nächste unbequeme Frage auf: Wo waren die Eltern? Wer war an diesem Tag für Fabian verantwortlich? Wie konnte ein achtjähriges Kind, das krank zu Hause bleiben musste, einfach das Haus verlassen, ohne dass es jemand mitbekam? Auch wenn die Eltern durch die Tragödie die Hölle durchleben, müssen diese Fragen gestellt werden, um die Umstände der Tat zu verstehen.
Die Ermittler gehen davon aus, dass Fabian sich bewusst mit jemandem getroffen hat, dem er absolut vertraute. Das würde erklären, warum er freiwillig mitgegangen ist – mutmaßlich mit Gina H. Wusste sie, dass er an diesem Tag zu Hause war, und wenn ja, woher wusste sie das?
Ein weiteres beunruhigendes Detail: Fabian hatte sein Handy nicht dabei. Das ist für einen Achtjährigen in der heutigen Zeit ungewöhnlich. Die naheliegende Spekulation, die auch die Ermittler prüfen: Hat ihm jemand gesagt, er solle es zu Hause lassen? Jemand, der nicht wollte, dass das Treffen später über Funkzellendaten nachvollziehbar ist.
Die Mutter, Dorina L., hatte offenbar keine Chance, die volle Gefahr zu erkennen. Hinweise aus Ermittlerkreisen deuten auf Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den getrennten Eltern hin. Wenn Matthias R., der die Trennung und Gina H.’s Belastung kannte, die Mutter nicht vollständig informierte oder warnte, konnte Dorina L. die Lage nicht richtig einschätzen. Die Verantwortung für die Sicherheit des Kindes liegt bei beiden Elternteilen; relevante Informationen müssen weitergegeben werden.
Der Fundort als Botschaft und die narzisstische Kränkung
Der Fundort, der Wald bei Reimershagen, ist Gina H.’s ehemaliger Wohnort – der Ort, der Fabians „zweites Zuhause“ war. Profiler sehen den Fundort nie als zufällig an; er hat immer eine symbolische Bedeutung.
Für Gina H. könnte beides zutreffen:
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Pragmatisch: Sie kannte sich dort aus, wusste, wo sie ungestört war.
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Symbolisch: Es war ihr Ort, der Ort, wo sie mit Matthias R. und Fabian glückliche Zeiten verbracht hatte. Jetzt, nach der Trennung, ist es der Ort, wo alles endet.
Dieser Akt der Gewalt kann psychologisch als Folge einer narzisstischen Kränkung interpretiert werden. Das Gefühl, im Selbstwertgefühl und der Identität so schwer verletzt zu sein – durch den Verlust von Matthias R. und Fabian aus ihrem Leben –, dass destruktive Muster die Oberhand gewinnen. Fabian wurde so möglicherweise zum Opfer einer Rache an Matthias R., der die Beziehung beendet hatte.
Die Ermittler sezieren nun die Kommunikation (WhatsApp-Verläufe, E-Mails) von Gina H. und Matthias R. nach der Trennung. Sie suchen nach Wut, Verzweiflung, Rachegedanken bei ihr – aber auch nach bewussten oder unbewussten Unklarheiten in seiner Kommunikation, die Hoffnungen gemacht haben könnten.
Fazit: Die moralische Verantwortung
Die Beweislage gegen Gina H. mag erdrückend sein, und sie wird sich vor Gericht verantworten müssen. Doch der Fall Fabian lehrt uns eine unbequeme Wahrheit: Die Tat geschah nicht im luftleeren Raum.
Sie ist das furchtbare Ergebnis eines Beziehungsgeflechts, in dem Entscheidungen getroffen, Warnsignale übersehen und emotionale Dynamiken unterschätzt wurden. Viele Wege führen zu Matthias R. – nicht als Täter, aber als jemand, der durch seine Beziehungsführung und seine Entscheidungen, etwa den fortdauernden Kontakt zu Fabians ehemaliger Bezugsperson trotz der konfliktgeladenen Trennung, eine Situation geschaffen hat, die außer Kontrolle geriet.
Die Ermittler schulden Fabian, die ganze Wahrheit zu suchen. Und wir als Gesellschaft schulden es ihm, alle Faktoren zu beleuchten, die zu seinem Tod geführt haben. Denn nur so können wir lernen, Warnsignale zu erkennen und zu verhindern, dass solch eine Tragödie sich wiederholt. Die Frage, die im Raum steht, ist nicht nur juristischer Natur, sondern zutiefst moralischer: Hätte diese Tat verhindert werden können?